Wahr oder falsch? Inzwischen kursieren viele Gerüchte um Flüchtlinge. Wir haben den Faktencheck gemacht.

Seit Wochen wabern Gerüchte über Flüchtlinge durch soziale Netzwerke. Oft entbehren die Behauptungen jeglicher Grundlage, manchmal ist aber auch was dran. Wir sind sieben Gerüchten nachgegangen.

Manchmal ist es ein Post auf Facebook, der sich in Windeseile verbreitet, manchmal Bemerkungen im Bekanntenkreis. Inzwischen kursieren viele Gerüchte um Flüchtlinge. Es geht um Vandalismus, um Diebstahl bis hin zu Übergriffen. Sieben dieser Gerüchte sind Reporter von hr1 auf den Grund gegangen. Drei dieser Gerüchte haben ihren Ursprung in Gießen. In der Erstaufnahmeeinrichtung dort leben besonders viele Flüchtlinge.

1. "Im Gießener Aldi wird so viel geklaut, dass die Stadt den Verlust ersetzen muss"

Gerücht: Wegen einer hohen Anzahl von Diebstählen durch Flüchtlinge soll der Aldi-Markt im Gießener Oberlachweg geschlossen werden. In einem Facebook-Eintrag im Sommer hieß es dazu: Aldi kapituliere vor den Flüchtlingen und den vielen Diebstählen. Der Laden werde nur deswegen noch weiter offen gehalten, weil die Stadt Gießen dem Markt den Verlust durch die Diebstähle ersetze.

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"Im Aldi in Gießen wird so viel geklaut, dass die Stadt die Verluste ersetzt": Der Faktencheck

Aldimarkt in Gießen
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Faktencheck: Stimmt nicht. Der Aldi-Markt wird wegen der Nähe zur Erstaufnahmestelle im ehemaligen Gießener US-Depot tatsächlich von vielen Flüchtlingen besucht. Seit Monaten ist dort auch Sicherheitspersonal eingesetzt. Eine Schließung des Marktes habe aber zu keiner Zeit zur Diskussion gestanden, teilt die Aldi-Pressestelle auf Nachfrage mit. Dass die Anzahl der Übergriffe, Diebstähle oder Belästigungen signifikant gestiegen sei, kann Aldi ebenfalls nicht bestätigen. Auch der Polizei in Gießen liegt kein erhöhtes Aufkommen von Strafanzeigen aus dem Markt vor. Dass die Stadt Gießen Verluste durch Diebstähle ersetze, verweist die Gießener Oberbürgermeisterin Dietlind-Grabe-Bolz (SPD) ins Reich der Märchen.

2. "In der Buslinie 1 in Gießen werden Fahrgäste und Fahrer bedroht"

Gerücht: Aufgetaucht ist das Gerücht Ende Mai in einem Facebook-Post: Demnach war ein sechs bis sieben Jahre altes Mädchen beim Ausstieg aus dem Gießener Stadtbus von zwei Flüchtlingen angegriffen worden. Männer hätten versucht, dem Kind den Rucksack vom Rücken zu reißen. Vier ältere Schüler seien von einer Gruppe von 15 Asylbewerbern verprügelt worden. Dem Mädchen sei ein Oberschenkel gebrochen worden. Nur einer von vielen Vorfällen - so heißt es in dem Post auf Facebook, die sich an der Buslinie 1 zutrügen. Selbst Busfahrer hätten Angst die Strecke zu fahren.

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"In der Buslinie 1 in Gießen werden Fahrgäste und Fahrer bedroht": Der Faktencheck

Buslinie 1 in Gießen
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Faktencheck: Die Gießener Buslinie 1 wird tatsächlich täglich von Hunderten von Flüchtlingen genutzt, um in die Stadt zu fahren. Wegen diverser Vorfälle setzen die Stadtwerke auf der Linie inzwischen eigenes Sicherheitspersonal ein.  Auch die Polizei spricht von einem Kassendiebstahl, Körperverletzungen und Belästigungen. Viele der in den sozialen Netzwerken kursierenden Gerüchte allerdings seien frei erfunden, sagt der Gießener Polizeisprecher Jörg Reinemer und nennt auch die Geschichte um das kleine Mädchen. "So einen Vorfall hat es nicht gegeben", sagt er.

3. "Durch Flüchtlinge kommt es zu Übergriffen auf Frauen"

Gerücht: Durch Flüchtlinge in der Gießener Erstaufnahmestelle soll es zu einer großen Zahl sexueller Übergriffe auf Frauen gekommen sein. Auch von Zwangsprostitution ist die Rede. Frauen hätten Angst, nachts zur Toilette zu gehen, weil es auf dem Weg dorthin zu Übergegriffen bis zu Vergewaltigungen komme. Betroffen von den Übergriffen seien auch Kinder und Homosexuelle.

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"Durch Flüchtlinge kommt es zu Übergriffen auf Frauen": Der Faktencheck

Flüchtlingsfrauen in der neuen Darmstädter Aufnahmeeinrichtung
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Faktencheck: Mit einem offenen Brief hatten vor wenigen Wochen Sozial- und Frauenverbände tatsächlich Alarm geschlagen. Ihren Kenntnissen zufolge soll es in der Erstaufnahmestelle des Landes zu sexuellen Übergriffen und auch Vergewaltigungen gekommen sein. Der Gießener Polizei liegen allerdings nur "eine Handvoll" diesbezüglicher Anzeigen vor. Für die Gießener Frauenbeauftragte steht aber fest: "Dass es keine Anzeigen gibt, heißt nicht, dass es keine Übergriffe gibt." Das Land Hessen hat inzwischen reagiert und hält in bislang allerdings nur kleinem Umfang gesonderte Gebäude für Frauen vor, um ihnen einen besseren Schutz zu gewähren.

4. "Flüchtlinge haben den Bürgerpark in Neustadt zugemüllt"

Gerücht: Seitdem es in Neustadt (Marburg-Biedenkopf) eine Erstaufnahmeeinrichtung gibt, verwahrlost dort der Bürgerpark - unter anderem, weil Flüchtlinge ihren Müll einfach auf die Wege werfen.

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"Bürgerpark Neustadt durch Flüchtlinge verwahrlost": Der Faktencheck

Parkordnung im Neustädter Bürgerpark
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Faktencheck: Ein Besuch im  Bürgerpark zeigt: Von Verwahrlosung keine Spur, lediglich neben einer Bank ein wenig Verpackungsmüll. "Diesen Grad der Verschmutzung hatten wir auch schon vor drei bis vier Jahren – ohne Flüchtlinge“, sagt Birgit Gatzweiler vom Förderverein Bürgerpark Neustadt. Neustadts Bürgermeister Thomas Groll will allerdings selbst schon gesehen haben, wie Asylbewerber in öffentlichen Grünanlagen urinierten. "Wir haben dann Schilder angebracht, die Wirkung entfaltet haben“. Der Leiter der Erstaufnahme, Dominik Zutz, ergänzt: "Alle Flüchtlinge werden von Sozialbetreuer regelmäßig daraufhin gewiesen, wie man sich zu verhalten hat."

5. "Edeka in Calden klagt über Vandalismus und Diebstähle"

Gerücht: Im Edeka-Markt in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft in Calden soll es zu Vandalismus und Diebstählen gekommen sein. Der Betreiber soll daraufhin Sicherheitspersonal engagiert haben und jeweils nur noch zwei Flüchtlinge gleichzeitig in den Laden lassen.

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"Edeka in Calden klagt über Diebstähle": Der Faktencheck

Eine Kunde im Supermarkt
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Faktencheck: Ewald Eckert, Betreiber des Edeka-Marktes in Calden, erklärt, dass er in den letzten zwölf Wochen zehn Diebstahlsanzeigen gegen Flüchtlinge machen musste. Das sei dann auch für sein Personal alles andere als erfreulich gewesen. Die mutmaßlichen Diebe setzten sich zur Wehr, hätten seine Verkäuferinnen angespuckt und beschimpft. Deshalb habe er jetzt Sicherheitspersonal angestellt. Dass die Flüchtlinge nur noch zu zweit und begleitet von Sicherheitskräften den Laden betreten dürften, sei allerdings schlichtweg falsch.

6. "Für die Tafeln bleibt zu wenig übrig"

Gerücht: Die Tafeln sind durch die Flüchtlingskrise überlastet. Es fehlt an Personal, und es sind nicht genug Lebensmittel für alle Bedürftigen da.

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"Für die Tafeln bleibt so wenig übrig": Der Faktencheck

Bedürftige Menschen erhalten in einer Ausgabestelle einer Tafel Lebensmittel.
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Faktencheck: Ein Besuch bei der Lebensmittelausgabe der katholischen Gemeinde St. Josef in Neu-Isenburg zeigt: Der Andrang ist groß. Aber einen Zuwachs könne sie nicht feststellen, sagt Organisatorin Annette Mühl. Die Flüchtlinge in der Erstaufnahmeunterkunft in der Stadt nähmen das Angebot nicht in Anspruch. Gleichzeitig bemerke sie, dass es Kunden gebe, die Angst hätten. "Sie haben Sorgen, dass jetzt mehr für Flüchtlinge gespendet werde", berichtet sie. Auch bei anderen Tafeln im Kreis Offenbach läuft alles normal. Wer dort nachfragt, kriegt den berühmten Satz der Kanzlerin zu hören: "Wir schaffen das!"

7. "Edeka-Markt in Rotenburg musste geschlossen werden"

Gerücht: In der Nähe der Alheimer Kaserne in Rotenburg an der Fulda, die zur Flüchtingsunterkunft umfunktioniert wurde, liegt ein Edeka-Markt. Dieser soll inzwischen geschlossen worden sein, nachdem es dort immer wieder Probleme mit Diebstählen gegeben habe. Außerdem kursiert das Gerücht, dass auf dem Kasernengelände eine Moschee gebaut wird.

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"Edeka-Markt in Rotenburg musste geschlossen werden": Der Faktencheck

Edeka-Mark
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Faktencheck: Das stimmt nicht, der Laden ist und bleibt geöffnet. Der Betreiber des Marktes, Udo Sand, erklärt außerdem: "Wir haben keinen Ärger mit Asylbewerbern." Es habe einen Fall von Diebstahl gegeben, bei dem eine Packung Zigaretten gestohlen wurde. Um ein Exempel zu statuieren, sei sofort die Polizei gerufen worden. Rotenburgs Bürgermeister Christian Grunwald berichtet von einem Treffen der Einzelhändler. Alle hätten übereinstimmend erklärt, dass es keine signifikante Erhöhung der Ladendiebstähle gebe. Und was ist mit der Moschee auf dem Kasernengelände? Der Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung klärt auf: "Um Konflikte zu vermeiden, gibt es in keiner Unterkunft in Hessen Räume zur Religionsausübung."

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Flüchtlinge in Hessen

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