Frankfurter Buchmesse China-Symposium und die Folgen
Kaum ein Ehrengast der Frankfurter Buchmesse hat im Vorfeld für so heftige Auseinandersetzungen gesorgt wie China. Bereits Mitte September kam es auf einem Symposium zum Eklat, dessen Auswirkungen sich bis zum Ende der Buchmesse hinzogen.
Zur Vorgeschichte: Zwei regimekritische Autoren, der im Exil lebende Autor Bei Ling und die Auftorin und Umweltaktivistin Dai Qing, die in China lebt und dort Publikationsverbot hat, hatten ihr Interesse angemeldet, zum Symposium mit dem Thema "China und die Welt - Wahrnehmung und Wirklichkeit" am 12. und 13. September 2009 zu kommen. Doch kurz vorher kam die telefonische Ausladung durch Bernd Ripken, Leiter des Internationalen Zentrums der Buchmesse und Projektverantwortlicher des Symposiums. Daraufhin wandten sich die beiden Autoren an die internationale Presse und reisten u.a. mit Unterstützung der deutschen Schriftstellervereinigung P.E.N. nach Frankfurt.
Dai Qing und Bei Ling gaben auf Vorschlag der Organisatoren der Frankfurter Buchmesse und des P.E.N.-Club ein Eingangsstatement auf dem Podium ab. Daraufhin verließ ein Großteil der chinesischen Delegation den Saal. Unter den Offiziellen war auch der Vertreter der chinesischen Botschaft, Zhao Bin. Die chinesischen Delegierten als Mitorganisatoren und Finanzierer der Tagung erklärten sich erst nach dieser öffentlichen Entschuldigung durch Buchmesse-Direktor Juergen Boos bereit, in den Saal zurückzukehren. Sie hätten den Raum aus Protest verlassen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlten, sagte der frühere chinesische Botschafter in Deutschland, Mei Zhaorong. "Wir sind nicht gekommen, um uns in Demokratieunterricht belehren zu lassen. Diese Zeiten sind vorbei", sagte er. Dai Quing und Bei Ling könnten mitdiskutieren, sie repräsentierten aber nicht die 1,3 Milliarden Chinesen.
Eklat am Wochenende nur der Anfang
Das Symposium blieb nicht folgenlos: Buchmesse-Direktor Boos verwehrte sich in einer Pressemitteilung gegen den Vorwurf, die Buchmesse könne, was den Ehrengast China anbelangt, selbst der Zensur unterliegen oder sei gar zensierend tätig. Boos berief auf den kulturellen Anspruch der Buchmesse, "Podium für Autoren, Bücher und Verleger, für kontroverse Positionen aus allen Ländern" zu sein. Schon durch die Präsenz von rund 7.000 Verlagen, 2.900 Veranstaltungen und 10.000 sei Journalisten sicherstellt, dass "Zensur nicht stattfindet." So böte die Buchmesse in diesem Jahr nicht nur dem Ehrengast China eine Plattform - in rund 250 Veranstaltungen werde das unabhängige, das andere China erfahrbar, sagte Boos. Für den Buchmesse-Direktor war das Symposium "ein Testlauf", der klar gezeigt habe, wie groß der Diskussionsbedarf zum Thema China sei. "Es hat mir persönlich nochmals deutlich gemacht: Die Frankfurter Buchmesse hat mit dem Ehrengast China eine Gratwanderung vor sich, die Standhaftigkeit erfordert." Der Eklat am Wochenende sei nur der Anfang einer demokratischen Auseinandersetzung, die auf den Ehrengast China zukomme. Ziel der Buchmesse sei der Dialog sowohl mit dem offiziellen China als auch mit chinesischen Autoren, Wissenschaftlern, Intellektuellen aus China und aus dem Ausland. "Der Kompromiss unseres Projektleiters, mit den Autoren Dai Qing und Bei Ling zu sprechen und ihnen eine Alternative zum öffentlichen Auftritt auf dem Symposium nahe zu legen, war falsch", so Boos. Dafür habe er sich bei den Autoren und der Öffentlichkeit entschuldigt. Kompromisse zu Lasten der Meinungsfreiheit gebe es mit der Frankfurter Buchmesse nicht. "Den Dialog zu ermöglichen ist nicht einfach. Das war uns immer bewusst. Das Symposium hat dies bestätigt. Der Dialog ist jedoch der richtige und einzige Weg."
"Keine wirkliche Diskussion"
Das Symposium habe versagt, hielt Bei Ling dagegen, "weil es zu keiner wirklichen Diskussion gekommen ist". Als am Ende eine Diskussion "aus Zeitgründen" abgebrochen worden sei, habe sich das Symposium "beinahe gänzlich zu einer Propagandaveranstaltung für die chinesische Erfolgsgeschichte gewandelt", so der in den USA lebende Autor. Einziger Erfolg der Veranstaltung sei gewesen, dass chinesische Dissidenten und offizielle Stimmen Chinas "im selben Raum zu Wort" gekommen seien. Er habe jedoch nicht in einen offenen, gleichberechtigten Dialog mit den Teilnehmern aus der Volksrepublik treten können, denn zwischen ihm und der chinesischen Delegation habe es während der zwei Tage "eine subtile Spannung (gegeben), eine Kälte, die sich anfühlte, als seien oppositionelle Kräfte hier zum Kampf angetreten".
Kein Austausch auf der Buchmesse
Die Buchmesse selbst verlief weniger aufgeregt. Nur: ein wirklicher Austausch zwischen dem offiziellen und dem inoffiziellen China fand nicht statt. Die Kritik wuchs. Zhou Qing etwa, P.E.N.-Stipendiat in München, missfiel der offizielle Auftritt seines Landes. "Meine Meinung ist, die Literatur soll die Wahrheit sagen. Eine Regierung soll nicht lügen. Viele unserer Kollegen sitzen im Gefängnis, während diese hohen Herren in Anzügen hier herumrennen." Der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei sagte seinen Besuch ab: Nach seiner Operation in einem Münchener Krankenhaus wegen einer Gehirnblutung verheilten die OP-Narben "relativ langsam". Er müsse sich noch erholen. "Das ist der Hauptgrund. Des weiteren habe ich nicht wirklich Lust auf leere und sinnlose politische Debatten."
Gerüchte machten die Runde, den mit der offiziellen Delegation angereisten Autoren sei ein Maulkorb verpasst worden, konnten aber nicht belegt werden. Verbotene Autoren oder solche, die im Exil leben, kamen zu Wort, allerdings nicht auf den offziellen chinesischen Veranstaltungen. Die tibetische Schriftstellerin Tsering Woeser etwa konnte ihr Buch vorstellen, und der deutsche Schauspieler Hannes Jaenicke mit einer Lesung auf die Lage in Tibet hinweisen.
Zufriedenheit im Kader
Das offizielle China hingegen zeigte sich zufrieden: "Wir haben unser Ziel erreicht", hieß es auf der Pressekonferenz am Buchmesse-Freitag: Gut besuchte Veranstaltungen, zufriedene Verlage und Schriftsteller und vor allem 2.019 Lizenzverträge waren das Fazit, das die chinesische Delegation auf der Frankfurter Buchmesse zog. Zensurvorwürfe wies sie zurück. Zhang Fuhai, Generaldirektor der chinesischen Zensurbehörde GAPP, die den Ehrengastauftritt organisiert hatte, beatwortete die Frage nach der Meinungsfreiheit lapidar: "Wir haben keine Zensur," sagte er. Ob ein Buch veröffentlicht würde, entscheide der Verleger und der Markt, nicht der Staat. Jedoch würde in China eine kriminelle Tat von den Polizeibehörden verfolgt. Wenn ein Schriftsteller gegen das Gesetz verstoße, müsse er mit entsprechenden Maßnahmen rechnen.
Nachspiel mit Rauswurf
Dann kam der Buchmesse-Sonntag, an dem normalerweise nicht mehr viel passiert. In diesem Jahr kam es jedoch anders: Peter Ripken, Leiter des Internationalen Zentrums und Projektverantwortlicher für das im Vorfeld der Buchmesse veranstaltete China-Symposium, verhinderte bei einer Abschlussveranstaltung der Buchmesse im Internationalen Zentrum eine Rede von Dai Qing. Sie habe sich einfach nur bedanken wollen, erklärte die Autorin. Ripken selbst informierte, dass Dai nicht als Rednerin vorgesehen gewesen sei. Das Auswärtige Amt habe als Gastgeber "ausdrücklich" gewünscht, dass es keine Veranstaltung zu China werde", erklärte Ripken. "Ich wollte auch nicht", fügte er hinzu. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte dazu in Berlin, man habe die beiden Dissidenten zu keinem Zeitpunkt eingeladen.
Doch die Reaktion der Buchmesse-Leitung kam prompt und war eindeutig: Sie feuerte ihren China-Projektleiter. Grund seien "anhaltende Abstimmungsschwierigkeiten" mit dem diesjährigen Ehrengast China, hieß es. Hatte es nach dem Symposium so ausgesehen, als hätten die Beteiligten dazu gelernt und seien in der Lage, eine reibungslos verlaufende Messe zu garantieren., belehrte die erneute Absage an Dai Qing die Besucher eines anderen. Fehler, Missverständnisse, widersprüchliche Aussagen: Dies war das Fazit des chinesischen Ehrengast-Auftrittes. In Frankfurt kollidierten das zum Teil verknöcherte Verhalten der offiziellen chinesischen Delegation, das Lavieren der Buchmesse-Verantwortlichen und mangelnde Diplomatie. Der Rauswurf von Peter Ripken zeigte: Der "schwarze Peter" war ausgemacht. Es blieb die Frage, ob er dies alles allein zu verantworten hatte.