Nach 20 Jahren Herrhausen-Mord - viele Fragen offen

Am 30. November 1989 erschütterte eine Explosion Bad Homburg und die Republik: Sie tötete Alfred Herrhausen, den Chef der Deutschen Bank. Auch 20 Jahre nach der Tat ist vieles an dem Mord noch rätselhaft.

Alfred Herrhausen
Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank Bild © picture-alliance/dpa
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20. Todestag: Offene Fragen nach Herrhausen-Mord

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Dieser Donnerstag verspricht ein wunderschöner Herbsttag zu werden. Die Sonne scheint auf Bad Homburg, als sich Alfred Herrhausen kurz vor halb neun von seiner Frau Traudl verabschiedet und dann auf dem Rücksitz seines gepanzerten Mercedes 500 Platz nimmt. Seine Personenschützer springen in ihre zwei Begleitfahrzeuge, und der Konvoi macht sich auf den Weg. Er biegt auf den Seedammweg ein – und dort, wenige hundert Meter von Herrhausens Wohnort entfernt, passiert das Unfassbare: Mit entsetzlicher Präzision reißt eine Sprengfalle Herrhausens Mercedes auf und verletzt den Bankier tödlich.

Dirk Emig war als junger Reporter als einer der ersten am Tatort. In unserer Webreportage schildert er seine Eindrücke.[/box]
Die Mordmaschine ist technisch ausgefeilt: Ein hochpräziser Zündmechanismus bringt sie genau im berechneten Moment zur Detonation. Einige Jahre zuvor hatte der Nato-General Alexander Haig ein Bombenattentat überlebt, weil die Bombe von Hand gezündet worden war und seinen Wagen nur leicht beschädigte. Diesmal zünden die Attentäter die Sprengfalle nicht von Hand, sondern durch eine Lichtschranke, die sie rechts und links der Straße montiert haben - das Kabel für den Sensor haben sie unter dem Asphalt der Straße versenkt, als Bautrupp getarnt. Die Bombe selbst ist als Hohlladung konstruiert – eine regelrechte Panzermine. Sie ruht bis zur Explosion auf dem Gepäckträger eines Kinderfahrrads – unauffällig, aber genau in der gewünschten Höhe.

Wochen haben die Terroristen mit der Vorbereitung des Attentats zugebracht, waren in unmittelbarer Nähe ihres Opfers aktiv. Um derartige Vorbereitungen zu entdecken, hatte das Bundeskriminalamt bei Herrhausen sein Konzept K 106 umgesetzt, das das Umfeld des Bankiers überwachen und dabei auch die Beobachtungen der Bad Homburger Nachbarn aufnehmen soll. Aber das Konzept versagt, die Bombenbauer bleiben unentdeckt.

Die Bombe reißt den Fond des gepanzerten Wagens auf; Herrhausen wird an der Schlagader im Bein verletzt. Binnen Minuten verblutet er. Die Personenschützer versuchen aus Angst vor einer zweiten Bombe nicht, ihn zu bergen. Herrhausens Fahrer überlebt mit schweren Verletzungen. Die Begleitfahrzeuge vor und hinter Herrhausens Wagen tragen nicht mal einen Kratzer davon.

RAF, Stasi, CIA?

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"Black Box BRD"

Der Dokumentarfilmer Andres Veiel hat 2001 die Lebensläufe des Opfers Alfred Herrhausen und des in den Terror-Untergrund abgetauchten Wolfgang Grams porträtiert. In seinem mit hr-Hilfe produzierten Film hat er Angehörige, Vertraute und Kollegen von Herrhausen zu sehr persönlichen Aussagen über den Bankier bewegen können.

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Mit derartiger Präzision könnten nur militärisch ausgebildete Attentäter töten, ist bald zu hören, und so halten sich bis heute hartnäckig Verschwörungstheorien: Stasi-Agenten aus der zusammenbrechenden DDR hätten ihre Finger im Spiel gehabt – oder die CIA. Das halten die Fahnder heute allerdings für ausgeschlossen (siehe Interview) – sie weisen der schattenhaften 3. Generation der RAF die Verantwortung für den Mord zu. Tatsache ist aber auch, dass sie bis heute nur vermuten können, wer die Mörder waren.

Hat der RAF-Terrorist Horst Ludwig Meyer die Bombe gebaut? Die Fahnder vermuten, dass der gelernte Starkstromelektriker Meyer schon die Bombe konstruiert hat, die zwei Jahre zuvor den Siemens-Manager Heinz Beckurts tötete. Meyer kommt 1999 bei einer Schießerei mit der Wiener Polizei ums Leben. Auch andere Spuren der Ermittler erkalten: Ein vermeintlicher Kronzeuge ist psychisch krank und widerruft eine Version nach der anderen. Seine Behauptungen lassen sich nicht erhärten. Haarspuren am Tatort sind nicht verwertbar. Heute haben die Ermittler der Generalbundesanwaltschaft wenig Hoffnung, das Verbrechen jemals völlig aufklären zu können. Am RAF-Hintergrund hegen sie aber weiterhin keine Zweifel.

Reizfigur im Visier der Mörder

Wie ist der Bankier ins Visier der Terroristen geraten? Zu den möglichen Zielen gehört er seit den 70ern – behauptet der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock, der im Gespräch mit der ARD von einer "BB-Liste" erzählt, einer Liste mit "Bänkern und Bonzen", die die RAF zu töten beabsichtigt. Und Herrhausen ist eine öffentliche Figur. Er ist Chef der mächtigsten deutschen Bank und vertritt diese Machtposition selbstbewusst.

"Er hat ganz offen darüber gesprochen, und er war ehrgeizig", sagt sein Vorstandskollege Hilmar Kopper Jahre später dem Dokumentarfilmer Andres Veiel, "er war ehrgeizig, er war sehr ehrgeizig, was seine Ziele anbelangte; Alfred Herrhausen wollte die Nummer eins sein in der Nummer eins." Als Aufsichtsratschef von Daimler-Benz spielt er eine Schlüsselrolle beim Aufbau des größten deutschen Rüstungskonzerns, der entsteht, als der Konzern die Waffenschmiede MBB übernimmt. Er wird damit für linke Extremisten zur Symbolfigur des "militärisch-industriellen Komplexes".

Aus der Nähe besehen ist das Bild der kapitalistischen Reizfigur jedoch nicht stimmig. Herrhausen nimmt Macht für sich in Anspruch – und begreift die Macht als Verpflichtung. Er pflegt unwahrscheinliche Freundschaften wie die zu Kohl – und zu einer jungen linken Abiturientin. Als erster mächtiger Bankier fordert er, der Dritten Welt einen Teil ihrer Schulden zu erlassen – zum Entsetzen seiner Branche und seiner Kollegen. Er leitet den Umbau und die Internationalisierung seiner Bank ein – und isoliert sich dadurch noch weiter im Vorstand. Wenn er überlebt hätte, wäre Herrhausen möglicherweise nicht mehr lange Vorstandssprecher der Deutschen Bank gewesen.

Warum gerade Herrhausen?

Diese Frage stellt auch die Journalistin Carolin Emcke den Tätern - in einem Artikel für die "Zeit", in dem sie sich nach beinahe 20 Jahren an den Tag des Mordes erinnert. Alfred Herrhausen war ihr Patenonkel; sie hat als 22-jährige die Folgen des Attentats aus nächster Nähe erlebt. "Ist ihnen nicht aufgefallen, dass man nur in der Theorie einen Repräsentanten tötet, in der Praxis aber ein Individuum? Haben sie darüber nachgedacht?"

Quelle: hessenschau.de

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