Von der "Staatsposse" zum Happy End Querelen um Kulturpreis
Selten wurde eine Preisverleihung mit so viel Spannung erwartet: Die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 hatte heftige Debatten hervorgerufen, weil der Preis dem Schriftsteller Navid Kermani zunächst aberkannt worden war. Ein Rückblick auf viel Streit, eine Aberkennung und ein Gespräch hinter verschlossenen Türen.
Der Hessische Kulturpreis sollte 2009 an Religionsvertreter vergeben werden, die sich um den kulturellen Dialog verdient gemacht haben. In einer ersten Entscheidung waren Kardinal Karl Lehmann, Ex-Kirchenpräsident Peter Steinacker, Salomon Korn als Vertreter des jüdischen Glaubens und Fuat Sezgin, Leiter des Instituts für Geschichte der arabisch-islamischen Wissenschaften, bestimmt worden. Politische Differenzen zwischen Korn und Szegin um Korns Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt veranlassten den muslimischen Preisträger zurückzutreten. Als neuer Kandidat wurde der muslimische Schriftsteller Navid Kermani vorgestellt. Doch die beiden christlichen Preisträger weigerten sich, zusammen mit Kermani den Preis entgegen zu nehmen, da der gebürtige Siegener in einem Leitartikel in der "Neuen Zürcher Zeitung" sich Gedanken über die Symbolik des christliche Kreuzes gemacht hatte. In seinen Ausführungen über ein Altargemälde von Guido Reni, das den Gekreuzigten zeigt, war unter anderem zu lesen: "Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt. (...) Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie."
Beinahe-Bekehrung übersehen
Solche Worte wollten sich Peter Steinacker und Kardinal Karl Lehmann nicht bieten lassen. Sie warfen Kermani vor, das Kreuz als christliches Symbol fundamental und unversöhnlich angegriffen zu haben. Augenscheinlich aber hatten sie das Ende des Artikels nicht zur Kenntnis genommen, denn Kermani offenbarte eine verblüffende Kehrtwendung. Das Gemälde Guido Renis habe ihm die Augen geöffnet, hatte er geschrieben. Fasziniert von der Begegnung fuhr der aufgeklärte Muslim fort: "Erstmals dachte ich: Ich könnte an das Kreuz glauben." Die Kraft der Jesus-Darstellung hätte ihn fast zum Gesinnungswandel bekehrt, fügte er später in einem Interview hinzu.
Desaströse Informationspolitik
Doch da war die Entscheidung des Preiskuratoriums schon gefallen: Sie erkannte Kermani die Auszeichnung ab - auf wessen Veranlassung wurde nie genau geklärt. Kurz darauf wurde die ursprünglich für den 5. Juli vorgesehene Preisverleihung auf einen nicht näher bestimmten Termin im Herbst verschoben, die Eskalation war perfekt. Kermani wurde nach eigenen Angaben von dieser Aberkennung aber nicht durch die hessische Landesregierung - sie mit dem Ministierpräsidenten an der Spitze vergibt den Preis - informiert, sondern von einem Journalisten, der ihn dazu hatte befragen wollen. In einem Zeitungsartikel machte er sich empört Luft: "Sehr geehrter Herr Koch", schrieb er an den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU), "ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln."
In einem Bericht des ARD-Kulturmagazins "Titel, Thesen, Tempermante" sagte Kermani: "Dass Herr Lehmann und Herr Steinacker bestimmte Dinge anders sehen als ich, das muss ihnen zugestanden werden. Aber dass der Ministerpräsident eines Bundeslandes auf Anweisung zweier Kirchenfürsten gegen alle politischen Gepflogenheiten handelt, weil offenbar das Machtgefüge da so ist, dass er nicht anders kann, das wirft ein sehr, sehr ungutes Licht auf den Staat. Und vor allem ist es nicht vereinbar mit dem säkularen Staatswesen."
"Staatsposse"
Und schon tobte in den Medien eine Meinungsschlacht: Was darf zwischen den Religionen diskutiert werden? Wie politisch ist der Kulturpreis? Und vor allem: Wie steht es mit der Toleranz der beteiligten Preisträger? Navid Kermani selbst sprach von einer "willfährigen Reaktion" des hessischen Ministerpräsidenten, die ein "problematisches Verhältnis von Staat und Kirche" in Hessen offenbare.
Kermani erhielt bundesweit Unterstützung: SPD, Grüne und Linke in Hessen machten ein integrationspolitisches Desaster aus und verlangten von Koch, sich bei Kermani zu entschuldigen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von einer "Staatsposse". Wenn Kermanis "kühner Artikel" über die Empfindungen eines Muslims bei der Betrachtung einer Darstellung der Kreuzigung Christi der Grund für die Entscheidung sei, dann solle der Staat "besser auf die Verleihung von Kulturpreisen verzichten", so Lammert.
Unterstützung für Kermani aus allen Lagern
Ähnlich reagierte Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Es sei "eine große Geste", wenn Steinacker und Lehmann die Auszeichnung nicht entgegen nähmen. Der Vorsitzende des Interkulturellen Rats, der evangelische Theologe Jürgen Micksch, kritisierte in der "Frankfurter Rundschau", dass nur auf Kermani "rumgetrampelt" werde. Jetzt erhielten Steinacker und Lehmann einen Preis für herausragendes Engagement beim Miteinander der Religionen, "ohne dass gefragt wird, was von ihnen dabei tatsächlich geleistet wurde". Ermutigende und vorbildliche Beispiele für das Miteinander der abrahamischen Religionen seien etwa bei Steinacker nicht aufgefallen: "Deswegen ist die Jury zu fragen, warum sie gerade diese Persönlichkeiten ausgewählt hat", so Micksch.
"Schlicht und ergreifend unreif und kindisch"
Für Karl-Josef Kuschels von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen war Kermani "der denkbar ungeeignetste Mann" für einen skandalisierenden Glaubensstreit. Kermani habe sich durch seine Arbeiten "als bedeutender Vermittler von Orient und Okzident im deutschsprachigen Raum empfohlen". "Mit den Füßen getreten" werde der interreligiöse Dialog nach Ansicht des Generalsekretärs des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Die Reaktion von Lehmann und Steinacker sei "schlicht und ergreifend unreif und kindisch", sagte Mazyek dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel".
"Revanche der Funktionäre am Intellekt"
Die Toleranzfähigkeit aller, die aufgrund eines Zeitungsartikels Kermanis über das christliche Kreuz dessen Ausschluss gefordert hatten, stellte der Kulturwissenschaftler Claus Leggewie von der Universität Gießen in Frage: "Das war die Revanche der Funktionäre am Intellekt. Denn Kermani ist ein unabhängiger Kopf, der sich nicht einpressen lässt in ein vorgegebenes Schema, sondern der scharf denkt, nachdenkt und wirklich in die Tiefe des religiösen Gefühls geht. Der Intellektualität und Gläubigkeit miteinander verbindet. Und ganz offenbar war den Herrn diese Portion von Wagemut und intellektueller Courage zuviel."
Gespräch soll Klarheit schaffen
Der hessische Ministerpräsident sah sich in Erklärungsnot - doch er schwieg, so beharrlich, wie die beiden christlichen Preisträger zunächst bei ihrer ablehnenden Haltung blieben. Die Preisvergabe wurde vom 5. Juli auf den Herbst verschoben. Man wolle die vier Preisträger zu einem Dialog bringen. Die Hessische Staatskanzlei teilte mit, Ministerpräsident Koch habe mit Kermani gesprochen und seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der Autor das Gespräch mit den anderen Preisträgern annehmen werde.
Dann meldete sich erstmal ein Kuratoriumsmitglied zu Wort: Hellmut Seemann, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, verteidigte Kermani. Dessen Äußerungen hätten mit Gotteslästerung nichts zu tun. Es könne nicht wahr sein, dass ein als liberal sich gebender und hochgebildeter Kardinal wie der Mainzer Bischof Karl Lehmann sich davon verletzt fühle, sagte Seemann der "Würzburger Tagespost". Ihn als Katholik habe diese Reaktion zutiefst beunruhigt. "Da muss noch eine andere Motivation eine Rolle gespielt haben, die mit Kermanis Artikel nichts zu tun hat. Es wäre für unsere Dialogkultur wichtig, das herauszufinden", so Seemann.
Umschwung in letzter Sekunde
Die Preisverleihung beschäftigte in der Folge den Hessischen Landtag. Auf Antrag der Opposition musste die Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann, dem Wissenschaftsausschuss Bericht erstatten. Die Nachfrage, wer im Kuratorium die Aberkennung des Preises vorgeschlagen habe, ließ sie unbeantwortet. Es gäbe keine Auskünfte zu internen Beratungen des Gremiums.
Schließlich setzten sich die vier Preisträger hinter verschlossenen Türen in Kardinal Karl Lehmanns Mainzer Bischofshaus zusammen. Anschließend teilten sie mit, man habe in einem gut zweistündigen Gespräch alle Aspekte der Kontroverse diskutiert. "Es herrschte eine offene und respektvolle Atmosphäre", hieß es. Und Lehmann, Korn und Steinacker fügten hinzu, sie seien "der Ansicht, dass Herr Dr. Navid Kermani mit dem Hessischen Kulturpreis mit ausgezeichnet werden soll". In diesem Sinne entschied wenig später dann auch das Preiskuratorium unter Roland Kochs Vorsitz - "einstimmig", wie es hieß.
Fehler eingeräumt
Bis zur Preisverleihung wollten nun alle schweigen. Doch am 1. September meldete sich Kardinal Lehmann zu Wort: Er räumte Fehler ein. Er hätte früher Kontakt zu dem muslimischen Schriftsteller Navid Kermani aufnehmen sollen, sagte er. Er habe aber niemals die Streichung Kermanis von der Preisträger-Liste betrieben. Er machte auch die Schuldigen aus: Es habe in den Medien "unglaubliche Verdrehungen der wirklichen Geschehnisse und ausgesprochene Unwahrheiten" gegeben. Berichte, der frühere evangelische Kirchenpräsident Peter Steinacker und er hätten die Streichung Kermanis von der Preisträgerliste betrieben, seien falsch gewesen. "Ich habe nie direkt darauf eingewirkt, dass Dr. Kermani der Preis aberkannt worden ist", so Lehmann. "Wohl habe ich mich um eine klarstellende Interpretation des Textes bemüht. Auch mein Glaube, für den ich stehe, verdient Respekt und Schutz."
Klärung im Landtag gefordert
Diese Aussage brachte die Opposition im Landtag wieder auf den Plan: Trotz des klärenden Gespräches der Preisträger müsse Koch die Vorgänge um die zwischenzeitliche Aberkennung des Preises an den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani klären, forderten Anfang Oktober Redner von SPD, Grünen und Linken. Die Gründe für die Aberkennung des Preises seien bis heute nicht nachzuvollziehen, sagte die kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Sarah Sorge: "Nachdem Kardinal Lehmann öffentlich deutlich gemacht hat, dass er die Aberkennung (...) nie verlangt habe, liegt nahe, dass Koch selbst die Aberkennung betrieben hat."
Koch habe keinen Grund, sich zu entschuldigen, sagte dagegen Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU). In einer Mitteilung der CDU-Fraktion ergänzte der Kulturpolitiker Rolf Müller (CDU), dass man einen Prozess des interreligiösen Dialogs nicht verordnen könne, auch ein vorübergehendes Scheitern könne produktiv sein. "Der Prozess mit seinen persönlichen Betroffenheiten und Missverständnissen war ein wichtiger Teil des gegenseitigen Verstehens und des Lernens", so Müller.
Happy End im Kurhaus
m 26. November 2009 war es dann so weit: Ministerpräsident Roland Koch verlieh den Hessischen Kulturpreis 2009 an alle vier Preisträger. Und er entschuldigte sich bei Kermani, dass der Autor davon zuerst von Journalisten und nicht vom Kuratorium erfahren habe. Das habe den Konflikt kompliziert, emotional verschärft und Kermani in eine schwierige Situation gebracht. "Dafür entschuldige ich mich persönlich und für alle, die daran beteiligt waren", sagte Koch.
Kermani nahm die Entschuldigung an: "Selbstverständlich freue ich mich über die versöhnlichen Worte des Herrn Ministerpräsidenten." Der Konflikt um den Preis sei bei aller Schärfe im Ton friedlich und konstruktiv gewesen. Zugleich hielt er aber an seiner scharfen Kritik an Kochs früherem Umgang mit Ausländerthemen fest. Berührt zeigte sich Kermani von der Unterstützung der Öffentlichkeit, vor allem vieler Christen.
Koch blieb dabei, dass eine Ehrung ohne die Vertreter des Christentums für ihn nicht denkbar gewesen wäre. Er betonte bei der Feierstunde die Schnittmengen der drei monotheistischen Religionen. Sie erhöhten die Chance friedvollen Zusammenlebens und seien ein Wertefundament zum Dialog. Die Preisvergabe sei richtig, auch wenn der Weg zu ihr "holprig, nicht frei von Fehlern und Irrtümern" gewesen sei. Koch betonte, das Kuratorium verleihe Kermani den Preis "aus voller Überzeugung".
Kermani erklärte, er habe von seinem literarischen Text über das Kreuz nichts zurückzunehmen. Er habe aber bei der Annahme des Preises zu wenig beachtet, dass er in den Augen der anderen als Vertreter seiner Religion geehrt werde. So seien auch seine Texte betrachtet worden, während er sich selbst weiter als nur der Literatur verpflichteter Autor begriffen habe.
Dankesreden ermuntern zu Dialog und Selbstkritik
Korn sagte in seiner Dankesrede, Widersprüche seien im Dialog der Religionen unvermeidbar. Nötig sei auch die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Strömungen der eigenen Religion. Kardinal Lehmann betonte, im interreligiösen Dialog gelte es, jede Attitüde der Überheblichkeit zu vermeiden, aber zugleich Schwachstellen anzusprechen.
Steinacker sagte, "Konflikte können auch eine weiterführende Dynamik haben, wenn sie sich an das Gebot der Toleranz halten". Diese Toleranz habe er im literarischen Text Kermanis vermisst. Die anschließende Aussprache der Preisträger darüber habe dies aber geändert und sei zu einem der wichtigsten Momente seines Lebens geworden, so Steinacker.