Verleihung in der Paulskirche Friedenspreis für Boualem Sansal

Der algerische Autor Boualem Sansal ist mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. "Wenn man sich befreien will, dann muss man es friedlich tun", so die Botschaft des 62-Jährigen, dessen Bücher in seiner Heimat verboten sind.

Friedenspreisträger Boualem Sansal
Friedenspreisträger Boualem Sansal Bild © picture-alliance/dpa
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Friedenspreis für algerischen Autor Boualem Sansal

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"Es ist uns eine Ehre, der überaus mutigen Mahnung für die Freiheit der Menschen ein Echo zu verschaffen", sagte der Vorsitzende des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, zum Auftakt der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche. Der Zorn habe Boualem Sansal im Alter von 50 Jahren zum Schreiben gebracht. Bis heute sei seine Stimme - trotz vieler Repressalien - nicht verstummt. "Es ist sein Mut, den wir heute ehren."

"Die Literatur ist eine langsame Gewalt, aber es gibt keinen Felsen, der ihr auf Dauer widerstehen könnte", sagte der Schweizer Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Peter von Matt, der die Laudatio auf Boualem Sansal hielt. Er sei nicht nur unbändiger Erzähler und Künstler, sondern auch politischer Kopf, ohne einer Partei anzugehören. Seine Bücher seien witzig und weise, dabei jedoch stets unerbittlich im Aufdecken von Missständen. "Boualem Sansal ist nur eine einzelne Stimme, die auf die langsame Wirkung der Literatur glaubt. An diese ausdauernde Kraft, die die Wurzel des Felsens sprengt." Mit den Worten "Wer den Frieden liebt, sollte ihm dankbar sein", schloss von Matt seine emotionale Ansprache. 

"Ich bin jetzt ein Soldat des Friedens" 

In seiner Dankesrede sprach Boualem Sansal von einer aufmunternden Geste. Der Friedenspreis zeuge von Interesse dafür, "wie wir Völker des Südens versuchen, uns vom Joch unserer bösartigen und archaischen Diktaturen zu befreien". "Es war ein Riesenschock für mich, als ich erfuhr, dass ich in diesem Jahr diesen wichtigen Preis bekommen soll", erklärte Sansal bescheiden. Für ihn, der eher schüchterner Natur sei, bedeute diese Auszeichnung eine persönliche Veränderung. "Ich diente unbewusst dem Frieden, jetzt diene ich ihm bewusst. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber ich werde mich bemühen." Der Friedenspreis sei eine Art Zauberstab, die ihn nun zu einem "Soldaten des Friedens" mache. Mit Blick auf seine Heimat Algerien sagte Sansal, sein Land sei unglücklich und zerrissen, seine politischen Führer zu allem fähig. Es habe nichts anderes kennengelernt als Diktatur, die der Waffen und die der Religion. Der schwerste Kampf stehe noch bevor: "Dass wir uns endgültig befreien und uns neu definieren, in einem demokratischen, offenen, großzügigen Staat, der jedem einen Platz gewährt und niemandem etwas aufzwingen will." 

Sansal fordert Ende des Nahost-Konflikts 

Man müsse sich von dem Gedanken lösen, dass sich ein Friede aushandeln lasse, betonte Sansal im Hinblick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt: "Aushandeln lassen sich Modalitäten, Formen, Etappen, aber der Frieden selbst ist ein Prinzip; er muss öffentlich verkündet werden, auf feierliche Weise. Man muss sagen: Friede, Schalom, Salam, und sich dann die Hand reichen."

Der 62-jährige Boualem Sansal ist ein scharfer Kritiker der Regierung von Präsident Abdelaziz Bouteflika. Alle Bücher des oppositionellen Schriftstellers sind in seinem Heimatland Algerien verboten worden. 

Bereits wenige Tage zuvor hatte Sansal sich den Fragen von Journalisten gestellt. Dabei warnte er vor einem Scheitern der arabischen Revolution. In der offiziellen Begründung für die Ehrung mit dem Friedenspreis heißt es, Sansal sei ein leidenschaftlicher Erzähler, geistreich und mitfühlend, der die Begegnung der Kulturen in Respekt und wechselseitigem Verstehen befördere: "Boualem Sansal gehört zu den wenigen in Algerien verbliebenen Intellektuellen, die offen Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen üben." 

Präsidentenmord als Auslöser fürs Schreiben 

Erst im Alter von 50 Jahren hatte Sansal sein erstes Buch veröffentlicht. Einer der Auslöser mit dem Schreiben zu beginnen, war die Ermordung von Präsident Muhammad Boudiaf. Damals arbeitete Sansal noch als Beamter im Ministerium. "Ich habe schon immer viel gelesen, ein guter Freund ermutigte mich dann dazu, es auch mit dem Schreiben zu versuchen."

Doch was er schrieb, gefiel den Herrschenden nicht: "Zunächst haben sie versucht, mich auf ihre Seite zu ziehen, doch als das nicht funktionierte, begannen die Schikanen." Sansal verlor seinen Arbeitsplatz, seine Frau durfte nicht mehr als Lehrerin an einem Gymnasium unterrichten, sogar sein Bruder verlor seinen Laden. "Die Regierung stellte mich als Teufel dar, damit die Menschen meine Bücher nicht kaufen." 

Viele Menschen in Algerien kennen seine Bücher tatsächlich nicht. Die Autoren schreiben häufig in fremden Sprachen und veröffentlichen ihre Werke im Ausland. "In meiner Heimat spielen Bücher leider nur eine sehr schwache Rolle. Aber die Ideen aus unseren Werken, die zirkulieren im Land. Auch wenn die Menschen nicht wissen, wer sie geschrieben hat." 

Die arabische Revolution könnte scheitern

Ob das jedoch genüge, einen stabilen Wandel in der arabischen Welt herbeizuführen, bezweifele Sansal. "Man muss einen Wandel bei den Ideen herbeiführen. Wenn man sich befreien will, dann muss man es auf friedliche Weise tun, sonst hat man gleich die nächste Diktatur", sagt er. Und so fürchte Sansal auch ein Scheitern der arabischen Revolution. 

"Es gibt Neues, aber ich bin pessimistisch." Die Diktatoren seien vertrieben worden, aber das militärische und religiöse System bestehe weiter. Ein anderes Problem sei das Festhalten an archaischen Traditionen. Das Volk stelle seine eigene Gefahr dar. Männer unterdrückten ihre Frauen, Stämme ihre Mitglieder, sagte Sansal. Das sei noch schlimmer als die Repression durch Armee oder Islamisten. Eine Revolte sei die eine Seite, "aber um eine Revolution zu machen, müssen wir uns ändern." 

Friedenspreis mit Signalwirkung

Sansal betont, dass die Mobilisierung der Bevölkerung die eine Seite einer erfolgreichen Veränderung sei. Für unverzichtbar hält er jedoch die Hilfe des Westens. Politische und wirtschaftliche Unterstützung sei enorm wichtig, um die arabische Welt in die Demokratie zu führen. Und so sieht er in der Verleihung des Friedenspreises nicht nur eine persönliche Ehrung, sondern vielmehr die Signalwirkung für sein Land. "Für die Menschen in Algerien ist das ein enorm wichtiges Zeichen. Sie sehen, dass ein großes Land wie Deutschland unsere Sache unterstützt." Der Friedenspreis zeige vielen Algeriern: "Der Westen glaubt an uns."

Quelle: hessenschau.de

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