Black History Month Joana Tischkau: "Ich habe Angst vor einem Backlash"
Ballett und Schlager - für die Künstlerin Joana Tischkau kein Widerspruch. Die Tänzerin und Choreografin erzählt im Interview, warum beides zur deutschen kulturellen Identität gehört und warum Kulturkürzungen der Demokratie schaden.
Joana Tischkau ist Choreografin und Regisseurin und gehört zu den aufregenden Stimmen Deutschlands in der Welt der Performing Arts. Die in Frankfurt und Berlin lebende Künstlerin beschäftigt sich in ihren Stücken mit Rassismus und Feminismus und geht der Frage nach, wie Schwarze Deutsche ihre Heimat sehen und erzählen.
Warum ihr neues Stück "Ich nehm dir alles weg – Ein Schlagerballett" heißt, was das mit dem Offenbacher Rapper Haftbefehl zu tun hat und warum sie große Angst vor den Kürzungen im Kulturbereich hat, erzählt Joana Tischkau im hessenschau.de-Interview.
Das Gespräch führte Jan Tussing
Ende der weiteren Informationenhessenschau.de: Das "Schlagerballett" ist schon vom Wort her eine Mischung aus Populär- und Hochkultur. Wie passt das für Sie zusammen?
Joana Tischkau: Den Begriff Schlagerballett habe ich mir nicht ausgedacht, sondern der kommt ganz dezidiert von der Choreografin Pina Bausch. Er ist eine Mischung aus Hoch- und Popkultur und stammt aus den 1970er-Jahren.
Ich glaube damals hatte der Begriff Schlager keine abwertende Konnotation. Es war einfach ein Teil der Musik und natürlich konnte man auch dazu Choreographien oder Tänze machen. Heute haben wir einen eher abwertenden Blick auf diesen Begriff. Ich will schauen, wie sich die Bedeutung von bestimmten popkulturellen Artefakten oder Produkten verändert über die Zeit. Und ich frage: Ist Pina Bausch heute noch zeitgemäß?

hessenschau.de: Also ist ihr Stück keine Kritik an Schlagermusik. Was ist es dann?
Joana Tischkau: Ich habe mit einer Künstlerkollegin dazu einen Begriff erfunden. Wir nennen es "haten mit Herz". Also wie können wir inbrünstig hassen, mit Leidenschaft und Liebe? Es gibt in der Schwarzen Community den Begriff "tough love". Also wenn man etwas kritisch betrachtet und sich auch Zeit nimmt, etwas wirklich zu kritisieren und auseinanderzunehmen.
Darin steckt ja auch immer der Wunsch, etwas verändern zu wollen. Man ist bereit, Leidenschaft und Energie reinzustecken. Das bedeutet, dass der Blick nie einseitig sein kann, sondern immer differenziert und komplex. Und ich glaube, das ist auch meine Herangehensweise an meine Arbeit.
hessenschau.de: Was bedeutet der Titelzusatz "Ich nehm dir alles weg"?
Joana Tischkau: Das ist ein bekannter Songtitel von unserem Offenbacher Liebling, Haftbefehl. Die Frage ist: Was bedeutet der Begriff Schlager eigentlich? Und wenn wir historisch gucken, bedeutet der ja eigentlich nur, dass ein Song massenkompatibel und erfolgreich war. Ein Schlager!
Und eigentlich sind dann zeitgemäße Songs oder Rapper, Künstler wie Haftbefehl auch Schlager, weil sie eben erfolgreich sind. Und so hat dieser Begriff natürlich überhaupt keine abwertende Konnotation mehr.
hessenschau.de: Aber Rap oder Schlager sind doch für ganz verschiedene Gesellschaftsgruppen identitätsstiftend…? Welche Rolle spielt Identität in ihrem Stück?
Joana Tischkau: Ich glaube schon, dass Identität eine große Rolle spielt, aber gar nicht so sehr in Bezug auf Individuen, also etwa auf die Performerin oder in Bezug auf mich. Es geht eigentlich um eine kollektive Identität.
Wie begreifen wir uns als Deutsche? Was ist deutsche Kultur und was sind dann die die Eckpfeiler, die deutsche Kultur ausmachen? Und da gehört Pina Bausch mit ihren Choreografien, die heute zur Hochkultur zählen, dazu. Und deutschsprachige Musik gehört auch dazu. Auch deutscher Hip Hop oder deutscher Rap gehören dazu. Das sind alles Kulturprodukte, die über Jahrzehnte gewachsen sind und stilprägend für ganz viele Dinge und Menschen waren.
hessenschau.de: Was sind generell Ihre Themen und sehen Sie diese immer durch eine politische Brille?
Joana Tischkau: Ja, ich glaube schon, dass ich eine politische Brille aufhabe, aber eher aus einer gewissen Notwendigkeit heraus. Das passiert, wenn man sich mit bestimmten Identitäten auseinandersetzt. Als Schwarze Person in Deutschland sucht man sich ja nicht aus, mit dieser Identität belegt zu werden. Das passiert von außen. Das heißt, es gibt ein jahrzehntelanges Herausschreiben von nichtweißen Identitäten in Deutschland.
Mein Thema ist, mich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Schwarze Menschen leben schon immer in Deutschland. Was ist deren Geschichte und wie haben sie aktiv die Kultur, aber auch das Leben, die Werte, die Idee dessen, was Deutschland ist, mitgeprägt? Ich glaube, das ist natürlich politisch, wenn man etwas sichtbar macht, was im Mainstream nicht so sichtbar ist.
hessenschau.de: Im vergangenen Jahr haben Sie den Tabori-Preis erhalten. Die bundesweite höchste Auszeichnung in den Freien Darstellenden Künsten ist mit 100.000 Euro dotiert. Was bedeutet eine Auszeichnung für Ihre Arbeit?
Joana Tischkau: Das war das erste Mal, dass der Tabori Preis mit so einer hohen Summe dotiert worden ist. Deswegen war ich natürlich überrascht und extrem geehrt, als ich den Preis bekommen habe. Die hohe Summe bedeutet, dass der Preis für die künstlerische Arbeit gedacht ist - quasi wie eine zusätzliche Förderung.
Es bedeutet, dass ich einfach in den nächsten zwei Jahren meine Arbeit weitermachen kann - was ja angesichts der Kürzungen, die bundesweit gerade bevorstehen, natürlich eine sehr privilegierte Position ist. Ich bekomme Geld, das ich nach meinem Denken in meine Arbeit investieren kann, und das gibt mir eine extreme Freiheit.
hessenschau.de: Zum einen werden die Mittel der freien Szene immer weiter gekürzt, zum anderen erleben wir einen internationalen Backlash, was die Sichtbarkeit und Rechte von Minderheiten angeht. Macht Ihnen das Angst?
Joana Tischkau: Natürlich macht mir das Angst. Aber es ist nicht so, dass wir vorher nicht schon gespürt haben, dass gewisse Teile der Gesellschaft etwa unser "Deutsches Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music" (2021) nicht gerne sehen. Wir haben von rechten Blogs und rechten Medienmachern Zuschriften bekommen. Es wurde zum Teil auch sehr rassistisch berichtet.
Das Erschreckende ist, dass es jetzt halt so öffentlich, so sichtbar passiert und sich auch nicht wirklich in der Gesamtgesellschaft dagegen gewehrt wird. Der Aufschrei ist ziemlich klein und schwach dafür, wenn man bedenkt, was gerade alles für Rechte beschnitten werden. Das ist unglaublich und das macht mir auf jeden Fall Angst.
hessenschau.de: Aber es protestieren doch derzeit sehr viele Menschen für Demokratie, Vielfalt und gegen rechts….?
Joana Tischkau: Ja, es stimmt schon, es gehen viele Leute auf die Straße. Trotzdem sehe ich oftmals, dass das ein symbolischer Protest ist. Ich glaube, im gesellschaftlichen Zusammensein und Zusammenleben kommt die Message nicht so richtig an. Im Gegenteil: Freundinnen von mir werden auf der Straße angespuckt. In der S-Bahn wird man offen rassistisch beleidigt.
hessenschau.de: Glauben Sie, dass politische Kunst in diesem rauen Klima weiter möglich ist?
Joana Tischkau: Ich glaube, politische Kunst und widerständige Kunst wird es immer geben. Sie wird aber vielleicht in den Untergrund wandern oder weniger sichtbar sein. Gerade für viele Artists of Colour oder für viele Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung werden die Möglichkeiten weniger, eine Bühne zu bekommen.
Das sehe ich auch jetzt schon, weil diejenigen, die eben gerade mit Ach und Krach vielleicht mal eine Förderung bekommen haben oder irgendwo reingerutscht sind, die ersten sind, die wieder aufgeben müssen, weil das die Schwächsten sind. Mir wird jetzt schon von abgesagten Auftritten oder Gastspielen berichtet. Und da habe ich Angst, dass die Fortschritte und Errungenschaften, die auf vielen Ebenen in den letzten paar Jahren gemacht worden sind, ziemlich schnell auch wieder plattgemacht werden.
hessenschau.de: Die AfD hat ein eher völkisches Bild von Kultur, die CDU ein klassisch-konservatives Kulturverständnis. Rechnen Sie nach der Wahl mit noch drastischeren Kürzungen im Kulturbereich?
Joana Tischkau: Es ist ja schon eingetroffen, siehe Berlin, der Senat kürzt besonders bei Einrichtungen, die sich um die Kunst und Kultur in sogenannten sozialen Brennpunkten kümmern. Oder bei Initiativen, die mit Geflüchteten arbeiten oder versuchen, Gehör für Stimmen zu geben, die eben nicht so oft Gehör finden. Das wird gerade alles zugemacht und weggekürzt.
Einerseits behauptet der Kultursenator, einer seiner Kernpunkte sei Teilhabe oder Partizipation. Und gleichzeitig werden genau die Programme weggekürzt, die das möglich gemacht haben.
hessenschau.de: Warum sind Kulturorte wie etwa Theater für die Gesellschaft, für die Demokratie so wichtig?
Joana Tischkau: Statt immer drastischerer Kürzungen bräuchten wir eher ein dezidiertes Zeichen aus der Politik: "Nein, wir glauben daran, dass Kultur die Gesellschaft zusammenhält und der soziale Kitt ist und auch Dialoge möglich macht zwischen Positionen, von denen man glaubt, dass kein Dialog mehr möglich ist."
Räume wie hier in Frankfurt den Mousonturm oder alle Theater müssten wir als Gesellschaft doch eher weiter öffnen und noch freier zugänglich machen. Wir brauchen diese öffentlichen Räume, die für Debatten, Diskurse und Streit zur Verfügung stehen.