9 Fragen an den Skywalk-Bauer von Willingen Was machen Sie, wenn Sie in 100 Metern Höhe auf Toilette müssen, Herr Lauber?
Er arbeitet in schwindelerregender Höhe - bei Regen, Kälte und Windgeschwindigkeiten bis 160 km/h: Kevin Lauber baut mit seinem Team den Skywalk in Willingen. Wir haben mit ihm über den Baufortschritt, Höhenangst und die "dringendste" Frage gesprochen.
665 Meter lang, bis zu 100 Meter hoch und in direkter Nachbarschaft zur Mühlenkopfschanze: In Willingen entsteht die längste Fußgänger-Hängebrücke Deutschlands. Eigentlich sollte das Mega-Bauwerk längst fertig sein, doch zweimal musste der Weiterbau verschoben werden. Jetzt geht es endlich weiter - im Sommer soll der Skywalk eröffnet werden. Dafür mitverantwortlich: Kevin Lauber, Geschäftsführer der Schweizer Baufirma Swissrope. Zusammen mit seinem Team hat er schon unzählige Brücken-Projekte umgesetzt.
hessenschau.de: Welchen Blick haben Sie von da oben?
Kevin Lauber: Wenn man die Brücke betritt, steht man erstmal in den Baumwipfeln. Die verlässt man irgendwann und die Höhe nimmt stetig zu. Weiter vorne hat man eine schöne Aussicht über das Strycktal und auf der anderen Seite in Richtung Ettelsberg. Und dann hat man den Ausblick über das Willinger Viadukt und über die ganze Skisprungschanze.
hessenschau.de: Wenn das Wetter schön ist. Sie sind bei den Bauarbeiten aber auch Regen, Wind und Sturm ausgesetzt. Ab wann müssen Sie abbrechen?
Lauber: Es kommt immer darauf an, ob es nur regnet oder windig ist - oder beides zusammen. Irgendwann wird es unerträglich, vor allem vorne auf der Brücke, wo man 100 Meter in der Luft ist. Dort ist es immer sehr windig, und wenn dann Regen dazu kommt, wird es ziemlich heftig. Seit dem Weiterbau im Frühling hatten wir das zum Glück noch nicht, dass wir sagen mussten: "Es geht nicht."
hessenschau.de: Die Brücke sollte schon im letzten Jahr fertig sein. Das hat nicht geklappt. Lag das am Wetter?
Lauber: Den Bau haben zwei Dinge verzögert. Das eine war die Zulassung einer Klemme, die länger gedauert hat, und das andere war tatsächlich das Wetter. Es lag ein halber Meter Schnee auf der Baustelle. Wir haben noch versucht, die Arbeiten fortzusetzen, aber das war chancenlos.
Wenn uns am Gletscher ein Werkzeug runterfällt, ist das blöd - in Willingen wäre das fatal.Zitat Ende
Sobald Schnee auf den Seilen liegt, können wir nicht mehr arbeiten. Unser Montagefahrzeug hat Gummiantriebsräder, und wenn die vereist sind, fährt es nicht mehr. Deshalb haben wir entschieden, erst im Frühjahr weiterzumachen, wenn sicher kein Schnee mehr fällt.
hessenschau.de: Was ist die größte Herausforderung bei der Baustelle in Willingen?
Lauber: In Willingen gibt es eine Besonderheit: die Menschen direkt unter der Baustelle. Unten liegen ein Restaurant und ein großer Platz, wo sich immer wieder Besucher aufhalten, die die Schanze besichtigen.
Wenn einem irgendwo über einem Gletscher ein Werkzeug herunterfällt, dann ist das ein bisschen blöd, aber viel mehr passiert da nicht. Aber wenn hier etwas herunterfallen würde, wäre das fatal.
Wir haben viele Vorkehrungen getroffen, um das zu verhindern. Das Team weiß ganz genau, dass es hier besonders aufpassen muss. Zusätzlich haben wir unter unserem Fahrzeug ein Netz gespannt. Sollte etwas runterfallen, wird es dort aufgefangen. Außerdem haben wir die Werkzeuge angeleint, sie sind mit einem Karabiner an unseren Gurten befestigt.
hessenschau.de: Wenn Sie da in 100 Metern Höhe hängen und müssen mal auf Toilette - was machen Sie dann?
Lauber: Runterpinkeln (lacht). Nein, das ist ganz einfach. Bevor man losfährt, muss man sich gut überlegen, ob man noch mal zur Toilette muss, oder ob man noch etwas braucht, denn dann ist man für anderthalb Stunden weg. So lange gibt es keine Möglichkeit, die Arbeit zu unterbrechen.
Wenn man so lange nicht einhalten kann, ist man nicht geeignet für den Job in der Luft. Aber wir machen auch Arbeiten, die am Boden durchgeführt werden.
Lauber und sein Team sind zu acht: Vier von ihnen arbeiten am Boden, vier in der Luft. Sie montieren Gitterplatten für den Brückenboden mit einem Montagewagen. Das Fahrzeug hängt an gespannten Tragseilen in der Luft. In der Mitte befindet sich ein Magazin, darin das benötigte Material.
Ist das Magazin leer, fährt die Crew den Wagen an das Materiallager an einem der Brückenköpfe. Hier wird das leere Magazin rausgezogen und ein volles eingeschoben. Etwa anderthalb Stunden braucht das Team in der Luft, um das Material zu verbauen. In der Zwischenzeit füllt das Team am Boden das zweite, leere Magazin wieder auf.
hessenschau.de: Was unterscheidet den Bau in Willingen vom hochalpinen Bereich, wo Sie sonst arbeiten?
Lauber: Es ist ein Riesenunterschied, ob man in Willingen eine Brücke baut oder bei uns in der Schweiz, in Österreich oder auch in Frankreich. Bei dem Projekt in Willingen haben wir gemerkt, dass es kaum vergleichbare Projekte in Deutschland gibt. Es werden viele Fragen gestellt, die für uns Alltag sind.
Vor allem die Wetterverhältnisse sind für uns Peanuts. Wir haben eine Brücke in der Nähe von Zermatt auf 2.600 Metern Höhe gebaut, bei Windgeschwindigkeiten zwischen 150 und 160 Kilometern pro Stunde. So etwas wird in Willingen niemals passieren.
Gegen Höhenangst hilft, sich ausschließlich auf die Arbeit zu fokussieren und zu vergessen, wo man sich befindet.Zitat Ende
Außerdem haben wir hier auf beiden Seiten der Baustelle die Möglichkeit, mit schweren Maschinen und Lkw heranzufahren. Wir können das Material dort problemlos herumbewegen und können sogar einen Kran aufstellen, wenn das nötig ist.
Zu den hochalpinen Baustellen hingegen muss das ganze Material mit dem Hubschrauber gebracht werden. Das muss dann auch gut koordiniert sein, weil man vergessenes Werkzeug nicht mal eben kurz holen oder schnell kaufen kann, wenn etwas fehlt.
hessenschau.de: Welche Projekte haben Sie schon realisiert?
Lauber: Das Projekt bei Zermatt ist eine fast 500 Meter lange Brücke, die damals einen Guinnessbuch-Eintrag für die längste Fußgängerbrücke bekommen hat. Es war eine Riesenherausforderung, diese Brücke zu bauen, weil die Zugänglichkeit zur Baustelle bei null lag.
Die Teams wohnten wochenweise oben auf einer Hütte. Da ist es wichtig, dass man sich gut versteht, wenn man so lange auf engem Raum zusammenlebt. Es ist dann nicht so, dass man sagt: "Jetzt habe ich Feierabend und muss dich nicht mehr sehen." (lacht)
Letztes Jahr haben wir ein Projekt in Modane in Frankreich umgesetzt. Dort wird ein Eisenbahntunnel für die Strecke von Lyon nach Turin durch die Berge gebaut. Unsere Hängebrücke hat auf dem Boden statt der Gitterroste ein Förderband. Damit wird der Ausbruch vom Tunnel auf die andere Talseite transportiert.
Auch wenn auf der Brücke in Willingen 700 Menschen laufen können, ist das nichts im Vergleich zu dem Ausbruchmaterial aus dem Tunnelbau. Dort werden 1.000 Tonnen Material pro Stunde gefördert.
hessenschau.de: Stand jetzt soll die Brücke in Willingen im Sommer fertig werden – schaffen Sie das?
Lauber: Kein Kommentar! (lacht) Es gibt zwei Punkte, die das beeinflussen und die wir nicht ändern können. Das eine ist das Wetter, wobei ich mir da aktuell keine Sorgen mache.
Das andere ist, wie lange es mit den Abnahmen und Genehmigungen dauert, bis die Brücke eröffnet werden darf. Das ist in Deutschland schwieriger, weil es weniger Erfahrung mit solchen Bauwerken gibt. Bei dem Projekt gibt es sechs Prüfingenieure und jeder muss sein "Go" geben - vorher dürfen wir nicht öffnen.
Zum Vergleich: In der Schweiz haben wir für solche Projekte einen Prüfingenieur, der schon Ähnliches oder Identisches gemacht hat. In Deutschland wurde abgelehnt, dass wir einen Prüfingenieur aus der Schweiz nehmen, der sich damit auskennt.
hessenschau.de: Wenn Touristen ab Sommer über die Brücke laufen, sollten sie keine Höhenangst haben. Haben Sie Tipps, wie man das in den Griff bekommt?
Lauber: Höhenangst kommt nicht in allen, aber in vielen Fällen, von fehlendem Vertrauen. Wenn man auf die Brücke geht, hat man ja grundsätzlich Angst vor dem Herunterfallen. Aber herunterfallen könnte man nur, wenn zum Beispiel ein Seil reißen würde. Im Prinzip fehlt also das Vertrauen in das Bauwerk selbst.
Wenn ich einen Arbeiter habe, der sich in der Höhe unwohl fühlt, muss der sich zum einen davon überzeugen, dass er nicht runterfallen kann, also Vertrauen gewinnen. Zum anderen ist es sehr gut, sich ausschließlich auf die Arbeit zu fokussieren und zu vergessen, wo man sich befindet.
Und genau diese zwei Tricks funktionieren auch beim Begehen einer Brücke. Entweder man überzeugt sich selber davon, dass alles richtig gebaut ist, oder man vergisst, dass es hundert Meter runter geht – sondern guckt geradeaus und läuft. Ich kann mir gut vorstellen, dass das nicht für jeden möglich ist. Aber wenn jemand wirklich will, dann kann es klappen, dass man diese Angst überwindet.
Das Gespräch führte Stefanie Küster.