Tipps zum Pilzesammeln Warum der Experte die Finger von Champignons lässt
Pilzesammeln ist derzeit so beliebt wie lange nicht mehr. Ein mittelhessischer Pilzexperte gibt Einsteigertipps, erklärt, was Pilz-Apps taugen - und warum ihm selbst inzwischen der Appetit auf Waldpilze vergangen ist.
Harald Zühlsdorf ist der Typ Gesprächspartner, der sich gerne selbst mitten im Satz unterbricht – nämlich dann, wenn in seinem Augenwinkel etwas Interessantes im Moos aufblitzt. "Riechen Sie mal hier dran", sagt er, und pult einen etwas wabbeligen kleinen Pilz von einem morschen Baumstamm auf dem Waldboden bei Biebertal (Gießen) ab.
Ehrlich gesagt: Für mich riecht hier irgendwie alles recht ähnlich. Hauptsächlich nach Erde und auch ein bisschen modrig. Aber Zühlsdorfs Nase ist offenbar geschulter als meine. "Knoblauch", stellt er fest und nennt auch direkt den kompliziert klingenden Namen des Pilzes: ein Langstieliger Knoblauchschwindling. Und tatsächlich, da rieche ich die strenge Knoblauchfahne auch. "Und das hier ist ein Schwarzgezähnelter Rettich-Helmling", erklärt Zühlsdorf ein paar Meter weiter. Auch das erkennt er zuerst am Geruch. "Die Pilze dieser Art sind alle giftig."
Harald Zühlsdorf ist seit 20 Jahren ausgewiesener Pilz-Experte. Er gibt Wochenend-Seminare und VHS-Kurse, regelmäßig sitzt er im Wetzlarer Rathaus und hält dort eine Pilz-Sprechstunde ab, außerdem ist er der hessische Landeskoordinator für die Pilzkartierung. "Ich kann etwa 900 bis 1.000 Pilze aus dem Kopf heraus bestimmen", sagt er. Angesichts der rund 10.000 verschiedenen Arten, die es in unseren Breitengraden gibt, sei das allerdings gar nicht mal so viel. "Außerdem werden immer wieder neue entdeckt."
TikTok-Trend Pilzesammeln
Dass er heute Zeit hat, ist nicht selbstverständlich, denn mit seinem über viele Jahre zusammengesammelten Wissen ist der Pilzexperte momentan äußerst gefragt: Pilzesammeln erlebt derzeit eine kleine Renaissance. Auf Youtube und TikTok bekommen Videos von entzückten Steinpilz-Jägern Klicks bis in die Millionen hinein, "Pilzesammeln für Anfänger"-Erklärvideos haben Hochkonjunktur.
Auch Zühlsdorf bemerkt, dass Kurse zur Pilzbestimmung derzeit auffällig gefragt sind, die Wartelisten seien deutlich länger als sonst. Er vermutet: "Vielleicht liegt das immer noch daran, dass sich in der Corona-Zeit viele Menschen auf die Natur zurückbesonnen haben."
Während wir durch den Wald spazieren, zeigt Zühlsdorf mir unzählige Pilze. Er kennt ihren Namen, weiß, wie sie sich verhalten, wenn man sie anschneidet oder zusammendrückt. Wie kann man sich das alles merken, frage ich mich. Essbar sind allerdings die wenigsten. "Und selbst wenn sie ungiftig sind, heißt das ja noch lange nicht, dass sie gut schmecken", meint der Pilzexperte. "Man könnte ja auch einen Schuhkarton essen, aber schmecken wird der wohl nicht."
Mehr Vergiftungen als sonst
Dass derzeit die Pilze sprießen wie wild und mehr Menschen als sonst die Waldböden nach Essbarem absuchen, zeigt sich nämlich auch daran: Es gibt derzeit mehr Vergiftungen, wie auch das Giftinformationszentrum der Uni Mainz, das auch die Gifthotline in Hessen betreut (06131-19240), auf Anfrage bestätigt. Seit etwa vier Wochen verzeichne man einen extremen Anstieg der Anfragen, jede Woche gebe es 130 Anrufe wegen des Verdachts auf Pilzvergiftung.
Auch bei Zühlsdorf klingelt derzeit ständig das Telefon, weil es Menschen nach einer Pilzmahlzeit schlecht geht oder sie sich sorgen, vielleicht doch etwas Falsches gegessen zu haben. "Gerade ruft eigentlich jeden Tag irgendjemand an", sagt der Pilzexperte. Es ärgere ihn vor allem, wenn Pilzsammler sich erst Gedanken machen, nachdem sie schon etwas gegessen haben.
Inzwischen gibt es auch immer mehr Apps zur Pilzbestimmung, Zühlsdorf kennt ein paar davon. "Eine davon habe ich ausprobiert, die war sogar überraschend gut, die andere hat vieles nicht richtig erkannt." Zühlsdorf rät, sich auf keinen Fall auf die reine Fotoerkennungsfunktion solcher Apps zu verlassen, denn dafür gebe es zu viele ähnlich aussehende Pilze. "Und meine Devise ist immer: Sobald man sich nicht ganz sicher ist: Lieber zu Hause dann doch auf den Biomüll damit." Er meint: Ohne eigenes Grundlagenwissen geht Pilzesammeln nicht. Im Folgenden deshalb hier jetzt einige grundlegende Informationen:
- Champignons: Leicht zu verwechseln
- Röhrlinge: Die besten Einsteigerpilze
- Parasole: Beliebte Schnitzelpilze
- Reizker: Delikatesse unter Nadelbäumen
- Schopftintlinge: Noch essbar oder schon Schleim?
Champignons: Leicht zu verwechseln
Wie wohl die meisten Pilzsammlerinnen habe ich es vor allem auf die Klassiker abgesehen: Ich suche Steinpilze, Maronen oder Champignons - das, was man halt so kennt. Steinpilze und Maronen könne man als Anfängerin recht gut bestimmen, meint Zühlsdorf. Champignons würden dieses Jahr besonders viele sprießen, aber sie zu bestimmen, sei selbst für Kenner eine echte Herausforderung, von der viele selbst nach jahrelanger Erfahrung lieber die Finger lassen.
"Viele denken: Ach, Champignons kenn ich doch, aber es gibt sehr viele unterschiedliche Sorten, von denen einige auch giftig sind." Die giftigen Karbol-Champigons könne man optisch von ihren genießbaren Verwandten kaum unterscheiden, erklärt der Experte. Man könne sie lediglich daran erkennen, dass sich der Stiel an der Schnittstelle leuchtend gelb verfärbt.
Röhrlinge: Die besten Einsteigerpilze
Wer mit dem Sammeln anfangen will, der sollte laut Zühlsdorf am besten mit Röhrlingen beginnen, also Pilzen, die auf der Unterseite ihres Huts keine Lamellen haben, sondern einen Schwamm. Zu dieser Gattung gehören beispielsweise auch Steinpilze und Maronen. Es gibt laut Zühlsdorf zwar ungenießbare, aber fast keine giftigen Röhrlinge. "Lediglich den Satansröhrling sollte man nicht essen." Der kommt in unseren Breitengraden nur sehr selten vor, ist zwar giftig, aber immerhin nicht tödlich, wie der Pilzexperte erläutert.
Parasole: Beliebte Schnitzelpilze
Parasole sind weiße Pilze mit leicht schuppigem Schirm, der bis zu suppentellergroß werden kann. "Hier ist zur Erkennung wichtig, dass sie einen kleinen Ring um den Stiel haben, der leicht verschiebbar ist", erklärt Zühlsdorf. "Außerdem haben Parasole ein charakteristisches Nattermuster auf dem Stiel, das aussieht wie eine aufgerissene Schlangenhaut." Weil sich die großen Schirme gut panieren und wie ein Schnitzel in der Pfanne braten lassen, werden sie auch Schnitzelpilze genannt.
Reizker: Delikatesse unter Nadelbäumen
Auch Reizker seien recht leicht zu erkennen, meint der Pilzexperte. Sie haben einen orangeroten, vergleichsweise festen trichterförmigen Schirm mit einem deutlichen Muster. Der Rand ist wellig und nach unten gebogen. Es gibt verschiedene essbare Reizker, allen voran die Edelreizker, die unter Kiefern wachsen, und die Fichtenreizker. Sie sondern beim Einschneiden orange-rote Milch ab und können so von anderen ungenießbaren Reizkern unterschieden werden.
Schopftintlinge: Noch essbar oder schon Schleim?
Steinpilze finden wir keine an diesem Tag, dafür einen anderen Speisepilz, von dem ich vorher noch nie gehört habe. Wir entdecken am Wegesrand einen Schopftintling, auch Spargelpilz genannt. Zühlsdorf erklärt mir: Mit dem glockenähnlichen Hut und leicht herausziehbaren spargelartigen Stiel sehen die Schopftintlinge so charakteristisch aus, dass man sie kaum verwechseln kann. Die Pilze schmecken wohl ganz gut, meint er, haben aber einen entscheidenden Nachteil: Schon nach wenigen Stunden zerfließen sie von alleine zu einer schwarzen Masse, die dann äußerst unappetitlich aussieht. Ein paar ältere Exemplare in der Nähe sind schon mitten drin in ihrem schwarz-schleimigen Auflösungsmodus. "Daher auch der Name: Tintling", meint Zühlsdorf. Na lecker.
Warum der Pilzexperte keine Waldpilze mehr isst
Am Ende des Spaziergangs frage ich den Pilzexperten natürlich noch nach seinem persönlichen Lieblingspilzrezept – aber da überrascht mich Zühlsdorf noch einmal: Nach 20 Jahren Erfahrung mit dem Sammeln, Bestimmen und Verspeisen von Waldpilzen ist ihm inzwischen der Appetit darauf weitgehend vergangen. "Das kommt, wenn man sich so intensiv mit der Materie beschäftigt", sagt er. Er schaue sich die Pilze nämlich auch oft unter dem Mikroskop an.
Und: Im Laufe der Jahre sei er bei einigen schlimmen Vergiftungsfällen als Experte hinzugezogen worden, etwa auch mit dem Grünen Knollenblätterpilz, der schon in kleinen Mengen tödlich sein kann. Zu sehen, was Pilze im schlimmsten Fall anrichten können, habe ihm dann den Rest gegeben. "Und Maronen und Steinpilze mag ich auch gar nicht", sagt er. "Die sind mit zu schlabberig in der Pfanne." Inzwischen esse er tatsächlich lieber gezüchtete Pilze aus dem Supermarkt.
Sendung: hr4, 14.10.2022, 15.30 Uhr
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