10 Jahre Studentische Poliklinik Frankfurt "Man lernt viel und tut gleichzeitig was Gutes"
Seit zehn Jahren behandeln Medizinstudierende in Frankfurt Menschen ohne Krankenversicherung. Was den Studierenden frühe Praxiserfahrung ermöglicht, bietet Patientinnen und Patienten in Notlagen medizinische Versorgung, zu der sie ansonsten kaum Zugang haben.
Eigentlich sollte nur schnell etwas Blut abgenommen werden. Jetzt liegt der Patient schon minutenlang mit hochgekrempeltem Ärmel auf dem Behandlungstisch in der zweiten Etage des Frankfurter Gesundheitsamtes.
Ein junger Mann fährt mit der Sonde eines Ultraschallgerätes über die Armbeuge des Patienten. Zwei Studentinnen und ein Arzt schauen ihm über die Schulter und verfolgen gebannt, was auf dem Bildschirm zu sehen ist.
"Mit der Zeit eignet man sich das an"
"So etwas erzählt einem in der Uni auch keiner", sagt die 23 Jahre alte Medizinstudentin Carolina von Wolff, erstaunt darüber, dass gerade mit einem Ultraschallgerät nach einer geeigneten Vene für die Blutabnahme gesucht wird. Felix Luft, der Student, der das Gerät bedient, lacht. "Mit der Zeit eignet man sich das an."
Luft gilt als erfahrener "Senior" in der Studentischen Poliklinik Frankfurt, kurz Stupoli. Carolina von Wolff und Ina Pfeil sind das erste Mal in der offenen Sprechstunde als "Juniors" dabei.
Unter Aufsicht eines Arztes behandeln Medizinstudierende der Frankfurter Goethe Universität hier im Gesundheitsamt nahe der Zeil an zwei Abenden in der Woche Menschen, die keine Krankenversicherung haben – so wie den Mann, dessen Blutwerte gerade wegen einer Alkoholsucht überprüft werden sollen.
Vielfältige Gründe, ohne Versicherung zu sein
Die Gründe, aus denen die Menschen hier die anonyme Sprechstunde aufsuchen, sind vielfältig: Allein an diesem Abend geht es um Migräne, Epilepsie, Fußpilz, Herzrythmusstörungen und Verdacht auf Leberzirrhose.
Viele sind durch Drogen- oder Alkoholabhängigkeit "aus dem System gerutscht". Ein Patient gibt an, nach einem längeren Auslandsaufenthalt ausgeraubt worden zu sein. Nun habe er keine Dokumente mehr, mit denen er sich bei der Krankenversicherung ausweisen könne.
Die Patientin mit Migräne und Epilepsie erzählt, dass sie aus Kolumbien komme und noch auf ihre deutschen Papiere warte. Ohne die Stupoli bekäme sie kein Rezept für ihre dringend notwendigen Medikamente. "Es ist eine große Hilfe, dass die Studenten das hier machen", sagt sie.
Auf Initiative von Studierenden 2014 gestartet
Seit der Gründung des Projektes vor zehn Jahren hat die Studentische Poliklinik nach eigenen Angaben über 1.700 Menschen behandelt. 2014 hatten Frankfurter Medizinstudierende die Kooperation von Gesundheitsamt und Uniklinik in die Wege geleitet.
Damals gab es im Gesundheitsamt bereits humanitäre Sprechstunden für Menschen ohne Krankenversicherung, woran die Stupoli anknüpfen konnte. Sie ist in den gleichen Räumen des Gesundheitsamtes untergebracht, Medikamente werden aber von der Universitätsmedizin Frankfurt finanziert.
Die Studierenden können hier EKGs, Ultraschallaufnahmen und Blutabnahmen durchführen. Dafür werden Patientinnen und Patienten etwa von der Elisabeth-Straßenambulanz der Caritas an die Stupoli weitergeleitet.
"Viele Patienten sind mir ans Herz gewachsen"
Es mache einfach Spaß, selbstständig an den Patientinnen und Patienten zu arbeiten, sagt Felix Luft. Seit 2022 ist der 25-Jährige im Projekt dabei. "Viele Patienten sind mir dabei auch ein bisschen ans Herz gewachsen."
Luft erzählt von einem jungen Mann, der vergangenen November mit einer Prellung vom Fußballspielen zur Sprechstunde gekommen sei. "Eine Woche später ist er wiedergekommen, dann hatte er völlige Ausfallerscheinungen, Lähmungen der gesamten Körperhälfte", berichtet der Medizinstudent.
"Da haben wir uns den Kopf dran zerbrochen"
Auch Uwe Thürmer, der Arzt, der die Gruppe regelmäßig beaufsichtigt, erinnert sich. "Da haben wir uns ganz schön den Kopf dran zerbrochen", sagt er. Schließlich habe man festgestellt, dass der Mann Aids im Endstadium und zusätzlich eine seltene, virale Hirninfektion hatte.
Student Luft erzählt, dass der Mann letztlich als Notfall in der Uniklinik aufgenommen worden sei. Dort habe er den 30-Jährigen noch einmal besucht. "Er hat mich noch erkannt", sagt Luft. "Vermutlich wird er aber nicht mehr lange überleben."
Oberstes Ziel: Zurück ins System
Dass Menschen in der Stupoli nicht weitergeholfen werden könne, komme immer wieder vor. "Wenn jemand zum Beispiel eine Chemo oder eine Operation braucht, müssen wir kreativ werden", sagt Student Tim Mittelstädt, der wie Felix Luft als "Senior" im Projekt ist.
Manchmal helfe die gute Vernetzung der Stupoli, oft auch schon die Clearingstelle des Gesundheitsamtes, die versucht, Menschen zurück ins Krankenversicherungssystem zu bringen. "Das ist am Ende das oberste Ziel", sagt Mittelstädt.
Hilfe trotz Sprachbarrieren
Der Hauptgrund für ihn, in der Stupoli mitzumachen? "Man lernt viel und tut gleichzeitig was Gutes." Dabei gehe es nicht nur um Medizinisches, sondern auch um den Umgang mit Patientinnen und Patienten – zum Beispiel bei Sprachbarrieren.
Der Mann, den Felix Luft zusammen mit den beiden "Junior"-Studentinnen an diesem Abend wegen seiner Alkoholsucht untersucht, spricht nur Ungarisch, niemand kann übersetzen.
Trotzdem funktioniert die Kommunikation irgendwie. Geduldig macht der Patient nach, was die Studierenden ihm vormachen: hinlegen, Arm ruhig halten, einatmen, ausatmen.
Zur Not hilft der erfahrene Arzt
Die Blutabnahme bleibt trotzdem - auch mit dem Ultraschallgerät - zunächst erfolglos. Schließlich bitten die Studierenden Arzt Uwe Thürmer um Hilfe, der sich ansonsten beobachtend im Hintergrund hält.
Mit einem Tipp klappt es dann: Studentin Ina Pfeil klopft dem Patienten auf die Hand, bis die Venen besser sichtbar werden, sie setzt die Nadel, und das Blut fließt.