Beihilfe zum Mord in 3.300 Fällen 100 Jahre alter Ex-KZ-Wachmann könnte doch vor Gericht kommen

Ein mittlerweile 100 Jahre alter ehemaliger KZ-Aufseher könnte doch angeklagt werden: Einem Gutachten, das ihm Verhandlungsunfähigkeit bescheinigte, wurden Mängel nachgewiesen. Es könnte der letzte Prozess dieser Art gegen einen NS-Täter werden.

Gericht, Waage an einer Holzwand
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Vor dem Landgericht Hanau wird nun möglicherweise doch gegen einen inzwischen 100 Jahre alten mutmaßlichen früheren KZ-Wachmann aus dem Main-Kinzig-Kreis verhandelt. Das Gericht hatte im Mai die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt, nachdem ein medzinischer Sachverständiger festgestellt hatte, dass der Mann verhandlungs-, vernehmungs- und reiseunfähig sei.

Dieser Beschluss wurde nun vom Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft Gießen und mehrere Nebenkläger hatten sich über die Entscheidung des Hanauer Landgerichts beschwert.

Dem Mann wird vorgeworfen, als Angehöriger der SS-Wachmannschaften "die grausame und heimtückische Tötung tausender Häftlinge unterstützt" zu haben. Die Anklage geht von Beihilfe zum Mord in rund 3.300 Fällen aus. Die Tötungen fanden von Juli 1943 bis Februar 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen nahe Berlin statt.

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OLG: Mängel beim Gutachten

Das OLG Frankfurt forderte das Hanauer Landgericht jetzt zu Nachermittlungen über die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten auf. Die Gutachten des Sachverständigen weisen nach Ansicht des OLG mehrere Mängel auf. 

Aus Sicht der Generalstaatsanwalt ist diese Entscheidung von historischer Bedeutung: "Ich begrüße die Entscheidung des Oberlandesgerichts, dass die Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten noch einmal gründlich geprüft wird", erklärte der Frankfurter Generalstaatsanwalt Torsten Kunze.

Womöglich "letzter Prozess dieser Art"

Die historische Bedeutung sieht Kunze darin, dass der KZ-Wachmann aus Hessen der letzte sein könnte, gegen den überhaupt noch eine solche Verhandlung stattfindet: "Sollte das Hauptverfahren eröffnet werden, könnte es sich um den letzten Prozess dieser Art handeln."

Die Generastaatsanwaltschaft hofft nun, dass der Prozess noch stattfinden kann. Die Entscheidung des Frankfurter OLG eröffne eine Chance, dass es zu einer Verhandlung kommt - sicher sei das aber nicht, sagte Nils Lund, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft.

Hohes Alter könnte Prozess gefährden

Mit Blick auf das hohe Alter des Beschuldigten sei bei der Prüfung der Verhandlungsfähigkeit Eile geboten. Eine Frist für das Landgericht gebe es aber nicht. Das Hanauer Landgericht teilte am Dienstag mit, eine neue Entscheidung des Gerichts werde einige Zeit dauern, es werde "sicherlich einige Monate in Anspruch nehmen".

Die Staatsanwaltschaft Gießen hatte im vergangenen Jahr Anklage gegen den Mann erhoben, der als Heranwachsender Wachmann im KZ Sachsenhausen gewesen sein soll. Aus diesem Grund und weil im Jugendstrafrecht das Wohnortprinzip gilt, hatte die Jugendkammer des Landgerichts Hanau über eine Zulassung der Anklage zu entscheiden. 

Erschießungen und Giftgas

Als Angehöriger eines SS-Wachbataillons soll der Mann unter anderem mit der Bewachung von dort untergebrachten Häftlingen befasst gewesen sein. Zudem soll er mit der Überführung ankommender Häftlinge vom Bahnhof in das Hauptlager sowie mit der Bewachung von Häftlingstransporten beauftragt gewesen sein. 

Während des Tatzeitraums sollen in dem Lager mindestens 3.318 Häftlinge an den Folgen der dort herrschenden Unterbringungs- und Lebensverhältnisse sowie durch Erschießungen und den Einsatz von Giftgas gestorben sein.

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KZ Sachsenhausen

Im Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen etwa 35 Kilometer nördlich von Berlin waren ab 1936 etwa 204.000 Menschen von den Nationalsozialisten interniert worden. Zehntausende kamen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit und Misshandlungen um oder wurden Opfer von Vernichtungsaktionen der SS. Auf Todesmärschen nach der Evakuierung des Lagers Ende April 1945 starben weitere tausende Häftlinge.

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Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe