Priester aus Eichenzell 107 Jahre: Bruno Kant ist einer der ältesten Hessen

Bruno Kant hat Krankheit, Krieg und Zwangsarbeit überstanden - und gehört trotz Schicksalsschlägen zu den fünf ältesten Menschen in Hessen. "Ein Wunder", sagt der Osthesse. Zwei seiner Geschwister haben ebenfalls die 100-Jahre-Marke geknackt.

Portrait eines sehr alten Mannes.
Bruno Kant hat viel erlebt in seinem langen Leben - und er hat Spuren hinterlassen. Eine Straße und ein Platz wurden nach ihm benannt. Bild © hr / Jörn Perske
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Ein sehr alter Mann sitzt in einem Sessel und hält ein Rätselheft in der Hand.
Bruno Kant daheim auf seiner Couch in Löschenrod. In der Hand hält der Rätsel-Freund ein Sudoku-Heft, mit dem er seinen Geist trainiert. Bild © hr / Jörn Perske
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Bruno Kant ist ein Phänomen - und das schon aufgrund seines Alters. Der Mann aus Eichenzell-Löschenrod (Fulda) ist vor wenigen Wochen 107 Jahre alt geworden und ist damit einer der ältesten Menschen in Hessen.

Nicht nur er hat aus seiner Familie ein außergewöhnliches Alter erreicht, auch zwei seiner sieben Geschwister haben offenbar gute Gene mitbekommen. Seine Schwester starb im Vorjahr einen Tag vor ihrem 108. Geburtstag. Und ein jüngerer Bruder, der in Gelnhausen (Main-Kinzig) lebt, ist 105 Jahre alt.

"Es ist ein Wunder"

So alt geworden zu sein, sei ein "Wunder", sagt Kant und darf sich wie ein biologisches Phänomen fühlen. Er hätte nie gedacht, dass ihm so viel Lebenszeit vergönnt sei. In jungen Jahren sei er von schwacher Konstitution und schwer krank gewesen, erzählt er, ohne es weiter auszuführen.

Trotz aller Widrigkeiten hat Kant in seinem Leben beneidenswerte Kraft und Ausdauer bewiesen. Nachdem er als katholischer Priester 1991 in Petersberg-Marbach (Fulda) in Ruhestand ging, hat er einfach weitergearbeitet - über Jahrzehnte. In Eichenzell-Löschenrod war er als gern gesehener Aushilfspfarrer tätig.

Kant hat mit 100 Jahren noch Gottesdienste gehalten, dann aber aufgehört. "Er hat mir leider gekündigt", erzählt der Pfarrer von Eichenzell, Guido Pasenow, mit einem Augenzwinkern. "Er sagte, dass er nicht jederzeit garantieren könne, die zugesagten Gottesdienste auch halten zu können, wenn es ihm mal nicht gut gehe."

Mit über 100 noch zu Krankenbesuch bei Jüngeren

Seelsorge betrieb Kant aber weiter. Er fuhr mit seinem Auto zu Krankenbesuchen bei Gemeindemitgliedern. "Meist war er älter als die Menschen, die er besuchte", merkt Pasenow an.

Mittlerweile ist aber auch Kant auf Unterstützung angewiesen. Eine Haushälterin kümmert sich um ihn. Aber mit dem Rollator kann er sich im Haus noch gut bewegen. Das größte Problem sei seine Schwerhörigkeit, erklärt er mit Bedauern. Wer sich mit ihm unterhält, muss sehr laut in sein linkes Ohr sprechen.

Eisenbahner oder Priester?

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Kant am Scheideweg. Weiter für die Eisenbahn arbeiten oder sein abgebrochenes Theologie-Studium fortsetzen? Er habe sich gesagt: Weichen stellen und Gleise legen, müsse man in beiden Berufen. "Gleise für Züge oder das Leben – da habe ich mich wieder für die Theologie entschieden."

Kant studierte in Fulda fertig und wurde 1950 zum Priester geweiht. Da war die Bundesrepublik Deutschland noch jung und Konrad Adenauer gerade mal ein Jahr Kanzler. Es erscheint womöglich vermessen, Kant mit Adenauer zu vergleichen, aber auch Kant hinterließ Eindruck bei den Menschen, um die er sich kümmerte. In seiner Gemeinde Petersberg-Marbach wurde eine Straße nach ihm benannt, in Löschenrod später ein Platz.

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Wenn er Geburtstag feiert, kann er sich vor Gratulanten kaum retten. Er nennt das "Spektakel", aber er freut sich dennoch. Die Geschenke und Andenken, die ihm überreicht werden, präsentiert er mit Stolz und Dankbarkeit.

"Kein Asket, normal gelebt"

Zu den Gratulanten vor wenigen Wochen zählte auch Eichenzells Bürgermeister Johannes Rothmund (CDU). Er ist begeistert von Kant: "Er ist geistig voll auf der Höhe – ein gebildeter und hochinteressanter Mann." Um seinen Kopf zu beschäftigen, liest Kant Zeitungen und löst mit Vorliebe Zahlenrätsel (Sudoku). Rothmund staunt: "Er kommt einem nicht vor wie 107."

Ein Geheimrezept für ein langes Leben hat Kant nicht. Er zuckt mit den Achseln und sagt: "Ein Asket war ich nicht, habe ganz normal gelebt."

Dabei hat das Leben ihm viel abverlangt. Er wurde 1916 im westpreußischen Werblin geboren, in den Wirren des Ersten Weltkriegs. Er sei mehrfach aus seiner Heimat vertrieben worden, sagt er. Im Zweiten Weltkrieg zog ihn die deutsche Wehrmacht ein. Er erlebte das Grauen von Hitlers Russland-Feldzug. Kant wurde verwundet, daheim folgte die Genesung, dann wieder die Ostfront.

Der schönste Tag seines Lebens

Nach dem Krieg kam Kant in sowjetische Kriegsgefangenschaft, musste drei Jahre schuften, unter anderem in einem Stahlwerk. Als er 1948 frei kam und auf verschlungenen Wegen nach Deutschland zurückgekehrt war, erlebte er den "schönsten Tag seines Lebens", wie er sagt. Es war der Tag, an dem er in Gelnhausen seine Mutter wieder in die Arm schloss.

Kraft schöpfte Kant, wie er sagt, im Leben immer aus seinem Glauben, vor allem während der dunklen Stunden in Krieg und Gefangenschaft. Er könne auch jungen Menschen nur dazu raten: "Glaube gibt einem Halt und Richtung." Er empfinde es als schmerzlich, dass so viele Menschen aus den Kirchen austreten.

Kant wird in den Köpfen bleiben

Kant bekennt, er müsse nun jeden Tag damit rechnen, dass der "Bruder Tod" ihn holen könne. Er hoffe, dass der "Herrgott ihn in Gnaden aufnehme". Er sagt das mit großer Gelassenheit.

Aber auch nach seinem Tod werden Bekannte, Freunde und Weggefährten immer an den steinalten Priester denken. Und an Anekdoten wie diese: Vor Jahren, da war Kant schon mehr als 100, war er in Löschenrod bei einem Gottesdienst zu Gast. Als er merkte, dass sich der Zelebrant am Altar nicht wohl fühlte, stand er auf, zog sich um und brachte den Gottesdienst zu Ende – als Helfer in der Not.

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Wer ist der älteste Mensch in Hessen?

Das Statistische Landesamt und die Staatskanzlei in Wiesbaden können das mit Gewissheit nicht beantworten. Sie haben keinen zentralen Zugriff auf alle Daten, wie sie erklären. Sagen lässt sich aber: Laut Staatskanzlei wurde im Februar eine Frau 113 Jahre alt - sie könnte aktuell die älteste Hessin sein. In den Jahren 2015 und 2018 verschickte die Staatskanzlei aber auch schon Glückwünsche an Menschen, die 114 Jahre alt wurden. Bruno Kant ist laut Staatskanzlei derzeit einer der fünf ältesten Hessen.
Das Statistische Landesamt erfasst nur die Altersgruppe von 95 Jahren und älter. Dazu gehörten zum Jahresende 2021 exakt 402 Personen in Hessen, davon waren 316 Frauen und nur 86 Männer.

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Sendung: hr4, 28.03.2023, 15.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de