Leben mit HIV "Etwas ganz Besonderes, dass ich mein Leben genießen kann"
Als Stefanie Eid die Diagnose HIV bekam, hielt sie das für ihr Todesurteil. Inzwischen lebt sie seit 30 Jahren mit dem Virus - und ist dankbar dafür, wie ihr Leben verlaufen ist.
Dass Stefanie Eid diese Sätze heute einmal in eine Kamera sagen würde, war vor 30 Jahren kaum vorstellbar: "Mir geht es gut. Ich habe wirklich ein sehr schönes Leben."
Im Dezember 1994, als sie gerade schwanger war, bekam die heute 56-Jährige aus Schmitten (Hochtaunus) beim Arzt die Diagnose: HIV-positiv. Ein Ex-Partner hatte sie infiziert.
"Es gab Ärzte, die wollten das Kind sofort abtreiben, weil sie sagten, es wird sowieso sterben", erinnert sich Eid. "Andere Ärzte haben mir gesagt, ich hätte noch maximal zwei Jahre zu leben".
"Würde mit niemandem tauschen wollen"
Doch es kam anders. Stefanie Eid bekam das Kind. Inzwischen ist ihre gesunde Tochter erwachsen und selbst Mutter. "In meinem Leben ist vieles auch ganz, ganz toll verlaufen. Durch das HIV. Und ich würde mit niemandem tauschen wollen", sagt Eid.
Alltag geprägt von Tabletten
Dabei wurde ihr Alltag jahrelang durch die Krankheit bestimmt, wie sie erzählt: Die erste Tablette nahm sie morgens um sieben, die letzte abends um elf. Am Wochenende auszuschlafen oder nach einem anstrengenden Tag früher schlafen zu gehen war keine Option. "Das war sehr heftig", sagt Eid rückblickend.
Auch die Essenszeiten hätten sich lange Zeit streng nach der Einnahme der Tabletten richten müssen. In der ersten Zeit nach der Diagnose hätten viele in ihrem Umfeld noch nicht von ihrer Krankheit gewusst. Das sei noch erschwerend hinzugekommen: "Wie erkläre ich das, wenn ich um drei Uhr zum Kaffee eingeladen bin, dass ich erst eine Stunde später essen darf?"
Unfreiwillig wussten es plötzlich alle
Damals habe sie sich gefühlt, als führe sie ein Doppelleben. Wenn Kolleginnen und Kollegen auf der Arbeit besorgt Fragen stellten, warum sie so häufig zum Arzt müsse, dann habe sie Geschichten erfunden. "Das war eine große Belastung", sagt Eid.
Wenige Monate später wurde ihre Diagnose dann öffentlich - unfreiwillig, wie sie sagt. Eid hatte den Mann, der sie infiziert hatte, angezeigt. "Es gab eine Gerichtsverhandlung und danach stand es in den Zeitungen, auch die hessenschau hat kurz darüber berichtet", erinnert sich Eid. "Ich wusste: Jetzt habe ich das nicht mehr in der Hand".
Offenheit über die Krankheit als Befreiungsschlag
Offen über die Infektion sprechen zu können, sei dann aber eine große Befreiung gewesen. "Wir müssen lernen, mit unserer Krankheit zu leben", sagt Eid. "Da hilft es, wenn Freunde und Bekannte rücksichtsvoll sind, uns mit unserer Krankheit begleiten und annehmen und für uns da sind."
Eid betont immer wieder, dass sie viel Kraft und Halt in ihrem christlichen Glauben finde. Trotzdem habe es schwere Zeiten gegeben: In den ersten Jahren nach der Diagnose sei ihr Immunsystem sehr schwach gewesen.
Ich wusste ja, mein Leben könnte bald auch zu Ende sein. Ich habe all das gemacht, was andere auf die lange Bank geschoben haben. Zitat von Stefanie EidZitat Ende
"Als meine Tochter im Kindergarten war, war sie häufig krank - und ich immer." Auch weil über die Jahre zur HIV-Infektion weitere Erkrankungen kamen, ist sie bis heute nach eigenen Angaben erwerbsunfähig. Händeschütteln zur Begrüßung ist für sie immer noch ein Tabu, aus Eigenschutz.
Dennoch habe sie angefangen, ihre Zeit so gut es ging zu nutzen: Sie sei möglichst oft in den Urlaub gefahren, habe angefangen, Spanisch und Gitarrrespielen zu lernen. "Ich wusste ja, mein Leben könnte bald auch zu Ende sein. Ich habe all das gemacht, was andere auf die lange Bank geschoben haben."
Immunsystem wieder gestärkt
Seit einigen Jahren engagiere sie sich außerdem für ein Kinderhilfsprojekt und gehe regelmäßig in einen Kindergarten, um dort Geschichten vorzulesen. "Das wäre vor 20 Jahren unvorstellbar gewesen, weil ich mir ständig etwas eingefangen hätte", sagt sie.
Der medizinische Fortschritt ermögliche ihr und anderen HIV-Positiven heute eine hohe Lebensqualität: Dank der Medikamente liegt die Viruslast bei ihr heute unterhalb der Nachweisgrenze. "Das ist für mich heute etwas ganz Besonderes, dass ich leben darf und dass ich mein Leben genießen kann."
"Ich habe keinen Hass"
Das wirklich Entscheidende dafür, dass es ihr heute so gut gehe, sei aber noch etwas anderes: "Die Tatsache, dass ich dem Mann vergeben konnte, der mich mit HIV infiziert hat". Dieser war in dem Gerichtsprozess 1997 wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt worden.
Irgendwann habe sie ihn in einer Arztpraxis zufällig wiedergetroffen, ihn angesprochen - und ihm gesagt, dass sie ihm verziehen habe. Danach habe sie ihn nie wieder gesehen. "Aber ich habe keinen Hass", sagt sie. Nur deshalb könne sie befreit leben.