"7 Tage"-Doku über Lehrer "Kaum ein Beruf, der erfüllender ist" - trotz Belastung
Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags frei - oder? Wie der Alltag von Lehrkräften aussieht, wie viel Belastung der Beruf mit sich bringt und warum so viele Menschen ihn gerne machen - das zeigt die hr-Doku "7 Tage". Ein Reporter wagt ein Selbstexperiment und wird Lehrer - so gut es eben geht.
Lehrer sein ist für viele der Inbegriff eines Berufs mit Erfüllung, Absicherung und guter Bezahlung. Und mit vielen Ferien und kurzen Arbeitstagen, so zumindest ein Vorurteil.
Hinter den Kulissen des Lehrerzimmers aber verbirgt sich oft ein Alltag, der von Zeitdruck und psychischem Stress geprägt ist. Kaum ein anderer Beruf vereint so viele Rollen: Lehrer sind Pädagogen, Mentoren, Konfliktmanager, Sozialarbeiter, Aufseher und nicht zuletzt Verwaltungskraft.
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"Mein Tag beginnt spätestens um 7.30 Uhr an der Schule", erklärt Susanne Hennig - hier eigentlich Frau Hennig in ihrer Funktion als Mathe- und Informatiklehrerin an der Kurt-Schumacher-Schule (KSS), einer kooperativen Gesamtschule in Karben (Wetterau).
Sie selbst wohnt im Taunus und fährt jeden Tag 16 Kilometer mit dem Fahrrad hierher. Dass sie etwas früher als ihre Kolleginnen und Kollegen anfängt, liegt auch daran, dass sie für den Vertretungsplan zuständig ist.
104 Prozent Vollbeschäftigung - und doch reicht es eigentlich nicht
Hennig versucht Lücken in den Stundenplänen der Schülerinnen und Schüler zu stopfen, die sich durch einen plötzlichen Lehrerausfall aufgetan haben. Obwohl die Schule auf dem Papier 104 Prozent Vollbeschäftigung hat, hilft das in der Realität nur wenig. Regelmäßig wird es eng, wenn zu viele Vertretungslehrer gleichzeitig gebraucht werden. Über all das muss sie den Überblick behalten, über 1.750 Schülerinnen und Schüler sowie 130 Lehrkräfte.
Auf einem Tisch in ihrem kleinen, schmalen Büro, in dem sich zusätzlich auch Fundsachen der Schüler stapeln, liegen Zettel mit Telefonnummern: von ehemaligen Lehrern und Lehramtsstudierenden, die sie bei Bedarf anrufen kann. Meistens klappt es - irgendwie, und oft gerade so.
Arbeitsbelastung besonders rund ums Abitur
"Es gibt Phasen, in denen man wirklich ganz ganz viel arbeiten muss - etwa zwischen Osterferien und mündlichem Abitur", erklärt Hennig, die auch in der Oberstufe unterrichtet. Die Arbeitsverdichtung ist in dieser Zeit besonders hoch, weil in wenigen Wochen viel passiert sein muss.
"Wir haben in diesen acht Wochen bestimmt jede Woche 50 bis 60 Stunden gearbeitet und kaum Freizeit gehabt", erklärt die Mathelehrerin. Aber ergänzt: "Dafür haben wir auch sechs Wochen Sommerferien und in denen arbeite ich gar nicht."
Es ist dieser Spagat zwischen maximalen Ferien und kompletter Arbeitsflut, der den Lehrerberuf von außen so wenig greifbar macht. Dazu kommt der Beamtenstatus, den viele, aber nicht alle, haben - und das Vorurteilsbild über den angeblich faulen Beamten ist perfekt. Die Realität allerdings zeigt, dass - außer den Sommerferien - andere Ferienzeiten überwiegend mit Korrekturen belegt sind.
Und auch Arbeit, mit der keiner rechnet, kommt urplötzlich. "Heute Morgen habe ich eine Mail von einer Mutter bekommen - ihr Sohn hat beide Arme gebrochen. Jetzt werde ich sie heute Nachmittag anrufen und klären: Kann der wieder zur Schule? Wann ist das soweit? Und wie kommt er überhaupt hier hin?", erklärt Hennig.
Später sei dann noch eine Klassenkonferenz wegen eines schweren Mobbingfalls. So etwas passiere immer öfter - gerade mit Smartphones habe das eine ganz andere Qualität, sagt sie.
Während Menschen in den allermeisten Jobs auch mal die Gedanken schweifen lassen können, ohne dass es zu einer mittelschweren Katastrophe kommt, können das Lehrerinnen und Lehrer in aller Regel nicht. Zu groß ist die Gefahr, die Aufsichtspflicht zu verletzen. Zu unkalkulierbar das Risiko, wenn sich plötzlich doch zwei Kinder anfangen zu prügeln.
Lehrer können - etwa bei der Pausenaufsicht - persönlich haftbar gemacht werden, wenn etwas passiert, das sie durch ihre Aufsicht hätten verhindern können.
Obwohl die Kurt-Schumacher-Schule bei weitem keine Problem- oder Brennpunktschule ist, sondern eine gute im Speckgürtel Frankfurts. Ein Querschnitt der Gesellschaft geht hier zur Schule: die Anwaltstochter, das Arbeiterkind, der Kriegsflüchtling. Sie alle treffen sich auf der Gesamtschule - zumindest auf dem Pausenhof.
Dabei hätten sich die Probleme in den letzten zehn Jahren verändert, erklärt Simon Claus, der stellvertretende Schulleiter. Die Zahl der Scheidungskinder etwa nehme spürbar zu. Kinder, denen bereits im frühen Alter eine Vaterfigur im Leben fehle, kämen an die Schule, an der statistisch mehr Frauen als Männer arbeiteten.
Ob die Probleme durch fehlende Integration, durch schwierige Elternhäuser oder durch traumatisierte und daher möglicherweise verhaltensauffälligere Kinder entstehen, sie prägen den Arbeitsalltag und die -belastung an jeder Schule.
Keine Klasse ohne Probleme
"Es kommt nicht mehr sporadisch vor, sondern gebündelt. Es gibt keine Klasse, in der nicht irgendwie ein Problem wäre", erklärt Thomas Bartel, Politiklehrer und im Personalrat an der Schule. Die konkreten Fälle selbst möchte er nicht detailliert in die Öffentlichkeit tragen, sagt er, den Kindern zum Schutz.
Seine Kollegin Sina Winton ergänzt: "Wir versuchen in unserer Arbeit jeden Tag den Schülerinnen und Schülern hier einen sicheren Ort zu bieten, wo sie sich entfalten und entwickeln können. Wenn sie sich schon nicht zuhause sicher fühlen können, dann wenigstens in der Schule", sagt Winton.
Es ist ihr anzumerken, wie wichtig ihr das ist. "Es gibt kaum einen Beruf, den ich für erfüllender empfinden würde", erklärt sie weiter.
Wenig Supervision
Supervision, also externe Reflexion über die Arbeit, wie sie bei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern gängige Praxis ist, findet für Lehrer quasi nicht statt. Einmal ausgelernt, geht es los, bis zum Ruhestand - den auch nicht jeder schadlos erreicht: Jeder vierte angehende Lehrer klagt bereits über Burn-out-Symptome. Ein Drittel verlässt die Schule bereits nach fünf Jahren wieder.
Im schulpsychologischen Angebot gibt es das laut Kultusministerium zwar, die Erfahrungen aus der Praxis zeigten aber, dass Lehrkräfte es nur wenig nutzten. Dies kann daran liegen, dass solche Fortbildungen oft nebenher gemacht werden müssen. Der Unterricht kann deswegen ja nicht ausfallen.
41 Prozent brechen die Lehrerausbildung ab
Diese psychische Belastung, völlig unabhängig vom Lehrplan, kommt obendrauf - zusätzlich zu den Elterngesprächen, den Notenkonferenzen, Konzeption und Korrektur von Klassenarbeiten, zur Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, zum Dokumentieren oder Organisieren von Klassenfahrten, bei denen Lehrer quasi rund um die Uhr arbeiten.
Was also fehlt, was würde helfen? Eine Arbeitsentlastung forderte zuletzt der Philologenverband (hphv). Die Zustände an hessischen Schulen hätten "ein kritisches Maß" erreicht, vor allem mit Blick auf die Gesundheit der Lehrkräfte. Die Arbeitsbelastung und die Bürokratie seien zu hoch, mehr Lehrer müssten her.
Auch an der KSS, einer Schule, die - auf dem Papier - ausreichend Personal hat, könnten mehr Lehrkräfte helfen. Die Folge wären kleinere Klassen, weniger Problemfälle pro Lehrer, weniger Korrekturen - und mehr Zeit für den einzelnen Schüler, für Unterrichtsvorbereitungen und für das, was Schule schön macht.
500.000 Lehrkräfte fehlen bis 2035
Doch ist Wunsch nach mehr Lehrern ein hehres Ziel. Leicht formuliert, aber nicht leicht umgesetzt. In den Naturwissenschaften, in Mathe, Physik oder auch Musik sei es besonders schwer, auftretende Lücken - etwa durch eine längere Erkrankung eines Kollegen - schnell zu schließen, erklärt Schulleiterin Ursula Hebel-Zipper.
Bis 2035, so schätzt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), fehlt es bundesweit an einer halben Million Lehrerinnen und Lehrer. Wo sie herkommen sollen, ist ungewiss.
Abbrecherquote ist hoch
Von jährlich bundesweit 47.400 eingeschriebenen Lehramtsstudierenden brechen satte 41 Prozent ihre Ausbildung ab (zum Vergleich: Die Abbruchquote in Bachelorstudiengängen schwankt von 2006 bis 2020 zwischen 27 und 29 Prozent). Nur 28.000 absolvieren auch das Referendariat.
Damit es mehr werden, wurde zuletzt die Tür für sogenannte "Ein-Fach-Lehrkräfte" geöffnet - Quereinsteiger etwa, die nicht die auf Lehramt erforderlichen zwei Fächer studiert haben, können so wenigstens ihr studiertes eines Fach unterrichten und haben sogar die Chance auf Verbeamtung.
Sie können aber eben nur in diesem einen Fach, nicht in mehreren eingesetzt werden und lösen das Problem daher eher homöopathisch. Das Land indes stellt mehr Geld bereit: 5,8 Milliarden Euro Budget, 2.100 neue Lehrerstellen verspricht man im hessischen Kultusministerium.
System Schule - nicht jeder passt rein
Wer den Beruf machen möchte, wird ihn als Berufung verstehen müssen: Die Mehrarbeit ohne Überstundenausgleich muss man einkalkulieren.
Nicht in Teilzeit arbeiten zu dürfen - es sei denn, ein guter Grund liegt vor - muss man über sich ergehen lassen. Das System Schule, dass den Vertrag von angehenden Lehrern zu den Sommerferien auslaufen lässt und sie danach neu einstellt, um die sechs Wochen nicht zu bezahlen, muss man kennen.
Und vieles wird man mit sich selbst ausmachen, denn obwohl die 130 Lehrerinnen und Lehrer der KSS während Freistunden für ein Gespräch offene Ohren haben, stehen sie danach wieder alle alleine vor einer Klasse.
Warum Mathelehrerin Susanne Hennig den Job so lange und mit so viel Elan macht? "Ich weiß es nicht", sagt sie lächelnd, "ich erkläre einfach gern Mathe, und das Arbeiten mit den jungen Menschen hält auch jung".