Kleine Fortschritte, keine Wirkung Ärger über Darmstadts Ausländerbehörde weiter groß
Trotz inhaltlicher Neuausrichtung ist der Unmut über die Darmstädter Ausländerbehörde weiterhin so groß, dass Betroffene jetzt auf die Straße gehen. Kleine Anpassungen sind erkennbar, die Wirkung bleibt allerdings aus. Die Stadt reagiert sensibel auf das Thema.
"Ich habe keinen Mut und keine Kraft mehr", sagt Farzad Ahmadi. Seit sieben Jahren lebt er mit seiner Frau in Deutschland, hat immer gearbeitet und nebenbei Deutsch gelernt. Seine Kinder sind hier geboren. Jetzt hat der Iraner seinen Job verloren, weil die Darmstädter Ausländerbehörde seine Aufenthaltsgestattung nicht rechtzeitig verlängert hat.
Seit er in Deutschland lebt, wartet Ahmadi darauf, dass der Bund sein Asylverfahren bearbeitet. Im Alltag hat er viele Tage in Warteschlangen vor der Darmstädter Ausländerbehörde verbracht und mindestens ebenso viel Zeit am Telefon. Meist erfolglos.
Der Kampf mit den Behörden hat ihn zermürbt, sogar krank gemacht: "Mein Kopf ist kaputt. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren und vergesse ständig Sachen", sagt der gelernte Elektro-Fachmann, der Deutschland mittlerweile gerne verlassen würde. "Dieses Land gibt mir das Gefühl, dass es mich nicht haben will."
Weiterhin viel Frust
Ahmadi ist nicht allein. Seit nunmehr zweieinhalb Jahren berichtet der hr über die Zustände in der Darmstädter Ausländerbehörde und darüber, dass sie seit Jahren ihrer Arbeit kaum zufriedenstellend nachgeht. Und noch immer lässt die Behörde viele der Menschen, die auf sie angewiesen sind, frustriert bis desillusioniert zurück.
"Ich muss mich meistens morgens hier anstellen, weil meine Anfragen per Mail nicht beantwortet werden", sagt Mesut Yildiz. Er ist Sozialarbeiter, betreut Flüchtlinge und übernimmt Behördengänge. In seinen Augen ist die Ausländerbehörde "komplett überfordert". Wegen fehlender Kommunikation wisse er meist nicht, welche Unterlagen er benötigt und müsse deswegen oft viele Male erscheinen, bis seine Anliegen geregelt würden.
Der größte Kritikpunkt an der Ausländerbehörde war und ist die ungenügende Erreichbarkeit. Man könne seine Anliegen einfach niemandem vortragen, heißt es von fast allen Betroffenen. Weder telefonisch noch per Mail, und auch auf Briefe bekomme man monatelang keine Antwort – wenn überhaupt.
Studierende gehen auf die Straße
Unter den internationalen Studierenden in Darmstadt ist der Frust mittlerweile so groß, dass sie jetzt auf die Straße gehen, um gegen die Zustände in der Darmstädter Ausländerbehörde zu demonstrieren. Die Allgemeinen Studierendenausschüsse der TU Darmstadt und der Hochschule Darmstadt haben zu einer Demonstration am Donnerstag aufgerufen, an der sich am Abend laut Veranstalter rund 200 Menschen beteiligten.
"Mein Visum läuft im August aus und ich würde gerne meine Familie in der Heimat besuchen", sagt Studentin Aisha aus Pakistan. Seit Anfang Juni habe sie bereits mehrfach vorgesprochen und um eine Verlängerung gebeten, bislang ohne Erfolg. "Ich studiere hart und arbeite auch, aber mir wird hier nicht geholfen. Es ist ein großes Ärgernis."
Stadt: Alle bekommen einen Termin
Die Stadt hatte im Februar angekündigt, dass spätestens zum Herbst eine deutliche Entspannung in den Abläufen bemerkbar sein soll. Schon jetzt heißt es von der Stadt, dass eine Kontaktaufnahme besser möglich sei. Ein Anstellen am frühen Morgen sei nicht mehr nötig, üblicherweise stünden etwa 50 bis 70 Personen morgens vor der Tür und die bekämen in der Regel auch alle einen Termin für eine sofortige Vorsprache, sagte ein Sprecher dem hr.
"Es muss nicht mehr sein, dass man sich morgens um 4 Uhr anstellt", betonte auch der für die Ausländerbehörde zuständige Ordnungsdezernent Paul Wandrey (CDU) in der Stadtverordnetenversammlung am vergangenen Donnerstag, in der die Ausländerbehörde ein großes Thema war.
Es gibt Fortschritte
Tatsächlich hat sich die Situation morgens vor der Tür gebessert, wie sich bei mehreren Besuchen bestätigt hat. Es standen zwar immer noch viele Menschen stundenlang vor verschlossener Tür, aber das hätte nicht sein müssen: Um kurz vor 8 Uhr ging die Tür auf und innerhalb nicht einmal einer Dreiviertelstunde konnten alle Wartenden ihr Anliegen vortragen. Ein sichtbarer Fortschritt.
Doch wirklich geholfen wird den Betroffenen offenbar immer noch nicht, zumal die Vorsprache weiterhin nur persönlich vor Ort erfolgen kann, was meist mit großem Aufwand verbunden ist. "Man muss morgens schon bei der Ausländerbehörde anstehen, nur um dann am Ende nicht mehr als ein leeres Versprechen zu bekommen", sagt eine internationale Studentin der Hochschule Darmstadt.
Was auffällt: Die Stadt regiert mittlerweile sehr sensibel auf das Thema Ausländerbehörde. Hat sie bislang die Umstände stets eingeräumt, weicht sie nun aus. Die formulierten Vorwürfe - ungenügende Erreichbarkeit, Chaos bei der Terminvergabe und keine konkreten Ansprechpersonen - "bilden die Realität nicht mehr ab", heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage des hr. Die Ausländerbehörde sei "auf einem sehr guten Weg aus der Krise".
Anwältin schaltet Verwaltungsgericht ein
Einen "sehr guten Weg" kann Venous Sander, Anwältin für Asylrecht aus Darmstadt, aber nicht erkennen. Die Aussage der Stadt, die Ausländerbehörde sei "nach wie vor telefonisch oder per E-Mail zu erreichen", ärgert sie sehr: "Ich sehe keine Verbesserungen. Die Hotline ist die ganze Zeit besetzt. Auch auf E-Mails kommt weiterhin nichts zurück."
Immer öfter bemüht Sander deswegen das Verwaltungsgericht, weil die Ausländerbehörde nicht reagiert. "Gerade erst habe ich eine Einstweilige Anordnung ans Gericht geschickt, weil eine Mandantin seit März auf eine Aufenthaltsgestattung wartet." Die Eskalation wird hier zum Regelfall, weil die Behörde ihrer Arbeit weiterhin nicht nachkommt.
Stadt schafft neue Stellen
Dennoch war die Stadt in den letzten Monaten nicht tatenlos. In der Stadtverordnetenversammlung hat Dezernent Wandrey einen Überblick gegeben: Demnach wurde die Behörde inhaltlich neu aufgestellt. Wo vorher nur Sachbearbeitung und Leitung zu finden waren, gebe es jetzt ein Serviceteam, die Sachbearbeitung, Teamleitungen und ein sogenanntes Wissensmanagement.
"Wenn alles fertig umgesetzt und alle ausgebildet sind, dann funktioniert das, denke ich, sehr gut", so Wandrey. Die Mitarbeitenden hätten auch eine berufliche Perspektive innerhalb der Behörde.
Der Knackpunkt dabei: Für die Umsetzung benötigt die Stadt neues und gut ausgebildetes Personal. Bei der Besetzung der neu geschaffenen und besser dotierten Stellen hinke die Stadt noch hinterher, da mache sich auch der Fachkräftemangel bemerkbar, so Wandrey.
Besonders Fachkräfte mit Kenntnissen in Ausländerrecht seien kaum zu finden. Deswegen will die Stadt nun selbst aus- und fortbilden. "Das ist aber ein langer Weg", sagte Wandrey: "Wir sind nicht an dem Punkt, an dem wir sein wollen." Auch in Sachen Digitalisierung hinke die Umsetzung dem Zeitplan hinterher. Ein Online-Portal, wie es etwa die ebenfalls oft kritisierte Ausländerbehörde in Frankfurt nun eingeführt hat, gibt es in Darmstadt nicht.
Fachausschuss berät weitere Maßnahmen
"Es hat sich etwas geändert, aber es ist einfach zu wenig", erkennt auch Kerstin Lau, Fraktionsvorsitzende der Wählervereinigung Uffbasse. Zusammen mit ihrer Fraktion brachte sie in der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag mit Maßnahmen zur Verbesserung der Situation ein. Der wurde einstimmig angenommen, ein Fachausschuss soll sich jetzt damit beschäftigen.
Die Stadt muss und wird sich also weiterhin mit dem Thema beschäftigen. Und vielleicht wird Farzad Ahmadis Wunsch ja doch noch Realität: "Ich möchte nur ernst genommen und mit Respekt behandelt werden." Eine Selbstverständlichkeit - eventuell auch bald in Darmstadt.
Anmerkung: Die Redaktion hat die Namen der Betroffenen in diesem Beitrag geändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.
Sendung: hr4, 27.07.2023, 15 Uhr
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