Eigentümer-Ultimatum abgelaufen Aggressive Entmietungspläne im Frankfurter Bahnhofsviertel vorerst gescheitert
Im Frankfurter Bahnhofsviertel will ein Luxemburger Unternehmen die Mieter eines Wohnhauses loswerden, um ein rentableres Boardinghouse bauen zu können. Die Stadt hält das Vorhaben für nicht zulässig. Dennoch werden die Bewohner massiv unter Druck gesetzt.
An einem Donnerstag Ende Oktober sitzt Udo Fleck morgens in seiner Wohnung im Frankfurter Bahnhofsviertel und fragt sich, ob heute der Tag ist, an dem er auf die Straße gesetzt werden soll. Er und seine Nachbarn haben sicherheitshalber einige Instruktionen erhalten: Nicht öffnen, wenn jemand klingelt, um die Schlüssel abzuholen. Einfach abwarten und das Ultimatum der Vermieter verstreichen lassen. Die Polizei weiß Bescheid.
Seit gut 14 Jahren lebt Fleck im Wohnhaus mit der Anschrift Am Hauptbahnhof 4. Ein Gebäude mit Geschichte. Lange hatte hier Oskar Schindler, der mehr als 1.000 Juden vor der Ermordung durch das NS-Regime rettete, sein Frankfurter Nachkriegsdomizil. Nun warten Fleck und seine Nachbarn, ob der Vermieter seine Ankündigung wahr macht, und auf der Räumung der Wohnungen besteht. Um 10 Uhr läuft die Frist ab.
Wohnen auf Zeit statt Langzeitmieter
"Das ist belastend. Das geht auch an meine Gesundheit", sagt Fleck. Herzschmerzen, Schlaflosigkeit, Selbstmordgedanken. Die zurückliegenden Monate waren für den 78-Jährigen eine Tortur. Anfang des Jahres wurde ihm die Wohnung gekündigt. Schlüsselübergabe sei am 31. Oktober, hieß es damals.
Fleck ist nicht der einzige Betroffene. Nicht weniger als 50 Mieterinnen und Mieter sollten nach dem Willen des Hauseigentümers - einer Luxemburger Gesellschaft - ihre Wohnungen räumen. Für einige läuft an diesem Tag das Ultimatum der Vermieter aus.
Der Grund für die Kündigungen: Aus Sicht der Luxemburger Vermieter bringt das Wohngebäude schlicht nicht genug ein. Deshalb soll es abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Geplant sind nicht - wie sonst in Frankfurt üblich - Eigentumswohnungen, sondern ein Boardinghouse. Gemeint ist damit eine Unterkunft mit vollausgestatteten Wohnungen, die für einen befristeten Zeitraum vermietet werden.
Wohnen auf Zeit statt Langzeitmieter. So begründet das Unternehmen aus dem Großfürstentum selbst sein Vorgehen in den Kündigungsschreiben. Dem Plan steht allerdings nicht nur der Unwille der Mieter entgegen, sondern auch der geltende Bebauungsplan der Stadt. Dieser sieht für diesen Bereich vor, dass Gebäude mindestens zu 60 Prozent als Wohnfläche zu nutzen sind.
Kündigungen wahrscheinlich unwirksam
Aus Sicht der Stadt ist das Boardinghouse-Vorhaben somit schlicht nicht genehmigungsfähig. Darüber seien die Eigentümer auch informiert worden, lässt der Frankfurter Dezernent für Planen und Wohnen, Marcus Gwechenberger (SPD), per Pressemitteilung verbreiten. Bislang liegen nach Auskunft der Bauaufsicht weder eine entsprechende Beratungsanfrage noch ein Bauantrag vor.
Umso absurder stellt sich aus Sicht des Dezernats das Verhalten der Vermieter dar. "Es ist nicht hinnehmbar, dass die Eigentümer trotzdem an den Kündigungen festhalten", betont Gwechenberger. Die städtische Stabsstelle Mieterschutz geht davon aus, dass die Anfang des Jahres ausgesprochenen Kündigungen schlicht nicht wirksam sind.
Vermieter hält an Vorhaben fest
Dass Vermieter versuchen, aus ihrer Sicht "unrentable" Langzeitmieter aus ihren Wohnungen zu drängen, ist in Frankfurt kein neues Phänomen. Der Fall Am Hauptbahnhof 4 jedoch ist selbst aus Sicht der Berater des Vereins Mieter helfen Mietern außergewöhnlich. "Wir haben es hier mit einem Extremfall zu tun", sagt Conny Petzold.
Auch beim Verein Mieter helfen Mietern geht man davon aus, dass die ausgesprochenen Kündigungen ungültig und dies dem Vermieter-Unternehmen auch bewusst ist. Daher müssten die Schreiben des Vermieters und das Ultimatum schlicht als "Einschüchterungsversuche" gewertet werden, glaubt Petzold. "Das verfehlt eventuell auch gar nicht seine Wirkung. Wir haben gehört, dass die ersten Mieterinnen und Mieter schon ausgezogen sind."
Der Vermieter, das Unternehmen First Solid Rock Portfolio, hat auf eine hr-Anfrage knapp geantwortet. Man halte an den Plänen für ein Boardinghouse fest.
Das Klingeln bleibt aus
Dabei kann der Vermieter gar nicht auf eigene Faust räumen. Zunächst müsste er den Rechtsweg einschlagen und gerichtlich einen Räumungstitel erwirken. Die Chancen dafür stehen angesichts des geltenden Bebauungsplans schlecht. "In dem Fall müsste der Vermieter glaubhaft machen, dass die momentane Nutzung des Gebäudes nicht länger wirtschaftlich zumutbar ist", sagt Petzold: "Es reicht nicht einfach zu sagen, ich kann mit einer anderen Nutzung mehr verdienen."
Allerdings stehen den Vermietern andere Möglichkeiten zur Verfügung, "unrentable" Mieter zu verdrängen. Fleck berichtet davon, dass notwendige Reparaturen an Fenstern und Aufzügen ausbleiben. "Da hört man gar nichts mehr. Das interessiert sie überhaupt nicht." Immerhin hat an diesem Morgen niemand geklingelt. Fleck fühlt sich erleichtert. "Weil erst einmal alles vorbei ist", sagt er, "heute zumindest."