Alltag und Berufsleben Hochsensible Menschen: Reizüberflutung und Stress in der Adventszeit
Überfüllte Weihnachtsmärkte, viele Lichter und Gerüche – und dann dröhnt auch noch aus jeder Ecke Musik: Für viele Menschen bedeutet das eine völlige Reizüberflutung. Besonders für hochsensible Menschen.
Trubel, Lieder, Weihnachtsglanz: Viele Hessinnen und Hessen sind in der Advents- und Weihnachtszeit gerne unterwegs und unter Freunden – zum Beispiel beim Einkaufen oder auf dem Weihnachtsmarkt. Licht und Gerüche gehören zur Wohlfühl-Atmosphäre dazu. Doch es gibt auch Menschen, die damit überhaupt nicht klarkommen.
Gerade die Adventszeit ist besonders schwierig für hochsensible Menschen. Und nicht immer sei es möglich, diese Situationen zu vermeiden, berichtet Afi Sika Kuzeawu: "Gestern bin ich durch die Stadt und kam dann am Weihnachtsmarkt vorbei. Es hat mich so geschmerzt dort vorbeizufahren, dass mir fast die Tränen gekommen sind." Kuzeawu, die vor kurzem einen Workshop zum Thema "Hochsensibilität in der Jobsuche und am Arbeitsplatz" an der Universität in Marburg abhielt, gilt selbst als hochsensibel.
Ihren Workshop-Teilnehmenden empfiehlt sie in solchen Situationen - wenn es geht - Kopfhörer oder Ohrstöpsel zu tragen. Das schränke die Sinne ein. Außerdem helfen auch Atemübungen. Auch in anderen Bereichen des Alltags wie beim Einkaufen gibt es schon erste Ansätze, die zum Beispiel hochsensiblen Menschen helfen können.
Überflutete Reize und Sinne gehören zum Leben hochsensibler Menschen
Doch was genau versteht man unter Hochsensibilität? Es geht im Wesentlichen um eine intensivere Wahrnehmung der Umwelt und auch der "Innenwelt", also der eigenen Emotionen und Bedürfnisse. Intensiver als bei den meisten Menschen.
Hochsensible Menschen sind besonders empathisch und oft spricht die Forschung von "offeneren Filtern". Also eine sensible Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen. Zu den Symptomen gehören eine schnelle Reizüberflutung, Überstimulierung und auch Vermeidungsverhalten in bestimmten Situationen.
Wunsch nach mehr Aufklärung
Kristina Steinhauer aus Cölbe (Marburg-Biedenkopf) ist hochsensibel und coacht andere Betroffene. Auch sie berichtet davon, dass viele ihrer Kunden und Kundinnen in der Adventszeit überfordert seien.
Steinhauer spricht von ihrer Hochsensibilität als "persönliche Gabe" und wünscht sich auf dem Gebiet mehr Aufklärung. Denn schon in der Grundschule habe sie nie verstanden, wieso andere Kinder nach der Schule direkt ihre Hausaufgaben erledigen konnten und sie sich erst mal von den Reizen ausruhen musste, um wieder klar denken zu können.
Auf die eignen Bedürfnisse hören sei wichtig – gerade im Beruf
Kuzeawu sieht die Hochsensibilität als "Superpower" und erklärt, dass es wichtig sei, auf die eignen Bedürfnisse zu hören. Sie beschreibt es so: "Eine Orchidee braucht zum Beispiel auch eine besondere Pflege im Vergleich zu anderen Blumen oder Pflanzen. Man würde nie sagen, dass sie krank ist im Vergleich zur Rose zum Beispiel", erklärt die Expertin aus Bern: "Die Orchidee hat diese besonderen Bedürfnisse. Und es gilt, diese Bedürfnisse zu stillen, damit wir auch in den Genuss der Orchidee kommen können."
Mit ihrer Arbeit hat die Coachin allerdings nicht nur positive Erfahrungen gemacht. Denn gerade in der Arbeitswelt sei das Thema stark negativ behaftet. Dabei sei es am Arbeitsplatz von großem Vorteil, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden. Hochsensible Menschen hätten es nicht unbedingt schwerer im Beruf, doch Dinge wie die Option auf Homeoffice, flexiblere Arbeitsmethoden oder mehr Pausen können Betroffene stark entlasten und seien bei der Berufswahl zu beachten.
Foschung: Hochsensibilität immer noch umstritten
Da die Forschung noch sehr jung ist, kommt es immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Bis vor kurzem ging man noch davon aus, dass ungefähr 15 bis 20 Prozent der Menschen hochsensibel sind. Nun gibt es allerdings Erkenntnisse, dass sogar bis zu 30 Prozent betroffen sind, wie das Wissenschaftsmagazin Nature berichtet. Außerdem sei die Hochsensibilität sogar vererbbar, sagt Kuzeawu.
Doch es gibt auch kritische Stimmen in der Wissenschaft, die bemängeln, dass es bisher keine anerkannten Kriterien zur objektiven Messung von Hochsensibilität gibt. Und auch eine diagnostizierbare Krankheit ist die Hochsensibilität nicht, sondern laut den US-Psychologen Elaine N. Aron und Arthur Aron (1997) eine Variation des neuronalen Systems. Also ein angeborener Wesenszug. Durch die gesteigerte Empfindsamkeit ist laut Psychologen allerdings die Gefahr für psychische Leiden größer.