Aufarbeitung des Anschlags Angehörige von Hanau-Opfer wollen neue Ermittlungen erzwingen
Die Familie des beim rassistischen Anschlag von Hanau getöteten Hamza Kurtović beklagt seit Jahren mangelnde Aufarbeitung des Geschehens. Sie geht nun weitere juristische Schritte - mit einem Klageerzwingungsverfahren.
Armin Kurtović wird nicht müde, es immer und immer wieder zu wiederholen: "Es liegt doch alles auf dem Tisch." Ein Satz, den er in den vergangenen knapp fünf Jahren immer wieder gesagt hat. Doch gehört fühlt er sich nicht.
Könnte Hamza Kurtović noch leben? Diese Frage treibt dessen Vater Armin seit dem 19. Februar 2020 um. Ein 43-jähriger Deutscher hatte damals neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst.
Hamza Kurtović wurde in der damaligen "Arena Bar" im Hanauer Stadtteil Kesselstadt erschossen. Seine Eltern sind überzeugt: Die Tür des Notausgangs in der Bar war am Abend des Anschlags abgeschlossen, wodurch Hamza und seine Freunde keine Möglichkeit zur Flucht vor dem Attentäter hatten. Vater Armin und seine Frau Dijana haben deshalb nun beim Oberlandesgericht Frankfurt ein Klageerzwingungsverfahren beantragt.
Notausgang soll regelmäßig abgeschlossen gewesen sein
Der fast 700-seitige Antrag liegt dem hr vor. Darin geht es um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Die Kurtovićs haben dafür in den vergangenen Jahren mehrere Zeugen aufgetrieben, Videoaufzeichnungen gesichtet, eidesstattliche Erklärungen gesammelt und Gutachten eingeholt. Sie sollen belegen, dass die Notausgangstür am 19. Februar 2020 abgeschlossen war - und wer dafür die Verantwortung trägt.
Schon lange vor dem Anschlag sei diese Tür regelmäßig auf Anweisung verschlossen worden, damit Verdächtige bei Drogenrazzien nicht vor der Polizei flüchten konnten. Das haben mehrere ehemalige Gäste dem hr in der Vergangenheit versichert. Auch der Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag sieht es in seinem Abschlussbericht als Fakt an, dass die Notausgangstür regelmäßig abgeschlossen war – auch am Abend des Anschlags.
Staatsanwaltschaft stellte Ermittlungen ein
Die Staatsanwaltschaft Hanau und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt sehen das nicht so: Es sei eben nicht sicher, außerdem sei nicht belegbar, ob Hamza Kurtović und die anderen Menschen in der Bar es überhaupt rechtzeitig zur Tür geschafft hätten. Entsprechende Ermittlungen dazu haben sie deshalb eingestellt und Verfahren abgelehnt. Der jetzige Antrag auf Klageerzwingung richtet sich gegen diese ablehnenden Entscheidungen.
Die Tatsache, dass der Untersuchungsausschuss und Ermittlungsbehörden zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, lasse ihm keine Ruhe, erklärt Armin Kurtović. "Bis heute ist niemand zur Verantwortung gezogen worden." Das solle sich ändern, finden die Kurtovićs. Konkret richten sich die Vorwürfe gegen die damaligen Inhaber und Betreiber der Bar, aber auch gegen Mitarbeitende der Stadt Hanau.
Nicht erreichbarer Notruf
In ihrem Antrag auf Klageerzwingung geht es neben der Thematik "Notausgang" auch um den nicht erreichbaren Notruf. Der Vater des beim Anschlag getöteten Vili-Viorel Păun hatte deshalb Anfang des Jahres Anzeige gegen mehrere Polizeibeamte erstattet, neue Ermittlungen waren aber auch hierzu von den Behörden eingestellt beziehungsweise abgelehnt worden.
Eine Sprecherin des Oberlandesgerichts Frankfurt hat den Eingang des Antrags auf Klageerzwingung bestätigt. Das Gericht muss nun prüfen, ob Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft nicht doch Verfahren hätten einleiten müssen. Armin Kurtović hofft, nun endlich so etwas wie Gerechtigkeit zu erfahren. "Notfalls gehen wir bis zum Ende", erklärt er. Konkret würde das bedeuten, bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu ziehen.