Steigende Bewerberzahlen Warum immer mehr junge Hessen zur Bundeswehr wollen
Die Bundeswehr wird bei jungen Hessen als Arbeitgeber immer attraktiver. Karriereberater registrieren mehr Zulauf. Gegner kritisieren aggressive Werbung - und die Rekrutierung Minderjähriger.
Tom will zur Bundeswehr. Als Soldat auf Zeit für vier Jahre, am liebsten als Sanitäter oder Feuerwehrmann. Zur Anmeldung im Karriereberatungsbüro in Wetzlar (Lahn-Dill) ist er mit seinen Eltern gekommen - denn Tom ist erst 16 Jahre alt.
Mehrfach hat die Familie aus Hadamar (Limburg-Weilburg) zu Hause über die Entscheidung diskutiert. Toms Vater hatte zuerst mögliche Auslandseinsätze im Kopf. Und auch seine Mutter hatte "die schlimmsten Gedanken", sagt sie.
Jedes Mal, wenn sie den Fernsehen anmache, denke sie: "Hoffentlich ist deiner nicht irgendwann dabei". Unterschreiben will sie trotzdem. "Das können wir ihm nicht mehr ausreden", sagt Toms Mutter.
Beratungsangebote und Tests
Toms Chancen stehen gut, erklärt Marcel M. Er ist Karriereberater bei der Bundeswehr. Seinen Namen müssen wir abkürzen, so ist es bei der Bundeswehr üblich. Trotz seines Bürojobs trägt Marcel M. Tarnuniform und schwere Stiefel. An der Wand: lauter Fotos von Soldaten unterschiedlichster Divisionen.
Das Büro in Wetzlar ist eins von 110 Karriereberatungsbüros der Bundeswehr in ganz Deutschland. Hier können sich Menschen offiziell bei der Truppe bewerben. Interessenten wie Tom durchlaufen neben verschiedenen Beratungsangeboten auch ein physisches und psychisches Eignungsverfahren.
Vorher können sie sich bei sogenannten Discovery Days, einem Truppenbesuch, ein Bild von der Bundeswehr machen. Diese Möglichkeit hat auch Tom genutzt. Dort haben ihm junge Soldaten drei Tipps für den Start mitgegeben, erzählt der 16-Jährige: "Nicht diskutieren, sondern machen, Ordnung in der Stube halten und sich mit den Kameraden anfreunden".
Minderjährige als neue Zielgruppe
Die Bundeswehr hat minderjährige Schülerinnen und Schüler als Zielgruppe identifiziert und will sie mit speziellen Veranstaltungen und einem eigenen Marketing ansprechen. Offenbar mit Erfolg.
So sind bei den neu eingestellten Soldatinnen und Soldaten in Hessen vor allem die Zahlen der unter 18-Jährigen gestiegen.
Besonders deutlich zeigt sich das im Vergleich von 2023 mit 2021. Hier haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt.
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Kritik an Werbung an Schulen
Tom ist auch über die Schule auf die Bundeswehr aufmerksam geworden. Dort waren Infos verteilt worden. Genau das kritisiert Michael Schulze von Glaßer. Er ist politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG).
Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr nimmt Schulze von Glaßer als aggressiv wahr. Egal ob auf Plakaten, im Internet oder an Schulen - die Bundeswehr sei omnipräsent. Sie produziere sogar eigene Serien für ihre Youtube-Kanäle, so der Friedensaktivist. Auch auf Pizzakartons und Brötchentüten werde man mit Werbung der Bundeswehr konfrontiert.
Negative Aspekte ausgeklammert?
Der DFG-Geschäftsführer kritisiert, dass negative Aspekte ausgeklammert würden. Zum Beispiel, dass "man nicht einfach kündigen kann". Außerdem würden Tod und Verwundung nicht angesprochen, behauptet er.
Stattdessen werbe und die Bundeswehr junge Menschen gezielt mit der Aussicht auf ein Abenteuer an. Viele ihrer Versprechen könne sie später aber nicht halten.
Erfolg bei Youtube
Vor allem die Social Media-Kanäle laufen aus Sicht der Bundeswehr äußerst erfolgreich. Rund 1,4 Millionen Menschen erreicht die Truppe hier täglich.
Es gebe ein ungebrochenes Interesse an der Bundeswehr als Arbeitgeber, so eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln. Diese biete eine "vermehrt von der Generation Z gesuchte sinnstiftende Tätigkeit".
Friedensaktivist Schulze von Glaßer kritisiert dagegen die Ausbildung, die Minderjährige beim Bund erhalten - vor allem an der Waffe. Man dürfe als 17-Jähriger "noch nicht jedes Ballerspiel kaufen", weil virtuelles Schießen zu gefährlich sei, doch die reale Armee bilde im echten Schießen aus - auch um "Menschen zu töten".
Keine Auslandeinsätze bei Minderjährigen
Die Bundeswehr weist diese Kritik zurück. Der Gebrauch der Waffe sei bei Minderjährigen allein auf die Ausbildung beschränkt und stehe unter strenge Aufsicht, so eine Sprecherin. Zudem dürften Minderjährige nicht an Auslandseinsätzen teilnehmen.
Teil der Aufklärungsgespräche seien nicht nur die Chancen, die der Soldatenberuf mit sich bringe. Man kläre ebenso über Herausforderungen und Risiken auf und spare kritische Themen wie Tod und Verletzungen nicht aus.
20 Prozent mehr Bewerber in Wetzlar
Zurück in Wetzlar. Hier sind 2024 bereits über 600 Bewerbungen eingegangen, rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Büro ist für die vier Landkreise Marburg-Biedenkopf, Gießen, Lahn-Dill-Kreis, Limburg-Weilburg in Mittelhessen zuständig.
Auch hier beobachtet man den bundesweiten Trend: Es gibt immer mehr Bewerber zum militärischen Dienst und auch bei Berufsbildern im zivilen Dienst, wie beispielsweise Elektromeister oder Ingenieurin, weist der Trend nach oben. Davor waren die Zahlen seit 2018 vor allem im militärischen Bereich eher gesunken.
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Mögliche Gründe für steigenden Zuspruch
Dass die Bundeswehr als Arbeitgeber offenbar gut ankommt, erklärt sich der Leiter des Wetzlarer Büros, Torsten B., unter anderem mit der unsicheren wirtschaftlichen Lage. "Geht's der Gesellschaft nicht ganz so gut, kommen die sicheren Berufe in den Fokus", so der Bundeswehr-Hauptmann.
Hinzu kämen weitere Krisen und die seien für die Bundeswehr die beste Werbung. Egal ob Hochwasser oder Krieg in Osteuropa: Die Bundeswehr und ihre Aufgaben werden nach Ansicht de Rekrutierer viel stärker wahrgenommen als früher.
Wichtig, dass "nicht jeder Tag gleich ist"
Auch Tom wird mit 17 Jahren einer der Minderjährigen sein, wenn er im nächsten Jahr bei der Bundeswehr einsteigt. Für ihn ist vor allem wichtig, dass "nicht jeder Tag gleich ist" - und dass er "nicht im Büro sitzt".
Über Tod und Verwundung hat auch er schon nachgedacht. "Man kann auch als Dachdecker vom Dach fallen" sagt er. Krieg werde es auf der Welt immer geben. "Wenn ich mich von so was runterdrücken lassen würde, dann wäre Bundeswehr nichts für mich".