Aufforstung und Klimaanpassung Wie der hessische Wald gerettet werden soll

Dem hessischen Wald geht es schlecht. Mit dürreresistenten Bäumen und neuen Pflanzmethoden soll er nun auf die Klimaveränderungen vorbereitet werden. Der Wald der Zukunft wird anders sein als der von heute.

11.07.2019, Rheinland-Pfalz, Koblenz: Die Luftaufnahme mit einer Drohne zeigt geschädigte Fichten im rechtsrheinischen Stadtwald von Koblenz. Dürre, Hitze und Schädlinge bringen nicht nur Nadel-, sondern zunehmend auch Laubbäumenden Tod.
Besonders Fichten sterben derzeit reihenweise ab Bild © picture-alliance/dpa
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Mit aller Kraft rammt Christina eine Hacke in den lehmigen, schweren Waldboden. Sie setzt eine kleine Weißtanne in das große Loch, gibt ein paar Kugeln Dünger dazu und bedeckt alles wieder mit Erde. Immer und immer wieder tut sie das: hacken, Dünger, Erde. Baum für Baum, eine Woche lang.

Für diese Plackerei bekommt Christina kein Geld. Sie ist sogar extra dafür aus Darmstadt ins mittelhessische Bad Endbach (Marburg-Biedenkopf) gereist, um am freiwilligen Baumpflanzeinsatz des Vereins "Bergwaldprojekt" teilzunehmen. Sie will hier etwas bewegen, sagt sie: für den Wald, fürs Klima – ein bisschen auch für das eigene Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. "Und außerdem kann man hier nette Menschen kennenlernen, draußen sein und mehr über die Natur lernen."

Mehr als zehn Prozent des Staatswalds ist kahl

Wohl selten zuvor hatte der Wald Hilfe wie diese so nötig wie jetzt. Wer sich momentan durch Hessens ländlichen Raum bewegt, sieht vielerorts eine Kahlfläche nach der anderen. Inzwischen ist es stellenweise ein nahezu apokalyptischer Anblick, der einem fast die Tränen in die Augen treiben kann.

Allein im Hessischen Staatswald sind laut Hessenforst inzwischen bis zu 40.000 Hektar kahl – mehr als zehn Prozent der Gesamtfläche. Dürre und Borkenkäfer haben dem Wald schwer zugesetzt: Erst folgten ab 2018 drei verheerende Dürrejahre aufeinander. Dann erledigte auch das laufende Jahr mit überdurchschnittlich hohen Temperaturen und wenig Regen sein Übriges.

Im Frankfurter Stadtwald, einem der größten innerstädtischen Wälder Deutschlands, ist inzwischen kaum noch ein Baum gesund. Auch der am Freitag veröffentlichte Waldzustandsbericht bescheinigt dem gesamten Wald in Hessen einen insgesamt sehr schlechten Zustand.

Aufforstung: Derzeit das wichtigste Thema im Wald

Was jetzt folgt und bereits mitten im Gang ist, sei ein jahrelanger Prozess der Aufforstung, erklärt Johannes Weidig, der beim Landesbetrieb HessenForst für die Wiederbewaldung zuständig ist. Derzeit beschäftige die Förster in Hessen kein Thema so sehr wie dieses - auch emotional. Viele müssten derzeit miterleben, wie ihr Lebenswerk zerstört wird.

Gut die Hälfte der Flächen werde sich von selbst wieder erholen, erklärt Weidig. Naturverjüngung heißt das im Fachjargon, wenn Bäume sich von ganz allein aussäen und vermehren. "Bei anderen Flächen müssen wir nachhelfen, damit ein gesunder Mischwald aus mindestens drei unterschiedlichen Baumarten entsteht."

Der deutsche Wald leidet stark unter Trockenheit und Hitze
Stellenweise wird sich der Wald von alleine erholen, stellenweise braucht er Hilfe Bild © Cristina Garcia

Denn: Die Zeiten von dichten Fichtenwäldern, die besonders nach dem Krieg in Monokulturen für schnelles Bauholz angelegt wurden, seien eindeutig vorbei, sagt Weidig. "Die Fehler von damals dürfen sich nicht wiederholen, wir müssen uns heute deutlich vielseitiger aufstellen."

Jungbäume sind Mangelware

Allein im Laufe dieses Jahres will HessenForst rund fünf Millionen Bäume pflanzen, so wie auch schon in den beiden Vorjahren. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden etwa eine Million Bäume gepflanzt. Dafür braucht es natürlich Personal und Material.

Zum Teil erledigten die Förster die Pflanzarbeit selbst, erklärt Weidig. "Aber alleine könnten wir das niemals schaffen." Die Forstbetriebe greifen deshalb zunehmend auf externe Dienstleister zu. Auch der Einsatz von Freiwilligen sei sehr willkommen, meint Weidig - so wie in Bad Endbach.

Trotz des bereits deutlich erhöhten Pflanztempos sind in den letzten Jahren erst rund 5.000 Hektar aufgeforstet worden, also etwa ein Siebtel der aktuellen Kahlflächen. Das sei schon viel, betont Weidig, und schneller gehe es einfach nicht. "Schon allein weil wir auf dem Markt gar nicht so viele Jungpflanzen bekommen, die müssen ja auch erst mal wachsen."

Klimaanpassung des Waldes

Damit der junge Wald eine lange Zukunft hat, müssen die Forstbetriebe außerdem umdenken. Längst sprechen sie nicht mehr nur von reiner Aufforstung, sondern auch von "Klimaanpassung" des Waldes. Überall in Hessen werden derzeit Feldversuche mit verschiedenen Pflanzmethoden oder Sorten durchgeführt, meist auf viele Jahre angelegt.

Junger Nadelbaum im Wald wird in der Erde festgedrückt
Auch die Weißtanne gilt als Hoffnungsträgerin für den Waldbau im Klimawandel Bild © Janina Michel

Besonders intensiv beschäftigen die Förster sich derzeit damit, welche Baumarten in Klimawandelzeiten noch Zukunft haben. Während die Fichte eindeutig als Klimaverliererin gilt, werden weiterhin viele Eichen gepflanzt. Aber auch alternative Nadelbäume werden gepflanzt, etwa Kiefern und Lärchen, zudem auch immer mehr nichtheimische Baumarten wie Douglasien und Küstentannen.

Versuche mit Esskastanie, Orient-Buche oder Libanonzeder

Auf vier großen Versuchsflächen in Hessen werden außerdem dürreresistente Baumarten getestet, die bisher noch selten in Hessen zu finden sind. Wie aus dem Waldzustandsbericht zu entnehmen ist, wird derzeit besonders an Arten aus dem Mittelmeerraum, Vorderasien und dem Kaukasusgebiet geforscht, etwa Esskastanie, Orient-Buche oder Libanonzeder.

Den einen perfekten Baum gebe es nicht, sagt Johannes Weidig. Was geeignet ist, hänge immer auch vom Standort ab - und man orientiere sich dabei auch genau an Klimaszenarien aus der Wissenschaft.

Höhere Überlebenschancen durch neue Pflanzmethoden

Zudem versuchen Försterinnen und Förster in Hessen derzeit, die Überlebenschancen der Jungbäume durch neue Pflanzmethoden zu erhöhen. Das Forstamt Frankenberg beispielsweise entwickelte im Dürrefrühling 2020 ein eigenes Bewässerungssystem für den Wald - aus lauter Verzweiflung, wie es damals hieß. Mit einem mobilen System aus Pumpen, Schläuchen und Wassercontainern können Jungpflanzen in Dürrezeiten so auch auf unwegsamem Gelände bewässert werden.

Zudem pflanzen Förster beispielsweise statt der bisher üblichen wurzelnackten Pflanzen, die ohne eigenen Erdballen angeliefert werden, inzwischen auch Bäume aus Containern, so wie man sie etwa aus dem Gartencenter kennt.

Düngeversuch mit Schafwollpellets in Bad Endbach

Auch bei der Weißtannen-Pflanzaktion in Bad Endbach startet das dortige Forstamt einen kleinen Feldversuch: In die Pflanzlöcher werden erstmals Düngekügelchen aus gepresster Schafwolle gegeben, gemacht aus der Wolle von Schafen aus dem Landkreis, die sonst ein Abfallprodukt wäre. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser noch recht neuartige Naturdünger nicht nur wertvolle Nährstoffe liefert, sondern zusätzlich auch als Wasserspeicher dienen kann.

Ein Eimer mit braunen Kügelchen
Regional produzierte Schafwollpellets könnten Jungbäume in Dürrezeiten besser versorgen Bild © Janina Michel

Ob all diese Versuche Erfolg haben, wird sich aber erst in vielen Jahren zeigen. "Im Wald braucht alles seine Zeit", meint Johannes Weidig von HessenForst. Trotz allem ist er zuversichtlich. Er glaubt: Der Wald in Hessen hat eine Zukunft. Auch wenn die höchstwahrscheinlich anders aussehen wird, als man es vielerorts bisher gewöhnt war: nicht so dicht, nicht so dunkel. Aber trotzdem ein Wald.

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Sendung: hr4, die Hessenschau für Mittelhessen, 8.11.2022, 15.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de