Deshalb funktioniert "L'Amour Toujours" auf TikTok als Hass-Hymne
Aus einem harmlosen Partyhit von Gigi D'Agostino ist eine rechtsextreme Chiffre geworden. Auch in Hessen ist "L'Amour Toujours" inzwischen ein Fall für den Staatsschutz. Das hat viel mit TikTok zu tun.
Es ist ein Social-Media-Trend, den das hessische Landeskriminalamt (LKA) als strafrechtlich relevant einstuft: Im Netz kursiert auf verschiedenen Plattformen der Partyhit "L'Amour Toujours" von Gigi D'Agostino, vor mehr als 20 Jahren komponiert als tanzbares Liebeslied, seit einigen Monaten umgedichtet zur Hass-Hymne.
Im Original kommt der Refrain ohne Text aus, nun singen immer mehr Partygäste und Discogänger auf die eingängige Melodie die rechtsradikale Parole "Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus".
Vom Dorffest in die Social-Media-Kanäle
Das Magazin Katapult MV berichtete, dass die verachtende Zeile über Gigi D'Agostinos Hookline bei einem Dorffest in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Oktober gegrölt wurde. Per TikTok-Video kam es ins Internet.
Im Clip über jenes Dorffest liegt nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) der Ursprung des Trends. Der NDR berichtete, in der Folge des Dorffest-Clips aus Pasewalk etliche solcher Partyvideos auf TikTok gefunden zu haben.
TikTok ist besonders bei Jugendlichen beliebt. Zwei von fünf Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren nutzten die Kurzvideoplattform im vergangenen Jahr täglich, wie die ARD/ZDF-Onlinestudie ergab. Bei den 14- bis 29-Jährigen war es demnach fast jede oder jeder Dritte. Insgesamt nutzen über ein Viertel der Menschen in Deutschland TikTok.
"Kein harmloser Spaß"
"L'Amour Toujours"-Videos mit dem anstößigen Text finden sich nicht nur auf TikTok, sondern auch auf Youtube und anderen Plattformen. Junge Menschen scheinen den Trend um den verfremdeten Song als Spaß abzutun, wie die LKA-Sprecherin Virginie Wegner findet. Das Gegenteil sei der Fall: "Wir reden von Volksverhetzung. Es ist kein harmloser Spaß, und es ist auch kein Kavaliersdelikt."
Klar ist, dass die Parole in den 1980er Jahren unter Neonazis groß wurde. Nicht ganz so klar ist die Rechtssprechung: Manche Gerichte sahen darin einen Fall von Volksverhetzung, andere eine freie Meinungsäußerung. Es komme auf den Kontext an, heißt es in einem Urteil des Landgerichts Magdeburg, etwa ob es in einer Gruppe gegrölt werde.
Auch in Hessen gab es in den vergangenen Monaten dokumentierte Vorfälle - und meist ging es um Gruppen. Ein Video zeigt eine feiernde, grölende Menge im osthessischen Kalbach (Fulda) Ende November 2023. Was als Partyabend in einer Disco angefangen hatte, endete mit Ermittlungen des Staatsschutzes.
Außerdem stimmten im Lahn-Dill-Kreis zwei 16-jährige Schüler die rassistische Parole an, Studierende am Rotenburger Studienzentrum für Beamte taten das vor kurzem ebenfalls. Auch hier hat der Staatsschutz die Ermittlungen aufgenommen.
"Froh, dass ihr den Liedtext vergessen habt"
Mittlerweile ist das Lied regelrecht zu einer rechten Chiffre geworden - auch ohne Text. So wurde beim Politischen Aschermittwoch des AfD-Ortsverbands Rödermark (Offenbach) die Melodie samt Karnevalstusch zu Gelächter im Saal eingespielt. Der AfD-Abgeordnete Matthias Helferich kommentierte das auf der Bühne so: "Ich bin froh, dass ihr alle den Liedtext vergessen habt."
Das ist, wenn man so will, der bittere Clou bei dem Trend, der Gigi D'Agostinos fröhlichem Partyhit aus den 2000ern gut 20 Jahre später eine dunkle Seite hinzufügte: Die Melodie funktioniert inzwischen ohne die anstößigen Zeilen. Was unschuldig war, ist nun beschmutzt, auch wenn der sichtbare Dreck wieder entfernt wurde. "RIP L'amour toujours - damals als der Song noch nicht zerstört wurde", schreibt ein Nutzer auf TikTok.
Auch das Unternehmen selbst reagierte. "Hass hat auf TikTok keinen Platz", teilt TikTok auf hr-Anfrage mit. So prüfe TikTok proaktiv Inhalte, die mit dem Song "L'Amour Toujours" in Verbindung stehen, und entferne Kommentare, die gegen die eigenen Richtlinien gegen Hass verstoßen. Mehr als 40.000 Sicherheitsexpertinnen arbeiteten - unterstützt von KI-Technologie - daran, TikTok zu einem sichereren Ort für die Community zu machen.
"Schick mal PN, was die genau singen"
Zum Zeitpunkt dieser hr-Recherche sind "L'Amour Toujours"-Videos mit den "Ausländer raus"-Zeilen unter verschiedenen Stichworten nicht mehr aufzufinden, das stimmt. Aber eine Menge Clips, die mit vordergründig harmlosen Kommentaren in den Kommentarspalten darauf Bezug nehmen. Das stützt die These, dass Gigi D'Agostinos Dancefloor-Klassiker als rechte Chiffre benutzt wird - oder dass mindestens mit den verachtenden, rechten Aussagen gespielt wird.
Hier zum Beispiel singen Menschen in einer Disco nur "Dupp du du dupp" zur Refrain-Melodie. In der Kommentarspalte dazu schreibt ein Sascha.Hesse: "Aaaah, jetzt hab ich kapiert - schick mal PN, was die genau singen". H8 Breeder, die oder der schon im Nickname einen Nazi-Code verwendet, tippt nur "444", was für "Deutschland den Deutschen" stehen dürfte.
Etliche TikTok-Clips zeigen Menschen in einer Mailänder U-Bahn, wo ein Mann den Gigi D'Agostino-Hit spielt - etwa dieser Clip hier. Kommentare dazu: "Ich wette die singen dasselbe nur auf Italienisch." Oder: "Den Text hab ich irgendwie anders in Erinnerung." Oder: "Wer kennt die deutsche Version?"
"Ob du zu diesem Lied noch feiern darfst"
Dann gibt es Clips, die auf den Ohrwurm-Charakter auch des "Ausländer raus"-Refrains anspielen. Denn mit der eingängigen Hookline bleiben bei vielen eben unweigerlich auch die verachtenden Zeilen hängen. "Wenn du dein Lieblingslied nicht mehr ohne verbotenen Text hören kannst", hat jemand einen Clip betitelt.
Jemand anderer hält fest: "POV: du bist Deutscher und weißt nicht, ob du zu diesem Lied noch feiern darfst". Das Video zeigt einen feixenden Tätowierten. In vielen Kommentaren zu solchen Videos steht sinngemäß: "Viele meiner Freunde sind Ausländer, singen da auch mit, ist nur Spaß."
"Einfallstor für Rechtsextreme"
Ist, was mal unschuldig war, nun einfach auf andere Art unschuldig? Ein gedankenloser Spaß, eine Provokation vielleicht, jugendlicher Unfug halt? Dass solch rassistisches Gedankengut bei Social Media eingebracht wird, hält Virginie Wegner vom LKA für Taktik. Rechtsextremen böten die Plattformen ein Einfallstor, um ihre fremdenfeindlichen Ideologien zu verbreiten und damit auch junge Menschen sehr einfach zu beeinflussen.
Denn Kinder und Jugendliche merkten überhaupt nicht, dass sie beeinflusst würden, warnt Wegner: "Die nehmen das oft als Spaß wahr." Deshalb sei es umso wichtiger, dass Eltern einen Blick auf die Handynutzung ihrer Kinder hätten.
Beratung bietet etwa die gemeinnützige Organisation Hate Aid aus Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im Netz ein, berät Eltern und Jugendliche zum Thema und erlebt dabei nach Aussage von Geschäftsführerin Josephine Ballon immer wieder Überforderung bei Betroffenen.
Ein Grundproblem seien die Strukturen der Plattformen: Ihr Geschäftsmodell begünstige Hassnachrichten und sorge dafür, dass sie besonders viel Reichweite bekommen, weil sie meistens sehr viele Reaktionen hervorrufen. Vor allem seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs seien gewaltvolle Inhalte auf Plattformen wie TikTok ein großes Problem, sagt Ballon.
"Rassismus, Antisemitismus - das alles findet sich auf TikTok"
Auch die Frankfurter Social-Media-Managerin Luise Wolff sieht TikTok nicht so sauber wie die Plattform sich selbst. "Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit - das findet man alles auf TikTok", sagt Wolff.
Dass solch menschenfeindlicher Content dort einen Nährboden finde, sei auch der Technik geschuldet. TikTok funktioniere anders als andere Plattformen, erklärt Wolff. Ein Beispiel dafür sei die sogenannte For-You-Page. "Dort werden Videos angezeigt, die der Algorithmus, auf dem eigenen Nutzungsverhalten basierend, auswählt”, sagt die 26-jährige. Anders als bei anderen Plattformen werden nicht nur Videos von Accounts, denen man schon folgt, vorgeschlagen.
"Netzwerke zu Verantwortungsübernahme zwingen"
Bei antisemitischen und rassistischen Videos reagierten viele Menschen emotional und schrieben daher eher einen Kommentar. Dadurch erkenne der Algorithmus, dass der Inhalt die Aufmerksamkeit der Nutzenden erregt, erklärt Wolff - unabhängig davon, ob die Kommentare sich für oder gegen den Inhalt des Videos aussprächen.
Luise Wolffs Bachelorarbeit über Strategien gegen Antisemitismus auf TikTok wurde mit dem Johanna-Kirchner-Preis ausgezeichnet. Ihr Fazit: Es braucht dort mehr Bildungsarbeit.
Die Zivilgesellschaft, Bildungseinrichtungen und andere Nutzende müssten dieses Problem gemeinsam angehen - zusätzlich zu den Social-Media-Plattformen selbst, findet Luise Wolff. TikTok versuche schon einiges, um gegen Menschenfeindlichkeit auf der eigenen Plattform vorzugehen, aber das sei noch lange nicht genug.
Teil der Lösung des Hassproblems im Netz müsse sein, meint Josephine Ballon von Hate Aid, dass die Sozialen Netzwerke mehr Verantwortung übernehmen für die Verbreitung digitaler Gewalt: "Denn aktuell ist das leider noch nicht der Fall. Wir plädieren unter anderem auch dafür, dass sie durch die Gesetzgebung dazu gezwungen werden."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 22.02.2024, 19.30 Uhr
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