Firmengeflecht und Privatkredit Die lukrativen Millionengeschäfte des früheren AWO-Chefs
Der frühere Chef der Arbeiterwohlfahrt Hessen-Süd, Torsten Hammann, hat nach hr-Recherchen aus privaten Geschäften mit dem Verband in sechs Jahren mehr als 1,8 Millionen Euro eingenommen.
Die Affäre um die Arbeiterwohlfahrt in Hessen hat zahlreiche Schauplätze. Die AWO Frankfurt schätzt den Schaden durch ehemalige Funktionäre auf 6,3 Millionen Euro. Die AWO Wiesbaden ist insolvent und erst in dieser Woche gab es Durchsuchungen bei AWO-Mitarbeitern, bei denen Vermögenswerte in Höhe von 2,2 Mio Euro beschlagnahmt wurden.
hr-Recherchen im Bezirksverband Hessen-Süd haben ergeben, dass deren früherer Chef Torsten Hammann innerhalb von sechs Jahren mehr als 1,8 Mio Euro kassiert hat. Dieser Betrag ergibt sich aus Honoraren, Zinsen eines Privatkredits und dem Gewinn eines Privatunternehmens für Immobilien. Insgesamt war Hammann über sieben verschiedene Unternehmen mit der AWO im Geschäft. Doch wie war das möglich? Eine Chronik der Ereignisse:
Torsten Hammann aus Bad König im Odenwald ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Seit 23 Jahren ist er Partner in einer Kanzlei mit der noblen Adresse "Herrenhaus Büchnerpark" in Pfungstadt. Vor etwa 15 Jahren beginnt Hammann, den Bezirksverband Hessen-Süd der Arbeiterwohlfahrt zu beraten - ein Konzern mit heute 3.200 Beschäftigten und 170 Millionen Euro Jahresumsatz.
Vom Steuerberater zum AWO-Chef
Hammann rät zu Privatisierungen, um Geld in die Kasse zu bekommen. 2015 verkauft die AWO auf seinen Rat ein Pflegeheim in Bruchköbel (Main-Kinzig). Sie verkauft an eine Firma, die Hammann mitgegründet hat. Auch Freunde und Bekannte Hammanns investieren in diese Firma. Die AWO zahlt jetzt Miete und zwar an die Firma ihres eigenen Beraters.
Der AWO-Vorstand macht Hammann kurz nach dem Deal zum Chef auf Honorarbasis, Generalbevollmächtigter genannt. Das passiert 2016. Die Geschäfte zwischen der AWO und Unternehmen, an denen Hammann beteiligt ist, laufen weiter. Ein weiteres AWO-Pflegeheim, diesmal in Langgöns (Gießen), geht an eine Hammann-Firma.
Sogar die Dächer dienen dem Profit. Solaranlagen von Hammann und einem Partner versorgen AWO-Einrichtungen mit Strom. Die dafür geschlossenen Verträge haben eine Laufzeit von 20 Jahren.
Vom Vorstand jahrelang abgenickt
Die sozialdemokratische Arbeiterwohlfahrt ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Millionengeschäfte von einem ehrenamtlichen Vorstand kontrolliert und abgesegnet werden. Wie konnte es also sein, dass Hammann über Jahre hinweg auf der Seite der AWO und auf der Seite seiner Geschäftspartner Einfluss nahm, ohne dass die Kontrollinstanz eingriff?
An der AWO-Spitze stand zwölf Jahre lang der heute 73 Jahre alte Willy Jost, ehemaliger Stadtkämmerer von Gießen. Er erklärt: "Torsten Hammann war auf der Anbieterseite zu Zeiten, als er für uns noch nicht als Generalbevollmächtigter tätig war." Damit erzählt er jedoch nur die halbe Wahrheit. Insgesamt war Hammann nach hr-Recherchen über sieben Unternehmen mit der AWO im Geschäft und zwar auch in seiner Zeit als AWO-Chef.
Von Privatkrediten profitiert
Zur Erklärung der Deals führen Hammann und Jost Liquiditätsengpässe an. Die AWO habe kurz vor der Pleite gestanden und dringend Geld gebraucht. So kommt es auch, dass ein handverlesener Kreis der AWO Geld zu einem hohen Zinssatz leihen darf. Auch Vorsitzender Willy Jost macht mit: 100.000 Euro, zu sechs Prozent, für zwei Jahre. Macht 12.000 Euro Zinsgewinn für den Ehrenamtler. "Dazu stehe ich", meint Jost. "Das war ein Beschluss des Gesamtvorstandes, der versucht hat, dadurch die Liquiditätslücken zu überbrücken."
Noch lukrativer ist das Privatdarlehen, das Torsten Hammann gibt. Er leiht der AWO eine halbe Million Euro zu 6,5 Prozent - in gut fünf Jahren ein Gewinn von rund 165.000 Euro. In dieser Zeit verdient er außerdem Honorare in Höhe von mehr als einer Million Euro. Hinzu kommen die Gewinne aus den Unternehmen, die mit der AWO Geschäfte machen. Am Weiterverkauf des Pflegeheims Bruchköbel (Main-Kinzig) in diesem Herbst verdient Hammann mehr als eine halbe Million Euro.
Hammann verweist auf wirtschaftliches Risiko
Gegenüber dem Hessischen Rundfunk erklärt Hammann, das Risiko für ihn und Investoren aus seinem Kunden- und Freundeskreis sei hoch gewesen. Der AWO-Bezirksverband sei wirtschaftlich am Ende gewesen. Man habe mitunter mehr bezahlt, als angemessen gewesen wäre. "Als seriös würde ich es auch heute noch auf jeden Fall bezeichnen", sagt Hammann. Es sei freilich "eine untypische Aufgabenstellung" gewesen.
Dem hr liegen die Bilanzen der vergangenen fünfzehn Jahre vor. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die AWO immer notleidend war. Die Hammann-Deals haben das nicht grundlegend verbessert. Die Privatkredite über insgesamt fünf Millionen Euro waren für die AWO nicht billig. Der Zins lag deutlich über dem Durchschnitt der sonstigen AWO-Finanzierung.
Im Herbst 2020 ist Schluss
Der AWO-Bundesverband hat den Geschäften mit Hammann nun ein Ende gesetzt. Eine Prüfkommission unter Leitung der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat Hammanns Geschäften ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Im Oktober ist der letzte Beratervertrag der AWO mit Torsten Hammann ausgelaufen. Mitte November setzt ein Schiedsgericht den Vorsitzenden Jost ab.
Seit Ende November hat der AWO-Bezirk einen neuen ehrenamtlichen Vorstand. Der steht vor einer Sanierungsaufgabe: Der Verband hat nur noch geringes Vermögen, die Kosten für Mieten und Personal sind zu hoch, es droht in diesem Jahr - nicht zum ersten Mal - Verlust.
Sendung: hr-iNFO, 10.12.2020, 16.20 Uhr