Mobbing-Vorwürfe von Mitarbeitern AWO suchte mit Detektiven nach Whistleblowern
Manch einer ließ es sich bekanntlich bei der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt richtig gut gehen. Mutmaßlichen Kritikern am System setzte die Geschäftsleitung hart zu. Da machten auch mal Detektive den nötigen Druck.
"In gegenseitiger Wertschätzung arbeiten wir kooperativ, freundlich und respektvoll miteinander", hält das Leitbild der AWO-Geschäftsstelle in Frankfurt fest. Das Kündigungsschreiben, das die ehemalige Mitarbeiterin Angela Braun verfasste, liest sich etwas anders: "Aufgrund der Nachstellungen meines Arbeitgebers in meinem privaten Umfeld unter Einschaltung eines Detektivbüros sehe ich keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit."
Frau Braun schrieb das im Herbst 2017. Vorangegangen war aus ihrer Sicht monatelanges Mobbing. Was seinerzeit im Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt Frankfurt lief, kommt jetzt nach und nach ans Licht: Der konkrete Verdacht von Veruntreuung und Günstlingswirtschaft in dem Sozialverband beschäftigt die Staatsanwaltschaft und empört Mitglieder und Mitarbeiter.
Nach Hinweisen über Missstände kündigte die Stadt der AWO
Missstände im Umfeld der zwei von der AWO betriebenen Flüchtlingsheime in Frankfurt waren im Sommer 2017 Gegenstand von Hinweisen an das Sozialdezernat der Stadt Frankfurt. Die Stabsstelle Unterbringungsmanagement und Flüchtlinge erhielt laut Sozialdezernat "von dritter Seite" Hinweise, zu deren Kern es sich aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht äußern könne.
Was genau der Whistleblower auch mitgeteilt haben mag: Nach seinen Hinweisen änderte die Stadt ihren Ton gegenüber der AWO und stieg aus dem Vertrag aus. Und Angela Braun geriet offenbar schnell in Verdacht, die undichte Stelle zu sein.
Die 48-Jährige lebte getrennt von ihrem damaligen Ehemann, der auch bei der AWO arbeitete. Er bekam auf einmal an seinem Arbeitsplatz Besuch von drei sogenannten Ermittlern.
Anwalt: Mann von Mitarbeiterin unter Druck gesetzt
In einem anwaltlichen Schreiben an die AWO, das Frau Braun in Auftrag gab, heißt es: "Ihm wurden sehr private, um nicht zu sagen intime Details aus seiner Ehe mit Frau Braun vorgehalten, die darauf schließen lassen, dass umfassend im Privatleben meiner Mandantin recherchiert wurde."
Eine Nennung der Einzelheiten erspart sich der Jurist. Aber er betont über den Umgang mit Brauns Ehemann: "Jedenfalls wurde er massiv unter Druck gesetzt, und es wurde mit versteckten Drohungen versucht, ihn dazu zu bringen, seine Ehefrau zu belasten und eine Verbindung zwischen ihr und angeblichen anonymen Briefen, die offenbar an die AWO gerichtet worden waren, herzustellen."
Auf dieses Schreiben reagierte die AWO-Geschäftsleitung laut Frau Braun seinerzeit nicht. Nun lässt AWO-Geschäftsführer Jürgen Richter auf hr-Anfrage über einen Medienanwalt mitteilen: Seiner Mandantschaft seien von Frau Braun weder Beschwerden vorgetragen worden noch lägen ihr sonst Anhaltspunkte für derartige Vorfälle vor.
AWO spricht von "verleumderischen Angriffen"
Die AWO bestätigt die Beauftragung der Ermittler. Ihr Sprecher Johannes Frass erklärt auf hr-Anfrage schriftlich zu den Vorgängen: "Verschiedene Gliederungen der AWO sind seit geraumer Zeit verleumderischen Angriffen ausgesetzt, die aus anonymen Quellen befeuert werden. Die AWO ist selbstverständlich befugt und verpflichtet, im rechtlich zulässigen Rahmen Maßnahmen gegen diese Angriffe zu ergreifen, um dadurch unsere vielen engagierten und anständigen Beschäftigten zu schützen."
Richters Anwälte betonen: Der Detektei sei es keineswegs um die Suche nach einem Mitarbeiter gegangen, der Hinweise über Unregelmäßigkeiten geleakt habe. "Die Detektei wurde eingeschaltet, um die von persönlichen Diffamierungen betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen."
"Unter den Tischen nach Wanzen gesucht"
Angela Braun fühlte sich nach den von der AWO "ergriffenen Maßnahmen" an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr sicher. Auch anderen Mitarbeitern sei es so gegangen. "Wir sind unter die Tische geklettert, um zu schauen, ob da Wanzen angebracht sind. Unterhalten haben wir uns nur noch auf der Toilette", berichtet die ehemalige AWO-Beschäftigte.
Andere Mitarbeiter, die nicht öffentlich genannt werden wollen, beschreiben die Gespräche mit den Detektiven als "Verhöre", mit denen die Mitarbeiter unter Druck gesetzt werden sollten. In einer Betriebsversammlung soll AWO-Geschäftsführer Jürgen Richter später gesagt haben: Falls es so etwas gegeben habe, solle es nicht mehr vorkommen.
OB Feldmann will mit der Ex-Kollegin sprechen
Angela Braun beschreibt ihre letzte Zeit bei der AWO so, dass niemand offen mit ihr gesprochen habe. Ihre Eingaben bei der Geschäftsführung seien ohne Reaktion verpufft. Die Folge: Angela Braun wurde krank, zog die Reißleine und kündigte nach mehr als einem Jahrzehnt bei der AWO.
Auch ihre Mitgliedschaft beim Kreisverband beendete sie. Das Kündigungsschreiben schickte sie über die SPD an Peter Feldmann. Den kannte sie noch aus der Zeit, als er noch nicht der Frankfurter Oberbürgermeister war und seine AWO-Stabsstelle hatte. "Er hat nie auf das von mir geschilderte Mobbing reagiert", sagt Angela Braun.
Vom hr auf den Fall angesprochen, zeigt sich Feldmann "erschreckt und betroffen". Er habe daher nun Frau Braun sofort angerufen, "um mir ihre Geschichte aus erster Hand schildern zu lassen, und ich habe ihr meine Hilfe angeboten".
FDP-Politiker spricht von "autoritärem Regime bei der AWO"
Inzwischen zeigt sich: Der robuste Umgang mit mutmaßlichen Kritikern in den eigenen Reihen hatte bei der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt System. Das zeigen nach Angaben des FDP-Sozialpolitikers Yanki Pürsün die Dokumente, die derzeit der AWO-Akteneinsichtsausschuss des Frankfurter Stadtparlaments unter die Lupe nimmt.
Angesichts des Tons, der da angeschlagen wird, kommt der Landtagsabgeordnete und Stadtverordnete im hr-Interview zum Schluss: "Es gibt ein sehr autoritäres Regime bei der AWO." Herausgekommen seien die Affären um falsche Abrechnungen gegen die Stadt und überbezahlte Mitarbeiter mit SPD-Parteibuch ja auch nur, "weil eine mutige oder mehrere mutige Personen interne Daten der AWO mitgenommen und offengelegt haben".
Sozialverband lobt sich für "offene Gesprächskultur"
Vorwürfe, die die AWO-Geschäftsleitung zurückweist. "Unserer Mandantschaft liegt das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter sehr am Herzen und sie pflegt deshalb auch eine sehr offene Gesprächskultur", heißt es in der anwaltlichen Stellungnahme. Wenn Mitarbeiter einen anderen Eindruck haben, empfehlen die AWO-Anwälte, sich an den Betriebsrat oder die Gewerkschaft zu wenden - "auch anonym".
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 03.12.2019, 19.30 Uhr