Diakonie muss sparen Bahnhofsmission Gießen schließt nach 100 Jahren

Kein warmes Wort, kein warmer Kaffee, kein warmer Ort: Die Bahnhofsmission Gießen schließt nach rund 100 Jahren. Hier fanden gestrandete Reisende, Geflüchtete oder Wohnungslose eine Anlaufstelle. Jetzt fehlt das Geld.

Bahnhofsmissionsräume von außen
100 Jahre Geschichte: Die Bahnhofsmission Gießen Bild © Alina Schaller
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Es ist ein schmerzhafter Einschnitt: Für die Diakonie, für die ehrenamtlichen und festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vor allem aber für diejenigen, die das Angebot bisher genutzt haben. Die Bahnhofsmission Gießen schließt. Es war die einzige in Mittelhessen.

Es fehle schlicht und einfach das Geld, erklärt die Diakonie Gießen. Sinkende Kirchenmitglieder bedeuten auch für den kirchlichen Wohlfahrtsverband sinkende Einnahmen, wie die Gießener Diakonie-Leiterin Sigrid Unglaub erläutert.

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Hinzu komme ein recht komplexes System aus Fördermitteln, die künftig anders verteilt werden sollen. Zuletzt hatten sich zudem die internen Verbandsstrukturen der Diakonie geändert.

"Es trifft immer Menschen, die es bräuchten"

Für die Diakonie in Gießen heißt das: Sie muss nach eigenen Angaben etwa eine Viertelmillion Euro sparen. "Und die Bahnhofsmission ist leider ein Bereich, wo wir das tun müssen", so Unglaub. Das sei bitter. "Das war eine offene Tür am Bahnhof – die fehlt jetzt." Aber sie betont: Egal wo die Diakonie etwas schließe, es träfe immer Menschen, die es eigentlich bräuchten.

In einem gut erkennbaren Aufenthaltsraum direkt am Bahnsteig konnte man sich bisher aufwärmen, kostenlos Kaffee trinken oder jemanden zum Reden finden. Es kamen nicht nur gestrandete Zugreisende, sondern auch allgemein Hilfsbedürftige aus Gießen – etwa wohnungslose, kranke oder einsame Menschen.

100 Jahre Geschichte

Bei Bedarf leiteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den blauen Westen die Menschen an andere Stellen weiter oder begleiteten sie sogar dorthin, etwa zu einer Notunterkunft oder zur Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete.

Wichtig war das im Verlauf der 100 Jahre langen Geschichte der Gießener Bahnhofsmission immer wieder. Besonders in Zeiten, in denen viele Geflüchtete in der Stadt ankamen, etwa rund um die Zeit des Mauerfalls oder zuletzt zu Beginn des Ukraine-Kriegs.

Weiterhin Nachfrage da

Vor zwei Jahren war die Bahnhofsmission in Darmstadt geschlossen worden. Damals hatte die Diakonie als Grund angegeben, es sei nur noch eine sehr geringe Nachfrage da. In Gießen gibt es diese durchaus: Im Stadtgebiet hat sich die Problematik rund um Suchtkranke und Wohnungslose in letzter Zeit sogar verschärft.

Laut Diakonie kamen bisher täglich 40 bis 60 Menschen zur Bahnhofsmission. 16 Ehrenamtliche engagierten sich zuletzt in Schichten, hinzu kam eine Halbtagskraft.

Die Diakonie betont: Für Menschen in prekären Lebenslagen gebe es weiterhin karitative Anlaufstellen in Gießen, etwa "Die Brücke" oder "Die Oase" etwas weiter in der Innenstadt.

Ehrenamtliche: Fühlen uns verzichtbar

Der langjährige Ehrenamtliche Martin Klenner bezweifelt, dass man in Zukunft wirklich alle Hilfsbedürftigen mit anderen Angeboten erreichen wird. "Wir haben Menschen am Bahnhof ganz gezielt angesprochen und Hilfe angeboten – das fällt jetzt komplett weg."

Insgesamt sei die Schließung auch für viele Ehrenamtliche sehr schmerzhaft. Für einige sei ihr Engagement hier Lebensaufgabe gewesen, vielen sei nun alles viel zu schnell gegangen. "Und wir haben auch das Gefühl bekommen, für die Diakonie verzichtbar zu sein", meint er. "Zumindest am verzichtbarsten."

Dass die Diakonie den Abschluss am Samstag nur mit einer kleinen Veranstaltung feiern wird, fände er zudem nicht angemessen. "Wir hätten es gut gefunden, wenn da noch mal was Besonderes passiert wäre, womit man die Arbeit, die Ehrenamtlichen und auch die Geschichte der Bahnhofsmission ausführlich würdigen würde."

Petition gestartet

Ehrenamtliche haben mittlerweile eine Petition gestartet, um die Bahnhofsmission doch noch zu retten. Sie fordern die Diakonie auf, sich um eine alternative Finanzierung zu kümmern.

Ob das wirklich was bringt? Sigrid Unglaub sagte dem hr, dass sie dazu derzeit keine Auskunft geben könne. Aktueller Stand sei: Die Bahnhofsmission Gießen schließt zum Ende des Monats.

Weitere Informationen

Die Bahnhofsmission

Die ersten Bahnhofsmissionen wurden 1894 gegründet, vor allem um jungen Frauen zu helfen, die auf der Suche nach Arbeit und Wohnung vom Land in die Städte kamen. In Hessen gab es bisher Bahnhofsmissionen in Frankfurt, Kassel, Fulda, Bad Hersfeld und Gießen. Drei Einrichtungen betreibt die Diakonie gemeinsam mit Caritasverbänden, zwei in alleiniger Trägerschaft, darunter bisher Gießen. In Bahnhofsmissionen arbeiten Hauptamtliche und Ehrenamtliche. Sie verstehen sich nach eigenen Angaben als "gelebte Kirche" am Bahnhof. Das Angebot richtet sich etwa hilfsbedürftige Reisende, alleinreisende Kinder, alte Menschen oder Mütter mit kleinen Kindern, ausländische Reisende und allgemein Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten oder akuten Notsituationen.

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Sendung: hr4, 30.08.2024, 12.50 Uhr

Quelle: hessenschau.de