Beleidigungen und körperliche Angriffe an Schulen Viele Lehrkräfte laut Befragung von Gewalt betroffen
Aggression und Gewalt haben schon viele Lehrerinnen und Lehrer in Hessen erlebt. Laut einer Befragung wurde etwa jede fünfte Lehrkraft bereits Opfer eines körperlichen Angriffs.
Kriminologen haben im Auftrag des Deutschen Beamtenbunds (dbb) das Ausmaß von Gewalt gegen Lehrkräfte an hessischen Schulen untersucht. Der dbb und das Kriminologische Institut der Universität Gießen stellten die nicht repräsentative Befragungsstudie "Gewalt gegen Lehrkräfte in Hessen" am Mittwoch in Frankfurt vor.
Zentrales Ergebnis: Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist keine Seltenheit.
Fast drei Viertel der Befragten beschimpft und beleidigt
Viele Lehrkräfte erleben laut der Studie in ihrer Berufslaufbahn unterschiedliche Arten von Gewalt und Aggression, wobei darunter besonders oft verbale Beschimpfungen und Beleidigungen sind: Fast drei von vier Befragten sind schon einmal Opfer davon geworden, bei knapp 40 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer war das innerhalb der vergangenen zwölf Monate der Fall.
Die emotionalen Auswirkungen auf die Betroffenen seien enorm, sagte die Gießener Kriminologin Britta Bannenberg als eine der Organisatoren der Untersuchung. Die beschriebene Aggression oder Gewalt geht den Ergebnissen zufolge von Schülerinnen und Schülern aus, aber auch von Eltern, anderen Schulbeschäftigten oder schulfremden Personen.
Drohungen im Internet und Sachbeschädigungen
Fast die Hälfte der Befragten gaben an, bereits verbal oder körperlich bedroht worden zu sein, 16 Prozent machten diese Erfahrung im vergangenen Jahr. Von einer Beschimpfung, Beleidigung, Verleumdung oder Bedrohung über das Internet war etwa jede dritte Lehrkraft betroffen. Von Sachbeschädigungen berichteten 17 Prozent im gesamten Berufsleben.
Körperliche Gewalterfahrungen werden vergleichsweise seltener berichtet, wie die Kriminologen weiter mitteilten. Etwa jede fünfte Lehrkraft wurde bereits Opfer von mindestens einem körperlichen Angriff im beruflichen Umfeld. Eine Person berichtete sogar von einem Tötungsversuch. Jeder zehnte Teilnehmer gab an, angespuckt oder sexuell belästigt oder angegriffen worden zu sein.
Mehrheit der Befragten in Vollzeit am Gymnasium
An der Online-Befragung mit insgesamt 83 Fragen nahmen 376 Lehrerinnen, 255 Lehrer und eine diverse Lehrkraft verschiedener Altersgruppen teil. Befragt wurden Pädagogen aller Schulformen, aber nur Mitglieder des dbb oder angegliederter Fachgesellschaften. Die meisten der Teilnehmer sind an einem Gymnasium beschäftigt, und der überwiegende Teil arbeitet in Vollzeit.
Abgefragt wurden Gewalterfahrungen im gesamten Berufsleben, im zurückliegenden Jahr, eine Beschreibung des gravierendsten Vorfalls, gesundheitliche Konsequenzen, Fragen zum Einfluss der Pandemie und Anregungen zur Prävention.
Die Befragung ergab, dass zwar oft die Schulleitung nach Vorfällen informiert wird, selten aber das Schulamt. Eine Anzeige erfolgt demnach nur in Ausnahmefällen. Weiterführende Maßnahmen und Unterstützung gebe es kaum. Jeder zehnte Befragte suchte in Folge der Gewalterfahrung psychotherapeutische Hilfe.
"Lang anhaltende psychische Beeinträchtigungen"
dbb-Landesvorsitzender Heini Schmitt sagte am Mittwoch: "Für die Betroffenen entstehen dabei häufig nicht nur körperliche, sondern mitunter auch lang anhaltende psychische Beeinträchtigungen." Die Ergebnisse zeigten, dass die Schulen unter Druck stünden. Viele Pädagogen berichteten von strukturellen Defiziten.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Hessen sieht Zeichen für eine "Verrohung der Gesellschaft". "Der Umgangston ist rauer, Kritik wird häufig nicht sachlich vorgetragen, sondern persönlich und beleidigend", sagte der Landesvorsitzende Stefan Wesselmann. "Das gilt für den persönlichen Kontakt, aber per E-Mail und Social Media scheinen oft gar keine Hemmschwellen mehr zu existieren." Opfer von verbaler oder auch physischer Gewalt müssten außerdem besser von Vorgesetzten und Schulämtern unterstützt und den Vorfällen konsequent nachgegangen werden.
Aus Sicht des hessischen Kultusministeriums ist die Studie "nicht repräsentativ". Meldepflichtige Vorfälle stellten "in Hessen weiterhin Einzelfälle dar". Es lasse sich "kein steigender Trend bei diesen Vorfällen beobachten". Dennoch sei Gewalt gegen Lehrkräfte wie auch unter Schülerinnen und Schülern "sehr ernst zu nehmen".
Körperverletzungen, Nötigung und Bedrohung
Die Organisatoren der Untersuchung hatten sich im Vorfeld der Befragung zunächst die Polizeiliche Kriminalstatistik angeschaut. Dabei fiel ihnen nach eigenen Angaben auf, dass bei Betrachtung der vergangenen zehn Jahre 2017, 2018 und 2019 mit 90, 98 und 89 Gewaltopfern unter Lehrkräften besonders viele Betroffene verzeichnet wurden. In den von der Corona-Pandemie geprägten Jahren 2020 und 2021 gingen die Zahlen zurück.
Unter den Delikten sind am meisten Körperverletzungen, außerdem Nötigung und Bedrohung. Dazu kamen innerhalb von fünf Jahren neun Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, davon waren in acht Fällen Frauen betroffen.
Kriminalstatistik zeigt nur "Hell-Feld"
Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass die in der Statistik aufgeführten Straftaten nur einen Ausschnitt darstellen. Grundsätzlich wird demnach nur ein Teil der Taten angezeigt und offiziell bekannt. Deshalb sei neben der statistischen Betrachtung dieses "Hell-Feldes" ein Blick auf das "Dunkel-Feld" relevant, mittels Interviews mit Betroffenen, begründeten sie ihre Befragung.
Die Untersuchung zu Gewalt gegen Lehrer ist bereits die dritte Studie von dbb Hessen und Uni Gießen über Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Ein erstes Lagebild 2020 identifizierte unter anderem Polizisten und Bedienstete im Justizvollzug als Berufsgruppen mit den gravierendsten Gewalterfahrungen. In Befragungen 2021 standen Gerichtsvollzieher und Beschäftigte in Jobcentern im Fokus.
Sendung: hr-iNFO, 22.02.2023, 11.00 Uhr
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