Noch immer viele Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften "Wir brauchen Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen"
Wer als Flüchtling ein Bleiberecht hat, soll eigentlich auch eine eigene Wohnung haben. Doch viele leben noch immer in Gemeinschaftsunterkünften. Das ist nicht gut für die Integration. Ein Blick nach Pfungstadt.
Die Kartoffeln seien ihm etwas klein geraten, sagt Jawad Mohammdi fast schon entschuldigend. Tomaten und Gurken gediehen aber ganz gut. Den kleinen Acker hat der 42-jährige Afghane von Frank Liebig erhalten.
Der Pfungstädter engagiert sich seit Jahren für Geflüchtete und teilt seinen Kleingarten - der gar nicht so klein ist - mit Familien aus Syrien, Iran und Afghanistan. Seit neun Jahren lebt Mohammdi mit seiner Familie in Pfungstadt (Darmstadt-Dieburg). Seine älteste Tochter Sarah geht in die 11. Klasse und will einmal Ärztin werden.
Der eigenen Scholle zum Trotz hat die fünfköpfige Familie aber immer noch kein eigenes Dach über dem Kopf.
Trotz Bleiberechts wohnt die Familie weiterhin in einer Gemeinschaftsunterkunft in Pfungstadt. Alle Suche war bisher erfolglos. So wie bei vielen anderen Geflüchteten. Insgesamt leben in Pfungstadt fast 200 anerkannte Flüchtlinge - also Menschen mit Bleiberecht - noch in Gemeinschaftsunterkünften. Eigentlich darf das nicht sein.
Eigentlich müssen Geflüchtete mit Bleiberecht die Gemeinschaftsunterkunft verlassen. Der Landkreis Darmstadt-Dieburg macht aber eine Ausnahme - aus der Not heraus, einfach weil es keine Wohnungen gibt. So leben im Kreis derzeit über 1.600 anerkannte Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften.
Ähnlich sieht es an anderen Orten aus. Im Kreis Offenbach etwa leben aktuell noch 1.040 anerkannte Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften, im Vogelsbergkreis sind es 1.059 Personen, im Kreis Bergstraße sind es 466 Bleibeberechtigte und in der Stadt Frankfurt rund 2.000 Menschen.
"Eigene Wohnung ist für Integration enorm wichtig"
Für die Integration sei das nicht gut, sagt die Integrationsbeauftragte der Stadt Pfungstadt, Halima Gutale. "Eine eigene Wohnung ist für die Integration enorm wichtig. So können die Geflüchteten ihr eigenes Leben gestalten, selbst Verantwortung übernehmen und sich entfalten", sagt Gutale, die in den 90er Jahren als unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Somalia nach Deutschland kam. Später studierte sie in Heidelberg und arbeitete als Dozentin.
"Die Kinder der Geflüchteten gehen in die Schule, sie brauchen ihre Ruhe um zu lernen und müssen auch mal Freunde einladen können", sagt Gutale. In einer Gemeinschaftsunterkunft sei das so nicht möglich. Dass sie nach all den Jahren noch immer in der Gemeinschaftsunterkunft leben müssen, frustriere viele. "Was wir brauchen sind Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen", sagt die Integrationsbeauftragte.
"Verschnaufpause": Derzeit weniger neue Geflüchtete
Aber woher nehmen? Die größte Herausforderung bleibe, gemeinsam mit den Städten und Gemeinden Wohnraum für anerkannte Geflüchtete zu finden, sagt auch Kreisprecher Matti Merker. Das sei auch hinsichtlich des Spracherwerbs wichtig. "Es ist ein Problem, wenn die Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften wohnen bleiben, da sie dort seltener Deutsch sprechen", erläutert er.
Dass sich die Wohn-Situation derzeit nicht weiter verschärft, liegt an den gesunkenen Zuweisungen - also den neu ankommenden Flüchtlingen - im 1. Quartal. "Im Augenblick haben wir eine kleine Verschnaufpause", so Merker. Derzeit kommen wöchentlich 22 Geflüchtete an. Im vierten Quartal 2023 waren es noch 72 Menschen pro Woche.
Ende März will der Kreis die Notunterkunft in Pfungstadt räumen. Allerdings habe das Regierungspräsidium Darmstadt bereits angekündigt, dass davon auszugehen ist, dass die Zuweisungszahlen im Laufe des Jahres wieder steigen werden, erläutert Merker.
Bürgermeister fordert Abbau von Baubürokratie
Die Schaffung von Wohnraum - nicht nur für Geflüchtete - sei das große Thema der Kommunen, bestätigt Pfungstadts Bürgermeister Patrick Koch (SPD). Er macht auch die hohen Standards für die hohen Baukosten verantwortlich. Das sei auch ein Grund, warum die hiesige Wohnungsbaugenossenschaft derzeit nicht baue, erklärt er.
Koch fordert weniger Baubürokratie und dass Kommunen einfacher Aufträge erteilen können. Vor einigen Monaten hat er einen Brandbrief von drei baden-württembergischen Bürgermeistern an Kanzler Olaf Scholz (SPD) mitunterzeichnet, die einen umfassenden Bürokratieabbau forderten. "Ich wünsche Manfred Penz, der jetzt in Hessen unser Bürokratieabbauminister ist, viel Erfolg. Sein Erfolg ist auch unser Erfolg", so Koch.
Auch wünscht sich der Bürgermeister, dass Kommunen leichter auf leerstehende Wohnungen zurückgreifen könnten. Es gebe zwar das vom Kreis unterstützte Konzept "Vermiete an deine Stadt". "Aber da werden teilweise so hohe Mieten verlangt, dass wir uns als Stadt das nicht leisten können", sagt Koch.
Eines ist dem Bürgermeister aber dann doch noch wichtig: "Das Flüchtlingsthema hat insgesamt in der Stadt an Brisanz verloren", sagt er. Zwar gebe es bei vielen Geflüchteten noch immer sprachliche und kulturelle Hürden - und zu wenige von ihnen seien in Vereinen.
Es sei aber schon lange nicht mehr vorgekommen, dass sich etwa Menschen über Flüchtlingsheime in der Nachbarschaft beschwerten. "Ich glaube, dass viele der Geflüchteten auch einfach angekommen sind."
"Pfungstadt ist jetzt meine Stadt. Das ist unsere zweite Heimat"
Zu diesen Angekommenen darf man sicherlich die Familie Moaaz zählen. Sie leben in einem Einfamilienhaus in einer ruhigen Straße in Pfungstadt, als "einzige Ausländer in der Nachbarschaft", wie Vater Khaled sagt. Die Familie kam vor acht Jahren aus der syrischen Stadt Idlib.
Dort war Moaaz Polizist und führte zusammen mit seinem Vater eine Baufirma. "Als wir hier ankamen, war das eine Katastrophe, von der Kultur, von der Sprache, ich habe gezweifelt, ob wir das schaffen", erinnerte er sich. Deutsche hätten ihnen geholfen, auch mit dem Haus, in dem sie jetzt leben.
Inzwischen arbeitet Moaaz als Hausmeister an der TU in Darmstadt - zusammen mit seinem 24 Jahre alten Sohn Mohammed, der eine Ausbildung als Lackierer abgeschlossen hat. Der drei Jahre jüngere Sohn Ahmad lernt Kfz- Mechatroniker in einem Autohaus und die 18-jährige Tochter Reem beginnt demnächst eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester in Darmstadt.
Auch ehrenamtlich engagiert sich die Familie, fährt Lebensmittel an Bedürftige aus und hilft in der Gemeinde bei Hausmeisterarbeiten. "Ich habe das Gefühl, Pfungstadt ist jetzt meine Stadt. Das ist unsere zweite Heimat", sagt Moaaz. Er besitzt inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft - drei seiner vier Kinder haben sie aber nicht. Da laufen die Anträge.
Und das beschäftigt ihn. Obwohl er eine eigene Bleibe hat und sich und seine Familie als integriert sieht, habe er noch immer die Sorge, dass eines seiner Kinder doch irgendwann zurück nach Syrien müsste, gesteht Vater Khaled.
Sendung: hr2, Der Tag, 21.03.2024, 18.00 Uhr
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