Corona-Langzeitfolgen bei Kindern und Jugendlichen Wie ein 13-Jähriger aus Wiesbaden gegen Long Covid kämpft

Mehrere tausend Kinder und Jugendliche in Hessen sind von Long Covid betroffen. Zu den Symptomen kommen lange Wartezeiten in den Spezial-Ambulanzen und hohe Kosten für Therapie und Medikamente. Eine Belastung auf vielen Ebenen.

Nahaufnahme eines erschöpften Teenagers im Bett
Lias Bleser aus Wiebaden ist einer von mehreren tausend Long-Covid-Betroffenen unter 18. Bild © hessenschau.de
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Long Covid: Das Auf und Ab für Betroffene

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Sport machen, Freude treffen und ein Leben führen, das vor Corona normal war - all das kann Lias Bleser aus Wiesbaden nicht mehr. Im Juni 2022 erkrankt der 13 Jahre alte Schüler an Corona, leidet noch heute an Long Covid in Kombination mit ME/CFS. Das chronische Fatigue-Syndrom - oder Myalgische Enzephalomyelitis - ist eine schwere Erkrankung, die zu einer langanhaltenden Erschöpfung führt.  

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Themenschwerpunkt Long Covid – Erkrankung in der Familie

hs 02.04.2024
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Fast ein Jahr lang konnte Lias nicht zur Schule gehen. Jetzt wird er vorübergehend in der Brückenschule in Wiesbaden, einer Schule mit Förderschwerpunkt für kranke Schülerinnen und Schüler, unterrichtet. Zweimal pro Woche für 90 Minuten - länger würde Lias nicht durchhalten. Damit ihn der Schulweg nicht überanstrengt, muss ihn seine Mutter abholen. Lias sitzt dabei im Rollstuhl, auch Laufen wäre zu viel. 

Long Covid bezeichnet längerfristige, gesundheitliche Beeinträchtigungen nach einer Covid-19-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von etwa vier Wochen hinausgehen. Nach zwölf Wochen wird bei Erwachsenen in der Literatur von Post Covid gesprochen, bei Kindern und Jugendlichen bereits nach acht Wochen. Betroffene leiden dabei beispielsweise unter Symptomen wie Müdigkeit, Schwindel, Schlafstörungen oder Herzrasen. 

Der Einfachheit halber wird in diesem Text einheitlich von Long Covid gesprochen, da sich dieser Terminus im Sprachgebrauch auch bei länger dauernden Symptomen durchgesetzt hat.

Sein bisschen Energie muss Lias sich streng einteilen. Sonst kommt es zu sogenannten Crashes, einer zeitverzögerten Verschlechterung der Symptome. Dafür reiche schon eine geringe körperliche oder geistige Belastung, sagt Mutter Judith. Eine so geringe Belastung, dass sie die plötzlichen Rückschritte anfangs gar nicht zuordnen konnte.

Langer Weg bis zur Diagnose

Lias ist mit seinem Krankheitsverlauf nicht allein. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sind in ganz Hessen seit Beginn der Pandemie 4.465 Kinder und Jugendliche von Long Covid betroffen. Eine gesicherte Diagnose der schwersten Form ME/CFS in Kombination mit Long Covid wie bei Lias haben 85 Kinder und Jugendliche in Hessen erhalten.

Wie viele Menschen nach einer Infektion Long Covid beziehungsweise Post Covid bekommen, wird in Studien sehr unterschiedlich beziffert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass zehn bis 20 Prozent der Infizierten das bis zu zwölf Wochen dauernde Long Covid entwickeln.

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung werden hessenweit 139.606 "eindeutige Patienten" mit Long Covid in der Statistik geführt, die meisten von ihnen sind älter als 18 Jahre. 6.251 von ihnen haben die gesicherte Diagnose ME/CFS in Kombination mit Long Covid erhalten. (Stand Oktober 2023)

Der Weg zur Diagnose ist schwer: Für Betroffene gibt es nur wenige Anlaufstellen, und die sind oft völlig überfüllt. Am Uniklinikum in Marburg beispielsweise ist die Long-Covid-Ambulanz bis Mitte 2025 ausgebucht. Das St. Josefs-Hospital in Wiesbaden führt eine Warteliste, auf der derzeit mehr als 500 Betroffene stehen. Wartezeit: mindestens sechs Monate.

Long-Covid-Kompetenzzentrum für Kinder und Jugendliche am Klinikum Kassel

Spezielle Anlaufstellen für Kinder gibt es noch seltener. Am Klinikum Kassel wurde bereits 2021 ein Long-Covid-Kompetenzzentrum speziell für Kinder und Jugendliche aufgebaut, doch auch hier beträgt die Wartezeit vier Monate.

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Themenschwerpunkt Long Covid – Hilfe für Betroffene

Long Covid in Hessen
Nina Kollmar, Leiterin der Long Covid Anlaufstelle im Klinikum Kassel. Bild © hr
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Nina Kollmar leitet dort neben ihrer Arbeit als Kinderonkologin die Long-Covid-Sprechstunde. Derzeit kann sie zwei Kinder pro Woche behandeln. An ihren freien Tagen geht sie in Schulen und informiert Lehrer, was Long Covid für betroffene Kinder bedeutet.

Mehr als 200 Symptome

Für die Familien sei es eine große Entlastung, dass ihre Symptome ernst genommen würden, so Kollmar. Die Diagnose von Long Covid sei aufwändig: "Wir sind noch zu schlecht in unserer Suche nach den Ursachen", sagte die Ärztin. Es gebe keinen Biomarker für Long Covid, den man über eine Blutprobe bestimmen könne.

Und so ist Long Covid eine reine Ausschlussdiagnose. Mehr als 200 Symptome können in verschiedenen Kombinationen zueinander auftreten. Ein Team aus Fachspezialisten klärt ab, dass keine andere Erkrankung dahintersteckt. Die vielen Termine sind eine Belastung für die Betroffenen. In der Kasseler Klinik werden sie deshalb für vier Tage stationär aufgenommen. So haben sie zwischen den Untersuchungen genügend Zeit, um sich auszuruhen.

Energie einteilen - gerade für Kinder herausfordernd

Und auch wenn die Diagnose Long Covid steht, kann nicht das eine heilende Medikament verschrieben werden, denn das gibt es noch nicht. Ein wichtiger Teil der Therapie sei deshalb, eine Strategie zu erlernen, um die eigene Energie besser einzuteilen, erklärte Kollmar. Man spricht vom Pacing, also der richtigen Eintelung der geringen Energiereserven nach der Erkrankung.

Gerade für Kinder sei das eine Herausforderung, so die Ärztin: "Kinder machen sich normalerweise keine Gedanken über Energie, weil sie unendlich viel haben." Für ihre kleinen Patienten wählt Kollmar das Bild einer Schale mit Murmeln - jede Glaskugel steht für Energie. Wird Energie verbraucht, nimmt das Kind entsprechend Murmeln aus der Schale. Das Ziel: Am Abend muss noch eine Murmel in der Schale sein - als Zeichen, dass ganz sicher nicht die gesamte Energie verbraucht wurde.

Eine Familie, in der immer einer fehlt

Der Alltag von Lias' Familie besteht vor allem aus Rücksichtnahme. Seine Geschwister haben Hobbys aufgegeben, zu denen sie von ihren Eltern gefahren werden mussten - damit Lias nicht alleine zu Hause ist. Gemeinsame Unternehmungen seien selten geworden und auch nicht mehr das, was sie mal waren, sagt Lias' Mutter, "weil immer einer fehlt".

Ein erschöpfter Teenager liegt im Bett, während seine Mutter daneben mit einem kleinen Geschwisterkind spielt
Mitmachen geht auch im Liegen: Lias mit seiner Mutter Judith und Bruder Levi. Bild © hessenschau.de

Lias verbringt viel Zeit in seinem Zimmer, liegt auf seinem Bett und ruht sich aus. 14 bis 15 Stunden Schlaf braucht er täglich, vor allem, wenn er sich überanstrengt hat. Vor seiner Erkrankung war der 13-Jährige Bezirksmeister im Kunstradfahren. Heute fehlt ihm manchmal die Kraft, seinen Freunden auf WhatsApp zu antworten. Die verstehen nicht, warum er sich so zurückgezogen hat.

Viel Eigeninitiative gefragt

Für Lias' Familie war es bis zur Diagnose und Therapie ein weiter Weg, erinnert sich sein Vater: "Das ist keine Erkrankung, mit der man zum Arzt geht und dann sagt der, was es ist". Nach seiner Corona-Erkrankung sei Lias im Juni 2022 im Uniklinikum Würzburg durchgecheckt worden.

Hier bekam er seine Diagnose: Long Covid mit ME/CFS und dem posturalen Tachykardiesyndrom (POTS). POTS ist eine Erkrankung, bei der Betroffene wie Lias beim Aufstehen unter erhöhtem Puls und Schwindel leiden.

Erste Anlaufstelle für Erkrankte ist nach Angaben des hessischen Gesundheitsministeriums zunächst der Hausarzt. Weiterführend bekomme man Hilfe in Vertragsarztpraxen verschiedener Fachrichtungen sowie in den spezialisierten Ambulanzen der Uni-Kliniken und Krankenhäuser. Diese finden sich auf einer Seite des Ministeriums, sofern die Ambulanzen einer Veröffentlichung zugestimmt haben.

Inzwischen haben die Blesers ihren eigenen Weg gefunden, wie sie Lias helfen können. Bis zu 700 Euro monatlich kosten Medikamente und eine spezielle Sauerstoffbehandlung. Diese sogenannten Off-Label-Medikamente helfen zwar bei Long-Covid-Symptomen, sind aber von der Zulassungsbehörde noch nicht genehmigt. Als Folge werden die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Die Therapieversuche finden in Absprache mit einer Ärztin statt.

Lias' Zustand hat sich durch die Therapie ein bisschen verbessert. Das macht der Familie Hoffnung. Nach über einem Jahr mit einem Long-Covid-kranken Kind wünscht sich die Familie neben Gesundheit für Lias vor allem eins: mehr Aufmerksamkeit für diese tückische Krankheit. Und Lias glaubt ganz fest daran, irgendwann gesund zu werden.

Weitere Informationen

Redaktion: Stefanie Küster, mit Material von Isabell Kramer (hr)

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 05.04.2024, 19:30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de