Kampf gegen Krankenhauskeime Das Gift dieser Mini-Skorpione könnte Leben retten

Es sind Tiere ohne Flauschfaktor, doch die winzigen Bücherskorpione könnten mit ihrem Gift Menschenleben retten. Hessische Forschende sind einem Mittel gegen Krankenhauskeime auf der Spur.

Bücherskorpion (Chelifer cancroides)
Im Gift des Bücherskorpions (Chelifer cancroides) sind Wirkstoffe enthalten, mit denen sich künftig ein gefährlicher Krankenhauskeim bekämpfen lassen könnte. Bild © Louis Roth
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Für ein gesundes Immunsystem stellen Bakterien kein Problem dar. Kritisch wird es jedoch, wenn diese Keime auf kranke Menschen treffen. Ist deren Immunsystem geschwächt, kann die Lage lebensbedrohlich werden.

Vor allem dann, wenn Antibiotika nicht mehr helfen – in Kliniken sind diese multiresistente Keime immer wieder ein Problem. Laut Robert Koch-Institut (RKI) erkranken pro Jahr in Deutschland rund 54.500 Menschen an Infektionen durch antibiotika­resistente Erreger. Etwa 2.400 Menschen sterben daran. 

Daher suchen mehrere Forschungsinstitute nach neuen Substanzen, um gegen die sogenannten Krankenhauskeime anzukommen.

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Mit Gift gegen Krankenhauskeime

Ein Team rund um den hessischen Forscher Tim Lüddecke hat nun herausgefunden: Das Gift des Bücherskorpions (Chelifer cancroides) enthält Moleküle, die gegen die Krankenhauskeime wirken.

Die Forschungsergebnisse des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik in Frankfurt und Gießen, die jüngst im Fachmagazin iScience an die Öffentlichkeit gelangten, könnten helfen, schwer zu behandelnde Infektionskrankheiten zu bekämpfen.

Bücherskorpion für Menschen harmlos

Der Bücherskorpion lebt auf Dachböden, hinter losen Tapeten oder in staubigen Büchern und ist auch in Deutschland heimisch. "Wie richtige Skorpione ist er giftig", sagt Lüddecke. "Er hat aber keinen Stachel am Schwanz, sondern Scheren mit Giftdrüsen." Das Gift nutzt der Bücherskorpion zum Beutefang.

Für Menschen ist er harmlos und obendrein mit drei, vier Millimetern Körperlänge kaum zu entdecken. Laut LOEWE-Zentrum jagen die Bücherskorpione Hausstaubmilben, Staub- und Bücherläuse sowie Schädlinge in Bienenstöcken.

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Falscher Skorpion, echtes Gift

Zoologisch gehören Bücherskorpione in die Gruppe der Pseudoskorpione, also der "falschen" Skorpione. Über das Spinnentier weiß man bisher kaum etwas, auch das Gift war bislang chemisch nicht untersucht.

"Um an das Gift zu kommen, werden die Tiere betäubt. Wir stülpen eine Glaskapillare über die Scheren, in denen das Giftorgan sitzt", erläutert Gifttierforscher Lüddecke. Durch einen kleinen Stromstoß an die Scheren werde das Gift freigesetzt. Das Ganze passiert unter dem Mikroskop.

Als Lüddecke und sein Team herausfinden wollten, welche Bestandteile das Gift hat, stießen sie auch auf sogenannte Checacine. Diese Eiweiße sind bislang nur aus dem Gift der Pseudoskorpione bekannt. In Zusammenarbeit mit anderen Laboren wurden sie künstlich hergestellt und auf ihre Wirkung getestet.

Zufallsentdeckung mit großem Potenzial

"Wenn man noch nicht weiß, was Giftbestandteile tun, muss man ganz breit prüfen, wo sich ein Effekt einstellt. Deswegen haben wir sie auch an verschiedenen Bakteriengruppen getestet und dazu gehörten eben auch krankmachende und resistente Erreger wie der MRSA-Keim", beschreibt Lüddecke den weiteren Verlauf der Studie.

Das Ergebnis: Das Gift schädigt MRSA-Keime (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und hemmt ihr Wachstum. MRSA-Keime sind gegen das Antibiotikum Methicillin resistent und für mehrere schwer behandelbare Infektionen beim Menschen verantwortlich – sie zählen weltweit zu den relevantesten Krankenhausheimen, gerade auf Intensivstationen.

Weitere Informationen

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat bis Ende Juli dieses Jahres in Hessen 65 Fälle von MRSA registriert (53 Fälle im Vorjahr im selben Zeitraum). In ganz Deutschland waren es im selben Zeitraum 646 MRSA-Fälle (690 im Vorjahr im selben Zeitraum). In Deutschland sind die Zahlen rückläufig.

Ende der weiteren Informationen

Vor diesem Hintergrund weckt die Entdeckung des hessischen Forscherteams Hoffnungen bei Patientinnen und Patienten sowie in Fachkreisen. Volkhard Kempf etwa, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene am Uniklinikum Frankfurt, hat im Klinik-Alltag regelmäßig mit resistenten Bakterien zu tun.

Er war zwar nicht an der Studie beteiligt, forscht jedoch auch an Mikroorganismen – und für ihn ist klar: "Wir brauchen neue Behandlungsstrategien. Es besteht eine hohe Notwendigkeit, dass wir uns dieser Herausforderung in der Zukunft stellen."

Nebenwirkungen ausschließen

Laut Prognosen könnten antibiotikaresistente Infektionen in den nächsten Jahrzehnten zur global häufigsten krankheitsbedingten Todesursache werden.

Von 2017 bis 2021 hat etwa die Zahl der Infektionen durch resistente Darmbakterien laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) um mindestens 15 Prozent zugenommen, vermutlich auch infolge des häufigen Einsatz von Antibiotika im Rahmen der Corona-Pandemie.

Bis es auf Basis der neuen Entdeckung zu einem Medikament kommen könnte, sind aber noch einige Hürden zu nehmen, wie die Co-Autorin der Bücherkorpion-Studie, Pelin Erkoc, sagte. "Unsere Daten zeigen, dass die Checacine auch eine gewissen Giftigkeit für menschliche Zellen aufweisen können und unter Umständen selbst Entzündungsreaktionen hervorrufen könnten. Wir müssen also ihre Struktur und somit auch ihre Wirkung noch durch biotechnologische Verfahren optimieren."

Tiergifte als "wahre Schatztruhe"

Ist dieser Schritt erfolgreich, würde es aber trotzdem noch rund zehn Jahren dauern, bis ein Medikament auf Basis des Bücherskorpion-Gifts den MRSA-Keim in Schach halten könnte.

Doch diese Geduld könnte sich auszahlen. Studienleiter Lüddecke ist sich sicher: "Tiergifte sind eine wahre Schatztruhe voller möglicher Wirkstoffkandidaten, doch nur ein kleiner Teil wurde bisher untersucht."

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Quelle: hessenschau.de, epd