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Demo gegen Abschiebung in Marburg

Demonstrierende bei einer Veranstaltung gegen die Abschiebung eines jungen Kurden in Marburg

Nachdem der 19 Jahre alte Kurde Serhat Ürküp kurz vor Ausbildungsbeginn in die Türkei abgeschoben wurde, regt sich in Marburg Widerstand. Im Stadtparlament sind sich alle einig – sogar die AfD: Er soll zurückkommen dürfen.

"Ihr habt unseren Freund abgeschoben. Bringt Serhat zurück", steht auf einem großen Banner, das vor den Kaufmännischen Schulen in Marburg flattert. Hier hatte der kurdische Geflüchtete Serhat Ürküp noch bis vor kurzem Deutsch gelernt.

Nach einer knapp zweijährigen Schulzeit in der Intensivklasse wollte der 19-Jährige eigentlich Anfang August eine Ausbildungsstelle zum Maler und Lackierer antreten. Doch dazu kam es nicht: Vor zweieinhalb Wochen wurde Ürküp in die Türkei abgeschoben. In Marburg regt sich dagegen Widerstand.

Demo vor Schule in Marburg

Am Donnerstag fand vor der berufsbildenden Schule eine Demo statt, etwa 200 Menschen waren dem Aufruf gefolgt. Das Motto: "Ausbilden statt Abschieben! - Serhat zurück nach Marburg."

Zu Ürküps Unterstützern gehören Lehrkräfte, Mitschülerinnen und Mitschüler sowie Menschen, die sich vor Ort in der Flüchtlingshilfe engagieren. Auch der örtliche Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte zur Kundgebung aufgerufen.

Eine Frau hält ein Foto mit einem jungen Mann vor ihrer Brust und zeigt es in die Kamera. Sie lächelt. Im Hintergund Menschen unscharf.

Sie meinen: Ürküp habe sich in kurzer Zeit gut integriert und die deutsche Sprache gelernt. Es sei unverständlich, dass eine zukünftige gefragte Fachkraft im Handwerk abgeschoben werde.

Unterstützer: In Türkei drohe Diskriminierung

Ürküps Unterstützer führen auch an: Als Kurde drohe ihm in seiner Heimat, die unter anderem nach dem Erdbeben 2023 völlig zerstört sei, lebenslange Diskriminierung. Zudem müsse er damit rechnen, in der Türkei zum Militärdienst einberufen zu werden.

Ürküp war vor zwei Jahren ohne Visum nach Deutschland eingereist und hatte erfolglos Asyl beantragt. Die Ausländerbehörde hatte ihm keine Arbeitserlaubnis erteilt.

BAMF: Türkei gilt als sicherer Drittstaat

Nach aktuellen Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist die Türkei derzeit eins der häufigsten Herkunftsländer von Asylsuchenden, direkt nach Syrien und Afghanistan. Etwa jeder zehnte neue Asylantrag wird momentan von türkischen Staatsbürgern gestellt.

Die Schutzquote ist allerdings gering: Die Türkei gilt derzeit als sicherer Drittstaat, was Abschiebungen dorthin möglich macht. Nur knapp neun Prozent der Anträge haben Erfolg. Zum Vergleich: Bei Menschen aus Syrien beträgt die Schutzquote 85 Prozent. Im Durchschnitt für alle Anträge liegt sie laut BAMF derzeit bei 47 Prozent.

Pro Asyl: Kurden wenig Chancen auf Asyl

Laut dem Verein Pro Asyl gibt die Mehrheit der Asylsuchenden mit türkischer Staatsbürgerschaft an, die kurdische Volkszugehörigkeit zu besitzen. Sie bekämen aber sehr selten Bleiberecht.

Pro Asyl fordert mehr Schutz für Kurdinnen und Kurden. Die niedrige Anerkennungsquote stehe im starken Kontrast zu der staatlichen Verfolgung, der viele Angehörige der Minderheit aufgrund des ihnen unterstellten oder tatsächlichen politischen Engagements ausgesetzt sind.

Marburgs Parlament "schockiert" über Abschiebung

Auch die Marburger Stadtverordnetenversammlung hat sich mittlerweile des Falls angenommen. Eine Seltenheit: Alle Abgeordneten brachten gemeinsam einen Antrag ins Stadtparlament ein. Auch der Vertreter der ansonsten als migrationskritisch bekannten AfD trug den Antrag mit.

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"Ihr habt unseren Freund abgeschoben"

Plakat mit Aufschrift
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Im Beschluss äußern sich die Abgeordneten "schockiert" über die Abschiebung. Mit Blick auf den vielfach diskutieren Fachkräftemangel sei es völlig unverständlich, dass ein gut integrierter junger Mann mit der festen Zusage auf einen Ausbildungsplatz kein Bleiberecht erhalten habe.

Stadtverordnete fordern Wiedereinreise

"Wir sprechen uns mit diesem Antrag klar gegen die Entscheidung der Landesregierung zur Abschiebung aus und wollen deutlich machen: Hervorragende schulische Leistungen, Integrationswillen und eine Lehrstelle dürfen kein Aufnahmehemmnis sein." Ausbildung sei wichtiger als Abschiebung.

Konkret fordert die Stadtverordnetenversammlung den Magistrat auf, sich bei der Landesregierung und der Zentralen Ausländerbehörde für die Aufhebung des Einreiseverborts einzusetzen.

Zudem solle der Magistrat den jungen Mann bei seinen Bemühungen gegenüber der Landes- und Bundesregierung unterstützen, die Abschiebung rückgängig zu machen und ein deutsches Visum zu erlangen, um seinen Ausbildungsplatz annehmen und antreten zu können.

Das Regierungspräsidium in Gießen teilte gegenüber dem hr mit: Die Verantwortung für die Asylentscheidung liege nicht bei ihnen, sondern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Man habe die Abschiebung lediglich durchgeführt.

Flüchtlingshelfer: "Viel schiefgelaufen"

Besonders wütend über die Abschiebung von Serhat Ürküp ist in Marburg Kurt Bunke, der sich beim "Cölber Arbeitskreis Flüchtlinge" engagiert. Er meint: Die Abschiebung sei nicht gerechtfertigt gewesen, bei der Bearbeitung seines Falls sei "viel schiefgelaufen". So seien etwa wichtige Dokumente oder eine Stellungnahme des Schulleiters nicht zur Kenntnis genommen worden.

Bunke meint: Ürküp habe bereits nach einem Jahr so gut Deutsch gelernt, dass er mittlerweile schon im zweiten Ausbildungsjahr sein könnte – wenn sich die Behörden nicht dagegen gestellt hätten. "Denen war es überhaupt nicht wichtig, ob hier ein intelligenter junger Mann zum Handwerker ausgebildet wird oder nicht", kritisiert er.

Nach Angaben seiner Unterstützer befindet sich Serhat Ürküp derzeit in Istanbul. Er sei bereits bezüglich des Militärdienstes angeschrieben worden – was seine Chancen auf ein reguläres Arbeitsvisum erschwere.

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