Denkmal der Grauen Busse in Hadamar "Wir wussten, dass da oben Menschen verbrannt werden"

In Hadamar wurden in der NS-Zeit fast 15.000 Menschen ermordet. In den Tod brachte sie ein eigens dafür gegründetes Transportunternehmen. Die grauen Busse waren im Ort als "Mordkisten" bekannt. Jetzt erinnert ein Denkmal in Hadamar daran.

Schwarz-weiß Bild von Gebäude mit Schornstein
Der Rauch des Krematoriums in der Tötungsanstalt Hadamar war von weit entfernt zu sehen Bild © Landeswohlfahrtsverband Archiv, F 12/Nr. 192.
Audiobeitrag
Bild © Landeswohlfahrtsverband Archiv, F 12/Nr. 192.| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Die grauen Busse fuhren durch die Stadt und dann hoch zur Anstalt, etwas oberhalb von Hadamar (Limburg-Weilburg) gelegen auf einer Anhöhe. Manchmal kamen sogar mehrere Busse an einem Tag. Und meistens stieg dann noch am gleichen Tag der Rauch auf.

Als es damit losging, war Karl Pott noch ein Kind. Er erinnert sich an den Rauch: schwarz, dicht und stinkend. Wenn es draußen diesig war, hing er so tief über der Stadt, dass zu Hause die Fenster zugemacht wurden. "Diesen süßlichen Geruch, den hat man heute noch in der Nase", sagt er.

Auch diese grauen Busse kannte man in Hadamar. Potts Vater arbeitete in einer Werkstatt der Post, die Busse wurden dort gewartet. "Riesenungetüme", erinnert sich Pott. Aber darüber sprechen, wen sie transportieren und warum - das durfte man damals nicht.

Audiobeitrag
Bild © Benjamin Müller| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

"Wenn ihr gefragt werdet, was da oben los ist - kein Wort, sagt kein Wort", so schärften die Eltern es den Kindern ein. "Sagt: Ihr wisst es nicht." Heute sagt der inzwischen 92-jährige Karl Pott: "Wir wussten, dass da oben Leute verbrannt werden – das war ja nicht mehr zu verheimlichen."

"Wohin bringt ihr uns?"

Rund 300.000 Menschen fielen europaweit den sogenannten NS-Krankenmorden zum Opfer, fast 15.000 von ihnen in der Tötungsanstalt in Hadamar. Es waren Menschen mit psychischen Erkrankungen, Behinderungen oder sozialen Auffälligkeiten, aber auch politisch Andersdenkende, die kurzerhand für geisteskrank erklärt worden waren. Die Nazis sahen sie als "unwertes Leben".

Betonskulptur in Form eines Busses
Das Denkmal der Grauen Busse steht jetzt an der Bahnhofsstraße in Hadamar Bild © Benjamin Müller

In Hadamar gibt es schon seit den 1990er Jahren eine Gedenkstätte. Am Mittwoch wurde nun zudem ein neues Denkmal in der Stadt eingeweiht, das besonders an den logistischen Überbau des organisierten Mordens erinnern soll: an die grauen Busse, die tausende Menschen in den Tod transportieren.

Weitere Informationen

Das Denkmal der Grauen Busse

Das Denkmal der "Grauen Busse" wurde von den Künstlern Horst Hoheisel und Andreas Knitz entworfen und existiert in zwei identischen Ausführungen. Das erste Denkmal wurde 2006 im Zentrum der ehemaligen "Heilanstalt Weißenau" in Ravensburg fest installiert. Ein zweites mobiles Denkmal war ab 2007 an wechselnden Standorten in Deutschland zu sehen, unter anderem in Kassel und Frankfurt. Nun wurde das mobile Denkmal dauerhaft in Hadamar installiert.

Ende der weiteren Informationen

Das Denkmal steht an der Hauptstraße in Hadamar in der Nähe des Bahnhofs. Rund zehn Meter lang und zweieinhalb Meter hoch ist die schlichte Betonskulptur, sie ist den Originalbussen von damals nachempfunden.

Durch die Mitte führt ein schmaler Gang. An dessen Ende ist in die Betonwände die beklemmende Frage eingraviert: Wohin bringt ihr uns?

Busse waren "zentrales Tatwerkzeug"

Das NS-Euthanasie-Programm war systematisch organisiert, insbesondere von 1940 bis 1941 in der Aktion T4, benannt nach ihrem zentralen Verwaltungsapparat in der Berliner Tiergartenstraße 4. Alleine in diesen beiden Jahren wurden rund 70.000 Menschen ermordet.

Schwarz-weiß Bild von großen Bussen
Die grauen Busse der T4-eigenen Transportgesellschaft Bild © Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Best. 3008/1 Nr. 1014

Für die möglichst "effektive" Abwicklung nutzten die Nazis nicht nur ein ausgeklügeltes System aus sogenannten Zwischenanstalten. Sie gründeten auch eigens dafür die "Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft", kurz Gekrat. Die ursprünglich roten Mercedes-Omnibusse stammten von der Reichspost. Umlackiert wurden sie vermutlich, um nicht so aufzufallen - eine Art Tarnanstrich.

Busse als "Mordkisten" bekannt

Sebastian Schönemann, der stellvertretende Leiter der Gedenkstätte Hadamar, bezeichnet die Busse als ein "zentrales Tatwerkzeug" bei den Euthanasie-Verbrechen und erklärt: Die Frage, die im Denkmal steht, spiele auf die Ahnungslosigkeit der Patientinnen und Patienten ab.

Die meisten wussten nicht, dass sie sich auf dem Weg in den Tod befanden, erklärt er. "Ihnen ist zum Beispiel gesagt worden, man würde sie kriegsbedingt verlegen." Nach der Ankunft in Hadamar seien die Menschen dann oft noch am gleichen Tag in die Gaskammer geschickt worden.

Schrift in Beton
Die Frage geht auf die Aussage eines Mannes zurück, der wie Tausend andere Patienten von den Gekrat-Bussen abgeholt wurde Bild © Benjamin Müller

Von Zeitzeugen wisse man, dass man im Ort nicht nur den Rauch wahrnahm, sondern auch die Busse, so Schönemann. Sie seien als "Mordkisten" bezeichnet worden.

Auf dem Hinweg mit vorgezogenen Vorhängen, auf dem Rückweg leer

Auch Heinz Duchscherer aus Hadamar erinnert sich daran. Der Garten der Familie lag direkt unterhalb der Anstalt. Regelmäßig fuhren die Busse vorbei, erzählt der heute 90-Jährige. "Auf dem Hinweg mit vorgezogenen Vorhängen, auf dem Rückweg waren sie leer."

Audiobeitrag
Bild © Benjamin Müller| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

"Wie ist denn das möglich?", habe man sich irgendwann im Ort gefragt. "Das Gebäude ist doch nicht so groß, dass es so viele Menschen fassen kann."

Den merkwürdigen Rauch habe man erst mit nassen Kohlen erklärt. Doch irgendwann habe ein Soldat aus dem Dorf auf Heimatbesuch gesagt: "Das riecht genau so, wie wenn an der Front Kadaver verbrennen."

Zeitzeuge: Bei Beerdigungen mitgeholfen

1942 stellten die Nazis zwar das Vergasen und Verbrennen ein. Das Töten aber nicht - Menschen starben beispielsweise durch überdosierte Medikamente oder gezieltes Verhungernlassen.

Duchscherer berichtet: "Bei den Beerdigungen habe ich zum Teil als Messdiener mitgeholfen, da war ich acht oder neun Jahre alt."

Als Kind nimmt man die Tragweite anders wahr, meint er heute. "Aber von meinen Eltern wusste ich, dass da oben schreckliche Dinge passieren."

"Wir haben nach dem Krieg zu wenig aufgearbeitet"

Nach dem Krieg sei dann aber viel zu wenig darüber gesprochen worden und man habe die Erlebnisse nicht ausreichend aufgearbeitet, meint Duchscherer. "Man hat das vielfach aus Scham verschwiegen."

Er hält Denkmäler wie das der Grauen Busse deshalb für so wichtig: um die Erinnerung wachzuhalten. "Und dass man kritisch ist gegenüber all dem, was in einer Bevölkerung möglich ist", sagt er.

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 18.10.23, 7 Uhr

Ende der weiteren Informationen

Quelle: hessenschau.de