Extreme Schmerzen Endometriose: Weit verbreitet – und doch ein Tabuthema

Statistisch gesehen ist jede zehnte Frau von Endometriose betroffen. Bis zur Diagnose vergehen meist Jahre, die Behandlung lindert nur die Symptome. Eine Betroffene berichtet.

 Eine Frau drückt gegen Schmerzen eine Wärmflasche auf ihren Körper.
Schmerzen, Erschöpfung, Unfruchtbarkeit - Endometriose hat viele Gesichter.  Bild © picture-alliance/dpa
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Minutenlang schildert Lee-Ceshia Lemcke ihren Leidensweg. Bereits als Teenagerin hat sie die Pille genommen und irgendwann gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Sie hat Stimmungsschwankungen, depressive Phasen, starke Blutungen und Schmerzen.  

Die Marburgerin setzt die Pille ab, ihre Schmerzen werden stärker. Dazu kommen PMS-Symptome vor Beginn der Periode. Sie vertraut ihrer Frauenärztin, die ihre Schmerzen als normal einordnet.  

Das Prämenstruelles Syndrom (PMS) tritt meist 10 bis 14 Tage vor der Periode auf. Die Symptome sind vielfältig. Häufig kommt es zu Spannungsgefühlen in den Brüsten sowie zu Kopf- oder Gliederschmerzen. Die Beschwerden steigern sich bis zu Beginn der Blutung und ebben dann ab.

Wie ein Messer im Bauch

Irgendwann habe sie ihren gesamten Alltag danach ausrichtet, Schmerzen zu haben, erinnert sich die 30-Jährige. "Ich habe zwischendurch das Gefühl gehabt, irgendjemand rammt mir dauerhaft Messer in den Bauch", sagt sie. 

Ihr Studium leidet, sie muss Treffen mit Freunden absagen, später meldet sie sich an der Arbeit immer wieder krank. 

Lee-Ceshia Lemcke sitzt auf dem Sofa in ihrer Wohnung und blättert durch Arztunterlagen. Sie hat blonde, kinnlange Haare und trägt eine Brille.
Endometriose-Patientin Lee-Ceshia Lemcke hat einen langen Leidenweg hinter sich. Bild © hr/Julia Maria Klös

Dann die Diagnose: Lemcke hat Endometriose. Bei der Erkrankung siedelt sich Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, im Bauchraum an. Es kann sich entzünden und zu Verwachsungen führen.  

Statistik: 140.000 Betroffene in Hessen 

Bis zu 15 Prozent aller Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter sind laut Robert Koch-Institut (RKI) von Endometriose betroffen. Insgesamt leiden bundesweit zwei Millionen Menschen an der Krankheit. Jährlich gibt es 40.000 neue Diagnosen. Das hat die Endometriose Vereinigung in einem Positionspapier festgehalten, das anlässlich der hessischen Landtagswahl erstellt wurde.

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Tag der Endometriose

Am 29. September 2024 ist Endometriose Tag. An diesem Tag soll auf die Erkrankung aufmerksam gemacht und senibilisiert werden.

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In Hessen leben demnach statistisch gesehen 140.000 Frauen mit den Folgen der Erkrankung. Die Endometriose Vereinigung ist eine bundesweite Selbsthilfe-Organisation. Neben der Aufklärung berät der Verein Betroffene und vertritt ihre Interessen gegenüber der Politik.

Ursache für Endometriose unklar

Endometriose gilt als Volkskrankheit und ist eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen überhaupt. Die Ursache ist noch ungeklärt.

Alle Menschen mit Gebärmutter im fortpflanzungsfähigen Alter können von Endometriose betroffen sein. Bei der Erkrankung siedelt sich Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter im Bauchraum an, zum Beispiel an den Eierstöcken, am Darm oder an der Blase.

Das Gewebe kann sich entzünden und zu Verwachsungen führen. Die Krankheit gilt zudem als eine häufige Ursache für unerfüllten Kinderwunsch. Trotzdem vergehen im Durchschnitt zwischen sieben und zehn Jahre bis zu einer Diagnose. Zu den Symptomen gehören: 

  • starke, lang andauernde Periodenkrämpfe 
  • Unterbauchschmerzen 
  • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Wasserlassen, Stuhlgang 
  • Unfruchtbarkeit 
  • Erschöpfungszustände 
  • Infektanfälligkeit 

Bisher konzentriert sich die Behandlung ausschließlich auf die Therapierung der Symptome durch Schmerzmittel, Hormone oder eine operative Entfernung von Verwachsungen und Endometriose-Herden. Meist vergehen Jahre, bis Betroffene wie Lemcke ihre Diagnose erhalten.  

Hessenweit gibt es sieben Endometriose-Zentren, die sich auf die Behandlung und Therapie der Erkrankung spezialisiert haben. In Kassel und Frankfurt werden Betroffene in jeweils zwei Kliniken betreut. In Offenbach, Hanau und Gießen gibt es weitere Zentren. 

Für viele Betroffene gibt also nur wenige Anlaufstellen. Vor allem der ländliche Raum ist laut einer Sprecherin der Endometriose Vereinigung weniger gut versorgt.

Lange Wartezeiten in speziellen Zentren 

Yvonne Norpoth leitet das Endometriose-Zentrum am Klinikum Kassel. Für einen Termin müssen Patientinnen lange Wartezeiten von bis zu einem dreiviertel Jahr in Kauf nehmen.

Die Ärztin Yvonne Norpoth steht in einem Behandlungszimmer. Sie trägt einen weißen Kittel über blauer Krankenhauskleidung. Hinter ihr ist ein Behandlungsstuhl zu sehen.
Die Ärztin Yvonne Norpoth fordert mehr Bewusstsein für die Krankheit. Bild © hr/Julia Maria Klös

Norpoth sieht die Vorteile eines Zentrums in dem komplexen Netzwerk aus Spezialisten wie Schmerz- und Ernährungstherapeuten oder Osteopathen. So will man hier die Versorgung der Patientinnen verbessern. 

Ärztin: mehr Bewusstsein für die Erkrankung 

Für die chronische Erkrankung wünscht sich Norpoth vor allem mehr Aufmerksamkeit – und mehr Geld. Zwar sei mit fünf Millionen mehr Budget für die Endometriose-Bekämpfung bereitgestellt worden als die Jahre zuvor, so die Oberärztin, dennoch lohne ein Blick in Nachbarländer wie Frankreich.  

Hier habe Präsident Emmanuel Macron Endometriose als gesellschaftliches Problem bezeichnet. In Ländern wie Australien und Neuseeland werde ein Vielfaches an Geldern bereitgestellt. 

Gleichzeitig nimmt sie aber auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachgebieten wie Urologie und Innere Medizin in die Pflicht. Hier brauche es ein Bewusstsein, dass beispielsweise Darmbeschwerden "etwas mit Endometriose zu tun haben könnten", so Norpoth. 

Neuartige Behandlungsmethode aus Gießen 

In Gießen werden die Schmerzen von Betroffenen in einem bisher weltweit einzigartigen Ansatz behandelt – mit Hilfe von elektrischen Impulsen. Hierfür wird ein Neurostimulator operativ eingesetzt.

Bisher wurden 25 Frauen mit der Methode operiert. Erste Studien haben gezeigt, dass etwa 80 Prozent der Frauen drastische Schmerzerleichterungen hatten und ihre Schmerzmittel absetzen konnten.  

Dazu ist seit Januar ist in Deutschland ein Speicheltest erhältlich, den das Gießener Unternehmen Eluthia vertreibt. Er soll zu 95 Prozent ein verlässliches Ergebnis anzeigen. Mediziner sehen den Test allerdings kritisch.

Wichtig: über Endometriose sprechen 

Lee-Ceshia Lemcke hat ihre Beschwerden nach dem Ärzte-Hopping und verschiedenen Behandlungsmethoden mittlerweile im Griff. Es war ein langer Weg. Schlussendlich hat sie sich für eine Operation entschieden, bei der die Endometriose-Herde entfernt wurden. Doch diese können immer wieder entstehen.  

Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen. Lemcke hofft, dass es in Zukunft Behandlungsalternativen gibt und die Forschung weiter vorangetrieben wird. 

Anderen Betroffenen rät Lemke zur Offenheit – gegenüber Freunden und der eigenen Familie und Frauenärztinnen und Frauenärzten. Es sei wichtig, darüber zu sprechen und darauf zu beharren, ernst genommen zu werden. Vor allem gegenüber Frauenärztinnen und Frauenärzten.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de