Bericht zur Luftqualität Warum Hessens Luft offiziell sauber ist und trotzdem nicht gesund
Über einen "positiven Trend" freut sich Hessens Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie. Die Grenzwerte, mit denen Luftsauberkeit gemessen wird, wurden 2023 fast überall in Hessen eingehalten oder unterschritten. Gesundheitsexperten glauben allerdings, dass die Werte deutlich zu hoch sind.
"Die Luft in Hessen ist im vergangenen Jahr nochmals sauberer geworden", teilte das hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie am Freitag mit. Es veröffentlicht die Messwerte, die Hessens Luftqualität abbilden sollen - und die sehen zunächst einmal positiv aus.
Schon zum dritten Mal wurden weniger Schadstoffe wie Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub oder Ozon ausgestoßen. Die gesetzlichen Grenzwerte wurden für fast alle Stoffe eingehalten oder unterschritten.
Selbst Orte, an denen in der Vergangenheit besonders dicke Luft herrschte, wie die Friedberger Landstraße in Frankfurt, haben den gesetzlichen Grenzwert vergangenes Jahr nicht mehr gerissen. 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel sind zulässig, die Friedberger erreichte rund 26 Mikrogramm.
Trotzdem hält nicht jeder solche Werte für einen Grund zum Feiern. Während sich Hessens Umweltminister Ingmar Jung (CDU) über die "guten Nachrichten" freut und betont, "gesunde Luft" bedeute "Lebensqualität für unsere Bürger", halten die Deutsche Umwelthilfe und die Weltgesundheitsorganisation die Messwerte deutschlandweit - und den gesetzlichen Grenzwert - für viel zu hoch.
Wo die Luft 2023 am schlechtesten war
Die dickste Luft atmete man laut HLNUG-Bericht 2023 an der Schiede in Limburg und an der Hügelstraße in Darmstadt - zumindest, was die Stickstoffdioxid-Werte anging: Dort wurden 37 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel gemessen. Eine Verbesserung gegenüber 2020, als das HLNUG dort knapp 42 Mikrogramm pro Kubikmeter (Darmstadt) und rund 45 Mikrogramm pro Kubikmeter (Limburg) gemessen hatte.
In Gießen, Offenbach und Wiesbaden lagen die Stickstoffdioxid-Werte an den höchstbelasteten Straßen noch bei rund 30 Mikrogramm pro Kubikmeter. Auch dort war noch vor wenigen Jahren der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel deutlich überschritten worden.
Auch die Feinstaub-Werte liegen seit Jahren überall in Hessen unter dem gesetzlichen Grenzwert von 40 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter im Jahresmittel. Allerdings gibt es hier laut HLNUG kaum noch weitere Verbesserungen. Die höchstbelasteten Orte 2023 waren demnach neben der Friedberger Landstraße in Frankfurt die Fünffensterstraße in Kassel und die Schiede in Limburg mit bis zu 18 Mikrogramm pro Kubikmeter PM10 im Jahresmittel und 9 Mikrogramm der feineren Partikel PM2,5 pro Kubikmeter.
Den Grenzwert für Ozon überschritten zwei Orte in Hessen: Der kleine Feldberg und die Wasserkuppe. Luftreinhaltemaßnahmen wie Fahrverbote, Verbesserungen im ÖPNV oder Umweltspuren in Städten würden in Hessen Wirkung zeigen, begründet das HLNUG den Trend zur besseren Luft. Außerdem habe sich die Abgastechnik der Autos verbessert.
WHO will niedrigere Grenzwerte
Die Richtung stimmt - und dennoch: Ob Ergebnisse wie die aus Hessen künftig noch als Erfolg gelten könnten, ist fraglich. Denn die Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft sind EU-weit geregelt. Ursprünglich hatten sie sich an Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientiert. Allerdings kam die WHO 2021 nach mehreren Gesundheitsstudien zu dem Schluss: Für ein gesundes Leben bräuchte es deutlich niedrigere Grenzwerte, als die derzeit geltenden.
Deshalb senkte die WHO ihre Richtwerte ab: Auf 5 statt 40 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter im Jahresmittel und 10 statt 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter im Jahr. Zwei Werte, die in Hessen nur an den wenigsten Messstationen derzeit erreicht werden.
Die EU-Luftqualitätsrichtlinie verharrt noch bei den alten, deutlich höheren WHO-Richtwerten. Hitzige Verhandlungen darüber, die Grenzwerte ebenfalls abzusenken, laufen aber aktuell.
Umwelthilfe: "Atmen in Deutschland ist gesundheitsschädlich"
Die Deutsche Umwelthilfe hält die Absenkung der Grenzwerte für dringend notwendig. Denn würde man den neuen Maßstab der WHO an die Luftqualität anlegen, würden 99 Prozent aller Messstationen in Deutschland die Höchstwerte für Feinstaub überschreiten und drei Viertel den Höchstwert für Stickstoffdioxid.
"Atmen in Deutschland ist gesundheitsschädlich", sagte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe kürzlich. "Doch die Bundesregierung weigert sich noch immer, die gesetzlichen Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2021 anzupassen."
Sollten die Höchstwerte gesenkt werden, könnten also auch in Hessen künftig wieder deutlich mehr Orte die gesetzliche Grenze reißen. In seiner Mitteilung verbindet das HLNUG seinen Bericht mit der Mahnung: "Auch, wenn sich die Luftqualität in den letzten Jahren in Hessen deutlich verbessert hat, sollten weiterhin Anstrengungen unternommen werden, grundsätzlich Emissionen zu vermindern."
Sendung: hr-iNFO, 05.04.2024, 12 Uhr.
Redaktion: Malena Menke