Drei Jahre nach dem Anschlag von Hanau Wie Hinterbliebene gegen Rassismus und für die Erinnerung kämpfen
Drei Jahre nach dem rassistischen Anschlag von Hanau haben sich manche der Hinterbliebenen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Andere stellen sich unermüdlich ans Rednerpult: gegen Rassismus und für Aufklärung und Erinnerung.
Çetin Gültekin ist ein höflicher Mensch, der meist mit sanfter Stimme spricht. Auch, wenn er ans Rednerpult tritt. Häufig orientiert er sich an seinen Notizen. Manchmal aber löst er sich von diesen Notizen, spricht frei und dann wird er auch mal lauter, ärgert sich – über das, was er in den vergangenen drei Jahren erlebt hat.
"Wir haben in den drei Jahren vieles auf den Tisch gelegt", sagt er, "aber es hat weder Konsequenzen noch Gerechtigkeit gebracht." Gültekin meint dabei Erkenntnisse rund um den Anschlag, die in dieser Zeit aufgedeckt wurden: der überlastete Notruf in der Anschlagsnacht, dass der in der Anschlagsnacht eingesetzte Polizeihubschrauber keinen Funkkontakt hatte oder dass die Polizei das Haus des Attentäters längere Zeit nicht richtig bewachte.
All das wurde aufgedeckt von Medien oder den Hinterbliebenen selbst und der "Initiative 19. Februar", die mit der Rechercheagentur "Forensic Architecture" vor gut zwei Wochen ihre Ausstellung zum Anschlag im Hanauer Rathaus eröffnete, die zuvor auch schon in Frankfurt zu sehen war.
Auch da trat Çetin Gültekin ans Rednerpult. "Um zu erinnern", erklärt er. Sein Bruder Gökhan und die anderen beim Anschlag Getöteten sollen schlicht nicht in Vergessenheit geraten.
Die Opfer in den Fokus rücken
Genau das treibt auch andere Hinterbliebene an. "Weil bis heute jeder Anschlag oder rassistische Tat täterorientiert war und nie opferorientiert", meint Gültekin. In Hanau dagegen waren schnell Namen und Gesichter der Opfer bekannt. Bis heute zieren sie Wände oder Straßenlaternen im ganzen Land. "Wir kämpfen dafür, dass das auch hält", so Gültekin.
Ganz ähnlich äußert sich auch Said Etris Hashemi. Er hat den Anschlag schwerverletzt überlebt. Sein Bruder Said Nesar wurde getötet. Seitdem nimmt Hashemi deutschlandweit an Podiumsdiskussionen teil, engagiert sich in Organisationen, die gegen Rassismus kämpfen oder ist Redner bei der Bundesmigrationskonferenz.
Er nennt es "Lobbyarbeit". "Um zu erinnern, um aufzuklären, um auch politisch eine Veränderung herbeizuführen", wie er erklärt.
Seine Schwester Saida will das vor allem vor Ort tun: in Hanau. Vor zwei Jahren wurde sie für die SPD in die Hanauer Stadtverordnetenversammlung gewählt. "Ich möchte mich für eine moderne, fortgeschrittene und von Vielfalt geprägte Stadt einsetzen", so die angehende Lehrerin nach ihrer Wahl.
Ajla Kurtović will das künftig im hessischen Landtag tun. Beim Anschlag hat sie ihren Bruder Hamza verloren, im Herbst kandidiert sie für die SPD bei der Landtagswahl als Ersatzkandidatin für den Landtagsabgeordneten Christoph Degen. "Ich habe beschlossen, mich politisch zu engagieren, weil ich durch den Anschlag von Hanau und die Krisen der vergangenen Jahre gemerkt habe, dass wir in vielen Bereichen Nachholbedarf haben und ich etwas verändert möchte", erklärt sie ihr Engagement.
Die Last der ständigen Erinnerung
Immer wieder erinnert werden an das, was vor mittlerweile drei Jahren passiert ist, es immer wieder zu wiederholen, das ist einigen anderen Hinterbliebenen mittlerweile zu viel. Sie haben sich in den vergangenen Monaten immer mehr zurückgezogen.
"Es ist anstrengend", zeigt Said Etris Hashemi Verständnis. "Aber ich weiß, dass es für was Gutes ist. Das ist die Motivation dahinter: dass ich mit meiner Stimme etwas Gutes bewirken kann."
So oder so - in einem Punkt sind sich alle Hinterbliebenen einig: Niemand soll jemals wieder das durchmachen müssen, was sie durchgemacht haben. Und deshalb werden sich einige von ihnen auch weiterhin ans Rednerpult stellen - mal leiser, mal lauter.
Sendung: hr-iNFO, 17.02.2023, 8.20 Uhr
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