Drogen nehmen unter Aufsicht Wie Konsumräume Abhängigen in Frankfurt helfen
Ein Raum, in dem unter Aufsicht Drogen konsumiert werden können - begleitet von weiteren Angeboten, um trotz Sucht in Würde zu leben: 1994 war dieser "Frankfurter Weg" revolutionär. Auch 30 Jahre später ist der Konsumraum ein wichtiges Angebot in der Drogenhilfe.
Mit der Nadel in der Hand beugt sich Jenny weit auf dem Metallstuhl nach vorne und setzt neu an. Immer wieder versucht sie eine Vene zu treffen. Durch den jahrelangen Drogenkonsum ist das gar nicht so einfach. In Jennys Spritze: Crack. Hier im Konsumraum der Drogenhilfeeinrichtung "Eastside" hat sie zumindest ihre Ruhe.
In dem weiß gekachelten Raum im Frankfurter Ostend ist wenig vom Trubel der Drogenszene des Bahnhofsviertels zu spüren. Sieben der acht Plätze für intravenösen Konsum sind noch frei, als Jenny hereinkommt.
Und auch sonst ist hier der Konsum sicherer als auf der Straße: Alkoholtupfer, Ascorbinsäure, die die Droge von ungewollten Begleitsubstanzen trennt, Filter, Nadeln und Spritzen – das und mehr bekommen Konsumenten hier im Konsumraum ausgehändigt, zum Beispiel von Mitarbeiter Till Eckert: "Außer der Konsumsubstanz haben wir alles da," erklärt er.
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Konsum mit weniger Risiken
Der Konsumraum des Eastside ist Vorreiter. Als er vor 30 Jahren eröffnet wurde, war er der erste seiner Art in Deutschland, ganz im Sinne des "Frankfurter Weges" in der Drogenpolitik. Bei diesem geht es - verkürzt gesagt - vor allem darum, Menschen, die von Drogen abhängig sind, nicht zu kriminalisieren, sondern als Suchtkranke zu begreifen. Gleichzeitig sollen die Risiken des Drogenkonsums reduziert werden.
Helfen sollen etwa saubere Nadeln und mit sauberem Wasser aufgezogene Spritzen. Auf der Straße hat Till Eckert andere Zustände beobachtet: "Das wird im Notfall auch mal aus der Pfütze genommen." Außerdem sind im Konsumraum ständig Mitarbeitende der Drogenhilfe vor Ort. Über Spiegel, die vor jedem Konsumplatz angebracht sind, haben sie die Konsumierenden, oder Klienten, wie sie im "Eastside" genannt werden, im Blick. "Sobald keine Körperspannung mehr da ist, haben wir einen Notfall, dann müssen wir einschreiten," sagt Eckert.
Der "Frankfurter Weg" brachte einen Erfolg - bei der Zahl der Drogentoten: Während zu den schlimmsten Zeiten Anfang der 90er Jahre in Frankfurt bis zu 147 Menschen jährlich wegen Drogenkonsums zu Tode kamen, sind es heute "nur" noch um die 30. Im Gegensatz zu den bundesweit steigenden Zahlen blieben die Todeszahlen in Frankfurt in den letzten Jahren relativ stabil.
Die Stadt Frankfurt plant mittlerweile, das Konzept zu erweitern: Im Bahnhofsviertel soll ein Konsumraum speziell für Crack-Süchtige entstehen.
Ein Platz, um zur Ruhe zu kommen
Der Konsumraum ist aber nur eines der Angebote des "Eastside". Alle Volljährigen in schwierigen Lebenssituationen sollen hier nach Möglichkeit eine Anlaufstelle finden. Der Sozialdienst unterstützt zum Beispiel dabei, Hilfepläne zu entwickeln und begleitet Klienten bei Arztbesuchen und Behördengängen. Auch Angehörige bekommen hier Hilfe.
Im Café können Klienten Lebensmittel und Hygieneartikel zu sehr geringen Preisen einkaufen oder eine warme Mahlzeit zu sich nehmen. Wenn das Geld mal sehr knapp ist, können sie im Einzelfall auf einer Spendenliste anschreiben lassen, damit die Einkäufe dann von Spendern übernommen werden. Im Café gibt es auch die Möglichkeit miteinander zu reden, Fernsehen zu schauen, Billard zu spielen und sich auszuruhen.
Ein Dach über dem Kopf
Ein wichtiges Angebot im "Eastside" sind auch die Wohnmöglichkeiten: 75 Betten gibt es, in Einzel- oder Mehrbettzimmern. Zudem gibt es 25 Notbetten, bei denen das Prinzip gilt: "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst." Wer auf der Liste für die Betten im zweiten Stockwerk steht, kann sich dagegen sicher sein, dass er in der Nacht einen Schlafplatz hat. Dafür muss einmal im Jahr ein Tuberkulose-Test vorgelegt und das Bett regelmäßig genutzt werden. Wer dreimal hintereinander nicht da ist, verliert seinen Anspruch auf das Bett.
Wer aber längerfristig bleiben will, Ordnung hält, sich pflegt und auch gesundheitlich fit ist, kann sich in einem Stufensystem von den Notbetten bis zu einem Platz im Haus 22 entwickeln. Dort haben die Klienten dann feste Räume und sogar eigene Schlüssel.
Insgesamt haben 659 Klienten im Jahr 2023 dieses Angebot kurz- oder längerfristig in Anspruch genommen, zusammen kamen sie auf 33.565 Übernachtungen.
"Ich kann ihnen nicht vorschreiben, was sie zu lassen haben"
Alle Maßnahmen zielen darauf ab, Betroffenen dabei zu helfen, möglichst würdevoll ihren Weg zu gehen, auch, wenn sie rückfällig werden. Es geht nicht darum, Konsum zu verbieten. Mitarbeiter Till Eckert betont: "Das ist eine Sucht, das ist eine Krankheit."
Trotzdem verspürt er bei seiner Arbeit im Eastside manchmal den Drang, den Betroffenen den Konsum ausreden zu wollen. "Aber es sind alles Erwachsene. Ich kann ihnen nicht vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben."
Manches lässt sich ohne Drogen nicht mehr aushalten
Melanie Bildesheim, Suchttherapeutin und Leiterin des "Eastside", hat die Erfahrung gemacht, dass es Situationen und Störungen gibt, die ohne Drogenkonsum öglicherweise gar nicht zu auszuhalten wären.
Ein großer Teil der Betroffenen im "Eastside", berichtet Bildesheim, stabilisiere sich auch langsam bei weiterem Konsum oder durch Substitution, etwa mit Methadon. "Bis das so weit ist, muss man das Überleben sichern." Genau dabei setzt die Einrichtung an: "Bei uns können sie auch mit Rückschlägen gut umgehen und neuen Anlauf wagen," sagt Bildesheim.
Der Absprung ist schwierig
Jenny ist der Absprung bisher nicht gelungen. Vor 20 Jahren habe sie mit dem Konsum von Crack angefangen, erzählt sie. Nur einmal sei sie in dieser Zeit clean gewesen, für zwei Wochen. Wenn sie Crack konsumiere, werde sie erst richtig wach. Es sei "wie wenn der Schleier weg ist."
Zu stark sei die Sehnsucht nach dem Gefühl des allerersten Kicks, findet Jenny. Ein Gefühl, dem man immer nachjage, ohne es je zu erreichen. "Vielleicht kommt‘s ja nochmal, dieses Behütete, die Wärme." Augenblicke, in denen alle Probleme wie weggewischt seien. Allerdings nur für diese Momente, denn mit dem Konsum und der Sucht kämen die Probleme erst. "Aber dann ist es zu spät."
Der Frankfurter Weg nimmt seit seiner Einführung vor 30 Jahren in erster Linie Heroinabhängige in den Blick. Mittlerweile ist aber Crack das Hauptproblem im Bahnhofsviertel. Das bisherige Modell greift Kritikern zufolge deshalb nicht mehr. Zwar plant die Stadt, Suchthilfezentren speziell für Crack konsumierende Menschen einzurichten.
Der Frankfurter CDU aber geht das nicht weit genug: Sie will die Einführung des sogenannten "Züricher Modells". Das sieht unter anderem mehr Sozialarbeiter, Konsumräume auch in umliegenden Kommunen sowie harte Ordnungsmaßnahmen auf der Straße vor. Außerdem haben in Zürich nur Menschen, die in der Stadt leben, Zugang zu den Konsumräumen.
In Frankfurt ist das bislang nicht der Fall – mehr als die Hälfte der Abhängigen, die die Räumlichkeiten nutzen, lebt nicht in der Stadt. Der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) und Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne) zeigten sich in der Vergangenheit offen für den Vorschlag, künftig nur noch Frankfurter in die Räume zu lassen. Sie fordern dafür aber Hilfe aus anderen Kommunen und vom Bund.
Kritik am Frankfurter Weg
Der Frankfurter Weg nimmt seit seiner Einführung vor 30 Jahren in erster Linie Heroinabhängige in den Blick. Mittlerweile ist aber Crack das Hauptproblem im Bahnhofsviertel. Das bisherige Modell greift Kritikern zufolge deshalb nicht mehr. Zwar plant die Stadt, Suchthilfezentren speziell für Crack konsumierende Menschen einzurichten.
Der Frankfurter CDU aber geht das nicht weit genug: Sie will die Einführung des sogenannten "Züricher Modells". Das sieht unter anderem mehr Sozialarbeiter, Konsumräume auch in umliegenden Kommunen sowie harte Ordnungsmaßnahmen auf der Straße vor. Außerdem haben in Zürich nur Menschen, die in der Stadt leben, Zugang zu den Konsumräumen.
In Frankfurt ist das bislang nicht der Fall – mehr als die Hälfte der Abhängigen, die die Räumlichkeiten nutzen, lebt nicht in der Stadt. Der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) und Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne) zeigten sich in der Vergangenheit offen für den Vorschlag, künftig nur noch Frankfurter in die Räume zu lassen. Sie fordern dafür aber Hilfe aus anderen Kommunen und vom Bund.