Einzige Veggie-Herberge in Deutschland Ein Jahr ohne Fleisch - Jugendherberge Büdingen zieht positive Bilanz
Seit einem Jahr bietet die Jugendherberge in Büdingen nur noch vegetarische Verpflegung an. Es ist die einzige Herberge in Deutschland mit einem solchen Konzept. Und das kommt offenbar an.
Wenn Stefan Thiele sein Büffet auffüllt, stehen die Kinder oft schon an der Glastür zum Speisesaal und drücken ihre Nasen platt. Der Koch der Büdinger Jugendherberge hat diesmal Minestrone mit Weizen, Zucchini-Schnitzel mit Bratkartoffeln und Brokkoli-Kartoffel-Auflauf zubereitet.
Als er die Tür öffnet, strömen die Kinder herein und lassen sich das vegetarische Mittagessen auf die Teller schöpfen. Seit einem Jahr gibt es in der Büdinger Herberge kein Fleisch mehr – es ist die einzige Veggie-Jugendherberge in Deutschland.
"Hat uns viel Kritik eingebracht"
Für die Kinder kein Problem: "Jo, ist doch trotzdem gut", sagt ein Grundschüler, der mit seiner Gruppe hier auf Klassenfahrt ist. Und seine Mitschülerin ergänzt: "Es ist sehr lecker. Ich finde, es ist mal eine Abwechslung."
Vor rund zehn Jahren diskutierte das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) erstmals darüber, einen Veggie Day einzuführen, erzählt Knut Stolle, Sprecher des Landesverbandes Hessen. "Das hat uns viel Kritik eingebracht." Das größte Gegenargument vieler Gäste sei gewesen, sich nichts aufzwingen lassen zu wollen.
Dementsprechend vorsichtig war der Landesverband Hessen, als es konkrete Überlegungen gab, eine Jugendherberge komplett auf fleischlose Kost umzustellen.
Büdingen seit 2019 "Umwelt-Jugendherberge"
Dass der Verband die Pläne durchzog und die Wahl letztendlich auf die Jugendherberge in Büdingen fiel, hatte mehrere Gründe, erklärt Stolle. Auch Jugendherbergen müssten zunehmend ihr Profil schärfen. Die Herberge in der Wetterau habe schon seit 2019 das Profil "Umwelt-Jugendherberge" mit entsprechenden Kriterien im Qualitätsmanagement.
Als das Haus im April 2022 mit den auslaufenden Corona-Beschränkungen wieder an den Start ging, sah die Leitung einen guten Zeitpunkt gekommen, "um einen Schnitt zu machen", erzählt Stolle. Zu der Zeit sei man sowieso auf der Suche nach einer neuen Küchenleitung gewesen, "so dass kein Koch überzeugt werden musste, der schon seit zehn Jahren auf seine Weise arbeitet".
Die Wahl fiel auf Stefan Thiele, einen klassischen Koch, der "die Idee einfach gut und eine interessante Herausforderung fand", wie er berichtet. "Gerade Kinder sind ja gnadenlos ehrlich", erzählt er augenzwinkernd, während er in seiner Küche Kartoffeln brät. Im Topf daneben köchelt Gemüsebouillon – Brühwürfel kommen Thiele nicht ins Essen.
Keine Gruppe hat gekündigt
Zum Start der neuen Verpflegung sei der Belegungskalender noch relativ leer gewesen, so dass die Mitarbeitenden die Kundschaft anrufen konnte, um sie auf die Änderung hinzuweisen, berichtet DJH-Sprecher Stolle.
"Wir dachten uns: Wir können den Leuten nichts aufdrücken, ihnen aber vorher sagen, dass sie bei uns kein Fleisch kriegen", sagt er. "Fleischesser konnten dann in andere hessische oder deutsche Jugendherbergen ausweichen."
Doch keine Gruppe habe gekündigt, was rechtlich durchaus möglich gewesen wäre, erklärt Stolle. Und nur zwei Gruppen mit Stammgästen seien am Ende ihres Aufenthalts unzufrieden gewesen. Auch in den vergangenen zwölf Monaten hat die Umstellung nach Angaben der Herberge keine Auswirkungen auf die Buchungszahlen gehabt. Beschwerden habe es im Nachgang keine gegeben.
Grillen ist weiter möglich
Inzwischen sei es sogar so, dass "nicht wenige Gruppen genau deswegen zu uns kommen", sagt Diana Timm, Assistentin der derzeit erkrankten Herbergsleitung. Für Stammgruppen bietet die Herberge die Möglichkeit, den vegetarischen Speiseplan im Vorfeld abzustimmen.
Außerdem sei Grillen weiterhin möglich – in Zusammenarbeit mit regionalen Fleischproduzenten. Koch Thiele bilanziert: "Ich dachte, an dem Projekt kannst du dir entweder die Zähne ausbeißen oder du kannst dabei gewinnen. Ich habe gewonnen, weil die Kinder positiver reagieren als gedacht."
Eine Ausweitung des Konzepts auf andere Jugendherbergen ist bislang nicht geplant, sagt Stolle vom DJH. Der Verband arbeite aber an einem generellen "Food-Konzept", nach dem die Verpflegung frisch, regional und gleichzeitig kindgerecht sein soll.
Sendung: hr4, 06.04.2023, 15.30 Uhr
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