Zehntausende Unterstützer für Petition Eltern kämpfen um Kinderärztlichen Notdienst in Darmstadt
Mit einer Internetpetition wollen Eltern den Kinderärztlichen Notdienst in Darmstadt retten. Innerhalb kürzester Zeit fanden sie zigtausend Unterstützer. Unterdessen eskaliert ein Streit zwischen der Kinderklinik und der Kassenärztlichen Vereinigung.
Eine Internetpetition von Eltern im Raum Darmstadt schlägt hohe Wellen. Mit ihr wollen die Eltern verhindern, dass es bald keinen Kinderärztlichen Notdienst mehr in Darmstadt gibt. Die am Dienstag gestartete Petition hatte am Freitagmorgen bereits knapp 60.000 Unterstützer.
Mietvertrag für Kindernotdienst gekündigt
Auslöser war der Hilferuf mehrerer Kinderärzte in Darmstadt und Pfungstadt, die an dem Notdienst beteiligt sind. "Kinderärztlicher Notdienst in Gefahr!" ist der Titel eines Aushangs, den sie in den Praxen und auch in den Räumen des Notdienstes auf dem Gelände der Kinderklinik platziert haben.
Die Kinderklinik Prinzessin Margaret in der Dieburger Straße hatte dem von der Kassenärztlichen Vereiniung (KV) betriebenen Notdienst den Mietvertrag für die von ihm genutzten Räume zum 30. Juni 2024 gekündigt.
Ärzte und Eltern fürchten damit das Ende. Es werde "Stand heute keinen weiteren Notdienst für Kinder und Jugendliche an dieser Kinderklinik und wahrscheinlich auch nicht mehr in Darmstadt geben", steht auf dem Aushang.
Ansturm auf Notfallambulanz
Wegen Fachkräftemangels hatte der Notdienst seine Öffnungszeiten zum Leidwesen der Klinik stark einschränken müssen. Eltern, die vor verschlossenen Türen standen, suchten nicht den allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst auf, sondern gingen direkt in die angrenzende Kinderklinik. Aus ihrer Perspektive naheliegend, doch in der Kinderklinik sah man sich dem Ansturm kaum noch gewachsen.
"Die Darmstädter Kinderkliniken haben die ambulante Notfallversorgung mit übernehmen müssen, ohne dass sie personell oder räumlich hierfür aufgestellt sind und ohne dass es unser Versorgungsauftrag ist", teilte die Klinik mit, sprach von "untragbaren Zuständen" und davon, dass man "die eigenen Beschäftigten schützen" müsse. Die Räume benötige man nun selbst, so der angegebene Grund für die Kündigung.
Klinik: "Seit einem Jahr Diskussion mit KV"
"Wir platzen aus allen Nähten", sagte Klinikgeschäftsführer Andreas Hofmann. Das Problem bestehe nicht erst seit gestern. "Wir führen diese Diskussion mit der Kassenärztlichen Vereinigung seit einem Jahr." Der zunächst als vorübergehend angekündigte Engpass dauere bis heute an, und es zeichne sich keine Lösung ab.
Er hoffe, gemeinsam mit der KV und den Ärzten eine Lösung zu finden. "Wenn uns das gelänge, wäre ich der erste, der die Kündigung zerreißt", sagte Hofmann. Doch die Fronten scheinen unheilbar verhärtet. Während die Klinik behauptet, gute Lösungsansätze seien am "fehlenden Umsetzungswillen der KV gescheitert", wirft die KV wiederum der Klinik vor, die Fakten zu verdrehen.
"Man macht sich als Verhandlungspartner unmöglich"
So behaupte die Klinik fälschlicherweise, die Versorgung der Kinder sei außerhalb der Öffnungszeiten des Notdienstes nicht gewährleistet, heißt es in einer Erklärung der KV-Vorstandsvorsitzenden Frank Dastych und Armin Beck vom Donnerstag. Richtig sei, dass der allgemeine Bereitschaftsdienst der KV selbstverständlich auch Kinder behandele.
Dastych und Beck sprechen gar von Erpressung, die keine gute Verhandlungsbasis sei. "Wer auf der einen Seite behauptet, die Räume selbst zu brauchen, unter der Hand aber eigentlich erzwingen will, dass die 'alten' Sprechzeiten wieder gelten, für die aber das Personal fehlt, macht sich als Verhandlungspartner unmöglich."
Eine "gedeihliche Zusammenarbeit" über den 30. Juni 2024 hinaus hält die KV denn auch für "kaum denkbar". Schuld sei die Klinik, die für eine entsprechende Atmosphäre gesorgt habe. Man sehe dies als Chance, an einem neuen Standort einen Neustart machen zu können. "Wer keinen kinderärztlichen Bereitschaftsdienst an seinem Standort mehr haben will, muss ihn schon bald nicht mehr ertragen."
Ärzte wollen Tür an Tür mit Klinik bleiben
Kinderarzt Markus Landzettel, der den Aushang mitverfasst hat, wäre es am liebsten, alles würde sich beruhigen und man könne dort bleiben, wo man ist. "Es ist ja unsere zentrale Forderung, den Notdienst Tür an der Tür mit der Kinderklinik zu haben." Das sei im Interesse aller. "Ich verstehe es nicht", sagt der Mediziner. "Wenn wir geöffnet haben, halten wir doch der Klinik den Rücken frei."
An Ärzten und Ärztinnen fehle es nicht, betont Landzettel. "Das Problem ist der Mangel an medizinischen Fachangestellten." Deren Bezahlung und Arbeitsbedingungen seien schlecht. Zudem habe seit Corona die Aggressivität gegenüber den Mitarbeitern stark zugenommen. Zeitweise seien Sicherheitsleute im Einsatz gewesen, um das Personal zu schützen.
Standards früher übererfüllt
Die einstigen Öffnungszeiten seien überdies länger gewesen, als es üblich sei. Der Notdienst sei einmal ein Vorzeigeprojekt gewesen. "Momentan erfüllen wir die hessischen Standards." Landzettel ist überzeugt, dass sich die Klinik – gerade angesichts der Resonanz in der Öffentlichkeit – einen Bärendienst erweist, wenn sie die Kündigung nicht zurücknimmt.
"Die Klinik hat uns rausgeschmissen – das ist das, woran man sich in einigen Jahren erinnern wird", glaubt der Mediziner. Sollte außerdem der Notdienst aus Darmstadt verschwinden, so werde sich an der Situation der Klinik nichts verbessern. "Die Leute werden ihr wie gewohnt die Bude einrennen, auch wenn wir nicht mehr da sind."
Mutter: "Das versetzt einen in Panik"
Die Angst der Eltern dürfte der eskalierende Streit jedenfalls kaum schmälern. Erst kürzlich wollte Kerstin Wesp, dreifache Mutter aus Darmstadt, den Kinderärztlichen Notdienst aufsuchen, weil ihr kleiner Sohn 40 Grad Fieber hatte. Doch sie wurde an den ärztlichen Bereitschaftsdienst im Klinikum Darmstadt verwiesen.
"Ich finde das problematisch, weil man dort lange warten muss und man dort ja keine Kinderärzte vor sich hat." So könne es vorkommen, dass dort gerade eine Frauenärztin Dienst hat. Allgemeinärzte seien eben nicht auf Kindermedizin geschult. "Ich finde es ein Unding, dass das in Darmstadt so mit uns gemacht wird."
Schon jetzt empfindet sie die eingeschränkten Öffnungszeiten des Pädiatrischen Bereitschaftsdienstes, wie der Kinderärztliche Notdienst inzwischen offiziell heißt, als gravierend. Sie mag sich gar nicht ausmalen, wie es wäre, würde er komplett verschwinden. "Das versetzt einen als Mama schon ein bisschen in Panik."
Auch Oberbürgermeister informiert
Diese Angst dürfte so viele Menschen dazu veranlasst haben, die Internetpetition zu unterzeichnen. Darin wird an die Solidarität aller Eltern appelliert, aber auch die Politik aufgefordert, sich für eine Lösung einzusetzen.
Auch die Klinik spricht sich für den Erhalt eines Kinderärztlichen Notdienstes in Darmstadt aus, eben nur an anderer Stelle. Bis zum Inkrafttreten der Kündigung dauere es noch fast ein Jahr. Diese Zeit wolle man mit der Stadt und den niedergelassenen Kinderärzten nutzen, um eine tragfähige Lösung zu finden. Unterdessen sei die Notfallversorgung an der Kinderklinik gewährleistet.
Sendung: hr4, 26.7.2023, 16.30 Uhr
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