Erdbebenhilfe Warum es so schwer ist, Angehörige nach Hessen zu holen
Viele Hessinnen und Hessen wollen ihre Geschwister, Eltern oder Großeltern aus dem Erdbebengebiet zu sich holen. Doch obwohl sie bereit sind, für sie zu bürgen und für die Kosten aufzukommen, verzweifeln sie an den bürokratischen Hürden.
Die Eltern der Hanauerin Gülhan Bilicis hatten großes Glück. Das Paar, 72 und 80 Jahre alt, wurde lebend aus einem kleinen Loch ihres zertrümmerten Hauses in Göksun in der Provinz Kahramanmaraş gerettet.
Mittlerweile sind die beiden Senioren in der Wohnung eines Bekannten untergekommen. Dort leben sie mit 20 weiteren Menschen, die aufgrund des Erdbebens obdachlos geworden sind.
Gülhan Bilici hält telefonisch den Kontakt: "Es geht ihnen psychisch nicht gut, sie stehen unter Schock. Mein Papa fragt ständig nach seinen Sachen, er hat noch nicht verstanden, dass sie alles verloren haben."
Deshalb würde Gülhan Bilici Mutter und Vater gerne zu sich nach Hanau holen: "Hier wären sie in Sicherheit, bei uns ist es warm. Ich könnte sie in den Arm nehmen. Das würde mich sehr freuen."
Hoffnung machte Gülhan Bilici eine Ankündigung der Bundesregierung am Montag. Versprochen wurde ein vereinfachtes Visa-Verfahren: Verwandte sollen ihre Angehörigen aus dem Erdbebengebiet unkompliziert zu sich holen können.
Bundesregierung: Vereinfachte Visa-Verfahren
Das Personal in den Auslandvertretungen in der Türkei wurde aufgestockt, Visa-Anträge sollen in fünf statt wie bisher 15 Tagen bearbeitet werden. Außerdem werden die Visa-Termine in der Türkei mittlerweile landesweit vergeben.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) knüpfte an diese vereinfachten Visa allerdings direkt mehrere Bedingungen: "Es geht darum, dass man die engsten Verwandten vorübergehend nach Deutschland holen kann. Es muss auch dafür gesorgt werden, dass der Lebensunterhalt bezahlt wird."
"Bereit, alles zu unterschreiben"
Nur enge Verwandte, vorübergehend und auf eigene Kosten. Für Gülhan Bilici wäre das alles kein Problem: "Ich bin bereit, alles zu unterschreiben. Es geht wirklich nur um ein paar Monate, ich würde auch für alles zahlen."
Dazu sind viele Angehörige in Deutschland bereit. Doch das vermeintlich vereinfachte Visum scheitert an anderen Hürden. Denn die Liste der bürokratischen Voraussetzungen ist lang.
Innenministerin Nancy Faeser sagt dazu: "Wir wollen eine schnelle Hilfe gewährleisten. Trotzdem müssen wir natürlich darauf achten, wer zu uns kommt." Wenn ein Pass nicht vorhanden sei, gebe es eine Vereinbarung mit den türkischen Behörden. Außerdem habe das Auswärtige Amt im Erdbebengebiet zwei Visa-Stellen eingerichtet.
"Diese Voraussetzungen sind eine Farce"
Ein vereinfachtes Visa-Verfahren und die Bemühungen der Bundesregierung begrüßt Enis Gülegen. Er ist Vorsitzender des Ausländerbeirats Hessen. Die Liste der erforderlichen Dokumente sei für ihn trotzdem eine Farce.
"Wie sollen denn Menschen, die ihr Haus, die ihr Hab und Gut verloren haben, die nichts besitzen, außer den Kleidern, die sie anhatten, als sie aus den Häusern gerettet wurden, diese Papiere vorzeigen können?", fragt Gülegen.
Für Betroffene aus Syrien ist es noch schwieriger: Sie müssen in ein Nachbarland reisen, um bei einer deutschen Auslandsvertretung ein Visum zu beantragen.
Enis Gülegen vermutet, dass unter diesen Bedingungen kaum jemand von dem vereinfachten Visum Gebrauch machen kann und fordert, dass diese überarbeitet werden: "Sie müssen an die Realität vor Ort angepasst werden."
Das will Gülhan Bilici nicht abwarten. Sie ist bereits in die Türkei gereist, um ihren Eltern mit neuen Pässen und dem Visum zu helfen, und um sie dann für ein paar Wochen oder Monate zu sich zu holen
Sendung: hr-fernsehen, hs extra, 15.02.2023, 20.15 Uhr
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