Flughafen Frankfurt 40 Jahre Startbahn West - wie der Protest bis heute nachwirkt

Vor 40 Jahren wurde die Startbahn West am Frankfurter Flughafen in Betrieb genommen - unter am Ende tödlichem Protest. Der Konflikt um das umstrittene Infrastruktur-Projekt wirkt bis heute nach.

Startbahn West
Umstritten und umkämpft: Die Startbahn West am Frankfurter Flughafen. Bild © picture-alliance/dpa
Videobeitrag

40 Jahre Startbahn West – wie der Protest bis heute nachwirkt

hs 12.04.2024
Bild © hessenschau
Ende des Videobeitrags

Der Startschuss fällt nüchtern aus. Kein Festakt, keine großen Reden, dafür jede Menge Polizeischutz. "Meine Damen und Herren, Sie haben soeben den ersten Start auf der 18 West miterlebt", verkündet ein Sprecher des Frankfurter Flughafens am 12. April 1984. Einige Minuten zuvor - genau um 9.26 Uhr - ist der Lufthansa-Airbus "Lüneburg" in Richtung Paris abgehoben. "Damit", erläutert der Flughafensprecher weiter, "ist ein in der öffentlichen Meinung, zugegeben, umstrittenes Verkehrsprojekt in Betrieb genommen worden."

Es ist die vielleicht stärkste Untertreibung bei einer von vornherein auf Understatement ausgelegten Veranstaltung. Tatsächlich aber ist die Eröffnung der Startbahn West am Frankfurter Flughafen in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein. Bereits 19 Jahre zuvor beantragte die Frankfurter Flughafengesellschaft den Bau einer neuen dritten Startbahn, um der steigenden Passagierzahlen Herr werden zu können.

"In einem Industrieland wie der Bundesrepublik Deutschland ist der Luftverkehr eine der wichtigsten Voraussetzung zur Sicherung wirtschaftlicher Zukunft", befindet der damalige hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD). Doch dieses Argument überzeugt beileibe nicht alle. Und so haben sich die - teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen - um den Bau der Startbahn West bis heute in Hessens kollektives Gedächtnis gebrannt.

Protest von Beginn an

Umstritten ist das Infrastrukturprojekt quasi vom ersten Tag an. Denn für die neue Startbahn müssen 195 Hektar Wald beziehungsweise 370.000 Bäume weichen. 15 Jahre lang beschäftigt der Rechtsstreit zwischen Befürwortern und Gegnern die deutsche Justiz. Als die Richter schließlich grünes Licht für den Bau der vier Kilometer langen Betonpiste geben, hat sich die Auseinandersetzung längst von den Gerichtssälen auf die Straße verlagert - und in den Wald.

Schwarz-weiß-Fotografie: Links eine Front von Polizisten mit Helm, rechts Demonstranten
Demonstration gegen Startbahn-West, 1981 Bild © Barbara Klemm, Historisches Museum Frankfurt am Main

Bereits in den frühen 1970er-Jahren bilden sich vor allem in den Gemeinden rund um den Flughafen Protestgruppen und Bürgerinitiativen gegen die Startbahn West. Doch die Proteste auf der Straße kann die SPD-geführten Landesregierungen dieser Zeit ebenso wenig umstimmen wie später ein Volksbegehren, das 220.000 Unterschriften sammelt.

Ab Mai 1980 errichtet eine Bürgerinitiative eine Hütte im geplanten Rodungsgebiet, um Spaziergängerinnen und Spaziergänger über ihr Anliegen zu informieren - die Keimzelle des späteren Hüttendorfs.

Spätere Landespolitiker mit dabei

Als der Hessische Verwaltunsgerichtshof am 21. Oktober 1980 den Bau der Startbahn West endgültig für zulässig erklärt, spitzt sich der Protest zu. Nach den ersten Rodungsarbeiten im November protestieren 15.000 Menschen auf dem Gelände. Kurz darauf entsteht rund um die Hütte der Bürgerinitiative das als "Hüttendorf" bekannte Protestcamp der Ausbaugegner.

Dieses wird zum Ausgangspunkt regelmäßiger Protestspaziergänge - und bietet Infrastruktur für Kulturveranstaltungen und längere Aufenthalte. Schnell wird klar: Die Besetzer sind gekommen um zu bleiben.

Polizisten gehen im Wald gegen Demonstranten vor
Startbahn-West: Polizisten gehen im Wald gegen Demonstranten vor Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

"Die Stimmung war gut", erinnert sich Dirk Treber. Es wird gemeinsam gesungen, gegessen und musiziert. Treber sitzt ab 1982 als einer der ersten Grünen im hessischen Landtag. Bereits zehn Jahre zuvor ist er mit seiner Frau Wilma Frühwacht-Treber in der Bewegung gegen den Ausbau der Startbahn aktiv. Treber ist nicht der einzige Grünen-Politiker, der sich seinerzeit an den Startbahn-West-Protesten beteiligt. Unter den Demonstranten befinden sich nach eigenem Bekunden mit Tarek Al-Wazir und Priska Hinz auch zwei spätere Mitglieder schwarz-grüner Landesregierungen.

Als das Hüttendorf genau ein Jahr nach den ersten Protesten im Mörfelder Wald am 2. November 1981 geräumt wird, wird der Protest gegen die Startbahn West endgültig zur Massenbewegung. Hausfrauen, Pfarrer, Schülerinnen und Schüler, Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligen sich. Eine "Allianz von Langhaarigen und Grauhaarigen", wie es seinerzeit mit leicht ironischem Unterton heißt. Zwei Wochen nach der Räumung demonstrieren 150.000 Menschen in Wiesbaden - bis heute die größte Demonstration in der Geschichte Hessens.

Weitere Informationen

Die Startbahn West in Zahlen

Die Startbahn West ist 60 Meter breit und knapp 4.000 Meter lang. Im Jahresdurchschnitt heben aktuell etwa 126.000 Flugzeuge von hier ab. Die Bezeichnung "18 West" wird von der Lage bestimmt: 18, weil die Bahn exakt in Richtung Süden - nach dem Kompass also in Richtung 180 Grad - ausgerichtet ist. "West", weil sie westlich der Terminals liegt.

Ende der weiteren Informationen

Tödliche Schüsse auf Polizisten

"Der Startbahn-West-Konflikt markierte einen bedeutenden Kristallisationspunkt für die Umweltbewegung in Deutschland in den frühen 80er-Jahren", sagt Nils Güttler, Wissenschafts- und Umwelthistoriker an der Universität Wien. Doch es ist auch der Auftakt zu sich immer weiter aufschaukelnder Gewalt zwischen Polizei und Demonstranten. Im Zentrum der Kritik steht zunächst der rabiate Einsatz der Ordnungshüter gegen die Waldbesetzer, der zu zahlreichen Verletzten führt.

Gedenkkreuze für getötete Polizisten
Angehörige der Bereitschaftspolizei errichten am 2.11.87 ein Gedenkkreuz für ihre ermordeten Kollegen. Bild © picture-alliance/dpa

Doch auch beim militanten Teil der Startbahn-Gegner schreckt man nicht vor Gewalt zurück. Immer wieder werden Flugsicherungseinrichtungen zum Ziel von Brandanschlägen. Bis zur Eröffnung der Startbahn West geht der Schaden in die Millionen. Eine erneute Besetzung des Ausbaugeländes scheiterte nicht zuletzt daran, dass sich die Umweltaktivisten über die Frage des Gewaltverzichts zerstritten.

Audiobeitrag
Bild © picture-alliance/dpa| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Ihren tödlichen Höhepunkt erreichen die Proteste allerdings drei Jahre nach der Inbetriebnahme der Startbahn. Bei einer Demonstration anlässlich des Jahrestages der Hüttendorf-Räumung wird aus der Demonstration heraus auf 14 Polizisten geschossen. Zwei Beamte sterben. Der Täter, Andreas E., wird zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Mordanschlag markiert zugleich das Ende der Protestbewegung.

Vorbild für Klimabewegung

"Die Startbahn hat uns und die Öffentlichkeit mehr als eine Generation beschäftigt", sagt der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Flughafengesellschaft (FAG), Erick Becker, bei der Eröffnung 1984. Inzwischen haben zwei weitere Generationen das Erwachsenenalter erreicht. Doch der Konflikt um die Startbahn West wirkt fort bis in die Gegenwart.

"Die aktuellen Klimaproteste haben viele Protestformen von damals übernommen, oft unbewusst, etwa durch Camps oder der Besetzung von Flächen", sagt Wissenschaftler Güttler. "Bei fast jeder Straße, die gebaut wird, werden von Anfang an Umwelt- und Ökologie-Aspekte berücksichtigt." Auf diese Weise sollen ähnliche Proteste antizipiert werden, erklärt er.

Weitere Informationen

Redaktion: Danijel Majic, Malena Menke

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 12.04.2024, 19.30 Uhr

Ende der weiteren Informationen
Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbestellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars

Quelle: hessenschau.de, mit Material von Roman Warschauer, Ursula Mayer und Dunja Sadaqi (hr), dpa/lhe