Frankfurter Drogenpolitik Mieter erfahren zufällig von geplantem Crack-Suchthilfezentrum
Frankfurt will die offene Drogenszene im Bahnhofsviertel mit einem neuen Suchthilfezentrum für Crack-Abhängige in den Griff bekommen. Allerdings ist das Gebäude, in dem es entstehen soll, noch teilweise vermietet - und die Mieter wurden bislang nicht informiert.
Im südwestlichen Teil der Frankfurter Niddastraße rumpeln Rollkoffer über den Asphalt. Junge Männer stehen in wenigen Metern Abstand von einander Spalier und bieten den Passanten mit einem leise geflüsterten "Weed?" Cannabis zum Kauf an. Die Sparkassenfiliale an der Ecke hat ihre Schaufenster mit Pressspahnplatten verbarrikadiert. Zu oft sind sie schon eingeschlagen worden. Alles in allem ist dies der "ruhige" Abschnitt der Niddastraße. Bislang zumindest.
Mit den Mietern hat noch niemand gesprochen
Denn genau hier soll ein neues Suchthilfezentrum speziell für Crack-Abhängige entstehen. Am Donnerstag vergangener Woche verkündete das Sozialdezernat, dass man nach langer Suche endlich ein passendes Objekt gefunden habe.
Im Haus Niddastraße 76 - einer fünfgeschossigen Gewerbeimmobilie aus der Gründerzeit - sollen Hilfsangebote, Übernachtungsmöglichkeiten aber auch Konsumräume zusammengefasst werden. Das Problem dabei: Das Gebäude ist noch teilweise vermietet. Und mit den Mietern hat bislang noch niemand gesprochen.
"Wir sind gestern ziemlich vor den Kopf gestoßen worden und wissen auch überhaupt nicht, wie wir das einordnen sollen", sagt Paale Lüdcke, der zusammen mit seinem Kollegen Tobias Friedberg seit sechs Jahren im Dachgeschoss der Niddastraße 76 auf 300 Quadratmetern eine Bürogemeinschaft betreibt. Kreative und andere Freiberufler können hier Arbeitsräume mieten.
Per Zufall informiert
Rund 100.000 Euro haben Lüdcke und Friedberg in Renovierung und Umbau der Räumlichkeiten gesteckt. Eine Investition in die Zukunft, die jedoch bald schon wertlos werden könnte, wenn hier ein Suchthilfezentrum einzieht. Von den Plänen der Stadt haben die beiden Unternehmer derweil nur per Zufall erfahren, sagen sie.
Ein Freund habe ihn am Donnerstagabend kontaktiert, berichtet Friedberg: "Der hat dann gefragt: Bei Euch kommt ein Suchthilfezentrum ins Haus? Und ich war so: Wie? Keine Ahnung. Und dann hat er mir einen Screenshot von der Pressemitteilung geschickt. Ich war natürlich erstmal ein bisschen geschockt."
Noch überraschter als Lüdcke und Friedberg sind die zweiten verbliebenen Mieter - die Betreiber eines alteingesessenen Yoga-Studios. Einen Tag nachdem das Sozialdezernat öffentlich verkündete, einen passenden Standort für das Crack-Suchtzentrum gefunden zu haben, erfuhren sie durch eine Anfrage des hr davon.
Magistrat soll vor den Sommerferien entscheiden
Die Kommunikationsstrategie des Sozialdezernats wirft Fragen auf. Denn tatsächlich ist das von Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne) seit langem forcierte Crack-Suchthilfezentrum noch alles andere als in trockenen Tüchern. Über Anmietung oder Kauf des Gebäudes muss nämlich erst noch der Magistrat entscheiden - auch wenn das Dezernat mit dem Eigentümer des Gebäudes schon einig sein mag.
Auf hr-Anfrage erklärt ein Sprecher des Dezernats, dass man den entsprechenden Magistratsbeschluss derzeit vorbereite. Angestrebt werde, dass dieser noch vor Beginn der Sommerferien erfolgen soll.
Solange der Beschluss jedoch noch nicht gefällt worden sei, könnten auch die Mieter noch nicht informiert werden. Schließlich habe man noch keine rechtliche Handhabe. Dennoch habe man die Öffentlichkeit frühzeitig über den geplanten Standort des Crack-Suchtzentrums informieren wollen, so der Dezernatssprecher weiter. Im Übrigen sei es nicht Aufgabe des Dezernats die Mieter zu informieren, sondern des derzeitigen Eigentümers.
Szene soll in einem Gebäude konzentriert werden
Die Stadt erhofft sich, durch das neue Suchtzentrum, die Crack-Szene im wahrsten Sinne des Wortes von der Straße zu holen. Derzeit ist der nordöstliche Teil der Niddastraße das Epizentrum der Crack-Epidemie im Frankfurter Bahnhofsviertel. Insbesondere an der Ecke Nidda- und Moselstraße konzentriert sich die offene Drogenszene. Im Vorfeld der Fußball-EM 2024 hatten britische Boulevard-Blätter dem Areal den Schmähnamen "Zombieland" verpasst.
Das Sozialdezernat setzt nun darauf, die Crack-Szene in einem Gebäude zu konzentrieren, wo die Suchtkranken nicht nur konsumieren können, sondern auch für Hilfsangebote erreichbar sind. Das Konzept überzeugt allerdings nicht alle in der Stadt. Die Frankfurter CDU etwa - derzeit in der Stadtverordnetenversammlung in der Opposition - befürchtet, dass dadurch noch mehr Drogenabhängige von Außerhalb nach Frankfurt gelockt werden.
Ähnlich skeptisch äußern sich künftige Nachbarn des Suchthilfezentrums. Ein Geschäftsmann, der seit 42 Jahren sein Büro in einem Nachbargebäude betreibt, befürchtet ähnliche Zustände wie im nordöstlichen Teil der Niddastraße: "Da wo Cracksüchtige sind, da kommen auch die Dealer hin. Und wenn die Dealer kommen, kommen wieder neue Leute, die Crack kaufen wollen. Das ist ein Kreislauf. Wenn man den nicht unterbindet wird es mehr."
Dezernat will Mietern kündigen
Tobias Friedberg von der Bürogemeinschaft in der Niddastraße 76 hingegen findet die Idee des Crack-Hilfezentrums richtig. Auch die Standortwahl findet er grundsätzlich nachvollziehbar: "Ich denke, von der Lage her ist es ziemlich gut gelegen", sagt Friedberg. Wir sind hier nah an den Brennpunkten, aber auch ein Stück weit raus aus dem Teil des Bahnhofsviertels, wo man auch wohnt."
Paale Lüdcke sieht das ähnlich. Die Kommunikationsstrategie des Sozialdezernats kann er dennoch nicht nachvollziehen. "In der Pressemitteilung haben wir viel von Transparenz gelesen und dass man deswegen früh kommuniziert. Aber eben diese Transparenz würde ich mir eigentlich auch gegenüber uns wünschen."
Zumal ihr derzeitiger Mietvertrag für fünf Jahre abgeschlossen sei - mit der Option auf eine Verlängerung um weitere fünf Jahre. Das Sozialdzernat hingegen erklärt auf Anfrage, dass sobald das Gebäude gemietet oder gekauft sei, allen verbliebenen Mietern gekündigt werden solle. Da es sich um eine Gewerbeimmobilie handele, betrage die Kündigungsfrist nur drei Monate.