Frankfurter Ausländerbehörde Keine Arbeit, keine Wohnung: Was die 15.000 unbeantworteten E-Mails bedeuten
Bei der Frankfurter Ausländerbehörde haben sich 15.000 unbeantwortete E-Mails angestaut. Dahinter stecken hunderte Einzelschicksale: Studierende, Berufstätige, Geflüchtete, Familien. Sie alle berichten von einem Gefühl der Frustration und Verzweiflung.
Eine Dienstaufsichtsbeschwerde der Commerzbank gegen die Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt hat ans Licht gebracht, wie massiv überlastet das Amt derzeit ist: 15.000 E-Mails warten auf Antworten. Dahinter stehen hunderte Menschen, die nicht wissen, wie es weitergeht, die um ihre Existenz fürchten oder einfach nur frustriert sind.
Die Wissenschaftlerin aus der Türkei, die ihren Job an der Universität nicht antreten konnte. Die Eltern, die sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen. Der 23-Jährige aus dem Kongo, der in der Ukraine studiert hatte und in Deutschland sein Studium fortsetzen will, aber keinen Deutschkurs besuchen kann. Der Postzusteller, der nicht arbeiten darf, obwohl seine Firma ihn braucht. Der Rechtsanwalt, der seine Verhandlung in Den Haag verpasst, weil er nicht reisen darf.
Was alle diese Menschen von der Frankfurter Ausländerbehörde berichten, ist ähnlich: E-Mails blieben unbeantwortet, bei der Hotline sei niemand erreichbar und vor Ort gebe es keinen Einlass ohne Termin - doch Termine seien oft monatelang nicht zu bekommen.
Die Wissenschaftlerin aus der Türkei
Eine von ihnen ist Tuba Gündem. "Ich habe an einem Tag 100 Mal angerufen, wirklich 100 Mal. Erst dann hat jemand abgenommen", sagt sie. Die Türkin lebt inzwischen seit drei Jahren in Frankfurt und hat sechs Besuche bei der Ausländerbehörde hinter sich. "Es war immer kompliziert", sagt sie. Weil niemand mit ihr habe Englisch sprechen können, zum Beispiel. "Aber es war nie so schlimm wie beim letzten Mal".
Im März dieses Jahres schloss Gündem ihren Master in Physik an der Goethe-Universität ab, damit endete ihre studentische Aufenthaltsgenehmigung. Inzwischen hat sie zwar begonnen, am Institut für Kernphysik zu promovieren und in Teilzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu forschen - das alles jedoch vier Monate später als geplant.
Ein Monat auf dem Sofa schlafen
"Ich brauchte eine neue Aufenthaltsgenehmigung, um den Vertrag mit meinem Institut zu unterschreiben", sagt sie. Doch auf ihre E-Mail an die Ausländerbehörde sei keine Antwort gefolgt. Kein Termin, keine neue Aufenthaltsgenehmigung. Gündem musste mit dem Ende ihres Studiums das Studentenwohnheim verlassen, in dem sie lebte. "Ohne Aufenthaltsgenehmigung findet man keine neue Wohnung", sagt sie. Sie habe in dieser Zeit auf dem Sofa eines Freundes geschlafen.
Nach einem Monat Warten auf eine Antwort aus der Ausländerbehörde habe sie sich an die Universität gewandt. "Die haben sich eingeschaltet und daraufhin hat sich die Behörde bei mir gemeldet." Bis Gündem ihre neue Aufenthaltsgenehmigung erhalten und sie so den Vertrag mit dem Institut unterschrieben habe, seien weitere drei Monate vergangen, in denen schließlich auch ihre sogenannte Fiktionsbescheinigung abgelaufen sei. "Eine Woche lang hatte ich gar keine Papiere, um zu bestätigen, dass ich in Deutschland sein darf", erzählt sie.
Das Gefühl, nicht willkommen zu sein
Gündem sagt, die Ausländerbehörde sei der einzige Ort, an dem sie in Deutschland bislang Probleme gehabt habe. "Aber das beeinflusst alles: deine Arbeit, deine Versicherungen, deine Wohnsituation." Sie habe sich nicht willkommen gefühlt. "Und das ist kein gutes Gefühl."
Die bosnische Familie
Ein anderer Fall ist der einer bosnischen Familie mit zwei Kindern, das eine im Kindergartenalter, das andere in der zweiten Klasse. Ihren Namen wollen die Eltern hier nicht lesen. Beide sind berufstätig: er als Berater, sie als Apothekerin. Knapp drei Jahre lebt die Familie inzwischen mit einem Visum in Deutschland. Am 2. Dezember wird es auslaufen.
"Wir erfüllen alle Anforderungen, dass das Visum verlängert wird", sagt der Vater. "Wir sind gut integriert, sprechen Deutsch, haben Arbeit und ein ausreichendes Gehalt." Das einzige Problem: Seit drei Monaten warte die Familie auf eine Antwort von der Ausländerbehörde. Inzwischen habe er mindestens 30 E-Mails verschickt. "Auch mein Arbeitgeber, die Schule meines Sohnes und der Kindergarten meiner Tochter, alle haben versucht, dort anzurufen, aber man kann niemanden erreichen".
Automatische Weiterleitung in der Hotline
Wenn man die Hotline der Ausländerbehörde anrufe, müsse man für Visumsangelegenheiten die Nummer 6 wählen. "Bei der Nummer 6 gibt es aber direkt eine automatische Weiterleitung, da kann man niemanden persönlich sprechen", sagt er.
Besonders belastend für die Eltern sei die Situation der Kinder. Niemand habe ihnen sagen können, was passiere, wenn das Visum in wenigen Tagen wirklich auslaufe. Ob der Sohn von einem Tag auf den anderen nicht mehr zur Schule gehen dürfe. "Die Kinder wissen nichts davon", sagt der Vater. Über eine Beratungsstelle habe sich die Familie einen Anwalt genommen, doch der früheste Termin bei ihm sei am 2. Dezember.
Der Student, der aus der Ukraine geflüchtet ist
Auf einen Termin bei der Ausländerbehörde wartet auch Jonathan Kanyinda noch immer, inzwischen seit rund fünf Monaten. "Aktuell bin ich einfach nur noch verzweifelt", sagt der 23-Jährige aus der Demokratischen Republik Kongo. Bis zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine hatte er dort Betriebswirtschaftslehre studiert. Anfang März kam er nach der Flucht aus der Ukraine mit einer Gruppe anderer ausländischer Studierender bei einem Frankfurter Pfarrer unter.
Für die Geflüchteten aus Drittstaaten gelten andere Regelungen als für Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft. Nach einer visumsfreien Übergangszeit brauchen sie eine Aufenthaltsgenehmigung, um in Deutschland zu bleiben. Kanyinda wollte bleiben, um wieder an die Universität zu gehen. "Ich will unbedingt mein Studium fertig machen", sagt er.
Keine Antwort, kein Termin
Da seine Deutschkenntnisse dafür noch nicht reichten, habe er sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr beworben. Im August habe er den Vertrag bekommen und der Ausländerbehörde geschickt. Seitdem: keine Antwort, kein Termin.
"Am 30. November wird mein Vertrag annulliert", sagt er. "Ohne Aufenthaltsgenehmigung kann ich nichts machen", sagt er, "nicht mal einen Sprachkurs". Er verbringe die Tage nun damit, YouTube-Videos zu schauen, um etwas Deutsch zu lernen.
Der Postzusteller ohne Visum
Das Deutsch sprechen fällt auch Nadeem M. noch nicht leicht, deshalb hilft sein ehemaliger Vorgesetzter Bülent Tuzcuoğlu beim Übersetzen. Ehemaliger Vorgesetzter deshalb, weil M. seit August 2021 keine Aufenthaltsgenehmigung mehr hat, mit der er arbeiten darf.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der inzwischen 51 Jahre alte Pakistaner mit einem Arbeitsvisum in der privaten Logistikfirma in Frankfurt gearbeitet. Er sei immer zuverlässig und arbeitswillig gewesen, sagt Tuzcuoğlu über seinen ehemaligen Mitarbeiter. "Es ist ein harter Job: Fahrrad fahren, draußen sein - das ist nicht jedermanns Sache". So habe er Probleme, Mitarbeitende zu finden.
"Wir sind nie durchgekommen"
Nadeem M. habe bereits etwa ein halbes Jahr vor Ablauf seines Visums, im Januar 2021, eine Arbeitsbescheinigung bei der Ausländerbehörde eingereicht, erzählt Tuzcuoğlu. "Die Behörde hat aber nichts gemacht. Wir haben versucht anzurufen und sind nie durchgekommen."
Ohne die Rückmeldung der Ausländerbehörde sei die Arbeitserlaubnis im August 2021 dann erloschen. "Weil er es nicht besser wusste, hat er sich auch nicht direkt arbeitslos gemeldet", sagt Tuzcuoğlu. Auch einen Anwalt habe M. inzwischen hinzugezogen, den er selbst zahle, ebenso wie die private Krankenversicherung. Wie er die Kosten zum täglichen Leben noch bewerkstellige? "Mit der Hilfe von Freunden", sagt der 51-Jährige.
Angst vor der Behörde
Tuzcuoğlu berichtet davon, dass Nadeem M. nicht der einzige Fall dieser Art in der Firma sei. Ein anderer Mitarbeiter stecke nun in Pakistan fest und könne nicht zum Arbeiten zurückkehren, wegen ähnlicher Probleme mit der Ausländerbehörde. "Die beiden sind wirklich verzweifelt", sagt Tuzcuoğlu. Er merke ihnen an, dass sie inzwischen regelrechte Angst vor der Behörde entwickelt hätten.
Der Anwalt, der sich selbst einen Anwalt nimmt
Das Personal bei der Ausländerbehörde habe er immer freundlich erlebt, sagt Shengming Zhang. "Das Personal zu erreichen, ist die Schwierigkeit", sagt der Rechtsanwalt aus China. Er habe sich mit einem Visum in Frankfurt aufgehalten, das Ende August dieses Jahres auslaufen sollte.
"Ich habe etwa 70 E-Mails geschrieben und keine Antwort bekommen", sagt er. Auch bei der Hotline habe er es versucht. Zumindest eine Fiktionsbescheinigung habe er erhalten wollen, um beruflich ins Ausland reisen zu können. Im niederländischen Den Haag habe er dann im Oktober einen wichtigen Fall mit Bezug zu Russland verhandeln müssen. "Die Verhandlung habe ich verpasst", erzählt Zhang.
"In Deutschland eingesperrt"
"Ich verstehe, dass es Personalengpässe gibt", sagt Zhang. Die gebe es derzeit schließlich überall. Trotzdem müsse es möglich sein, Termine zu bekommen. Als internationaler Anwalt sei er auf Dienstreisen angewiesen. "Dieses Warten hat mich in Deutschland eingesperrt".
Ende Oktober habe der Rechtsanwalt sich dann selbst einen Anwalt genommen. Danach sei es - für die Verhältnisse der Behörde - ganz schnell gegangen. Innerhalb von zwei Wochen habe er eine Antwort erhalten.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 29.11.2022, 19.30 Uhr
Ende der weiteren Informationen