Gericht über Frankfurter "Itiotentreff" Polizist durfte trotz 13 Neonazi-Chatnachrichten nicht suspendiert werden

Ein Teilnehmer des rechtsextremen Frankfurter Polizei-Chats "Itiotentreff" darf vorerst wieder als Polizeibeamter arbeiten. 13 verschickte Bilder und Videos, die den Anschein einer Nazi-Gesinnung erwecken, reichen dem Verwaltungsgericht Wiesbaden für eine Suspendierung nicht aus.

Die Grafik zeigt eine Hand, wie sie ein Mobiltelefon in der Hand hält, auf dem rechtsextreme Nachrichten zu sehen sind.
Die rechtsextremen Inhalte wurden in einer internen Chatgruppe verschickt. Bild © hessenschau.de

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden setzte die Zwangsbeurlaubung eines Frankfurter Polizisten aus, wie das Gericht am Montag mitteilte. Der Beamte des 1. Frankfurter Polizeireviers war laut Gericht Teilnehmer der rechtsextremen Chatgruppe "Itiotentreff" und hatte gegen seine Suspendierung geklagt.

In der Chatgruppe sollen Darstellungen von Adolf Hitler, Hakenkreuze und weitere nationalsozialistische Symbole sowie Verharmlosungen des Holocausts geteilt worden sein.

Klage gegen Zwangsbeurlaubung

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hatte gegen die Chat-Teilnehmer ermittelt, das Polizeipräsidium Frankfurt leitete unter anderem gegen diesen Beamten Ende 2018 ein Disziplinarverfahren ein.

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Er wurde im Mai 2022 zwangsbeurlaubt in der Annahme, dass das Disziplinarverfahren mit einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis enden wird. Dagegen wehrte sich der Beamte - mit Erfolg.

13 Verstöße gegen beamtenrechtliche Kernpflicht

Ihm war laut Verwaltungsgericht vorgeworfen worden, über 150 Bild- und Videodateien mit ausländerfeindlichem, rassistischem, antisemitischem und gegenüber Behinderten und Andersgläubigen abfälligem Inhalt versendet, kommentiert und gespeichert zu haben, heißt es in der Mitteilung.

Doch allein bei 13 von dem Polizisten versendeten Bild- und Videodateien sah das Gericht "einen Verstoß gegen die beamtenrechtliche Kernpflicht, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzustehen".

Diese Dateien erweckten laut Gericht "den Anschein, der Beamte sympathisiere mit dem Nationalsozialismus beziehungsweise wolle diesen zumindest massiv verharmlosen und weise eine rassistische Gesinnung auf".

Gericht: Übrige Vorwürfe von Meinungsfreiheit gedeckt

Teilen der übrigen Vorwürfe stehe die Meinungsfreiheit entgegen, urteilte das Gericht. Sie schütze in einem demokratischen Rechtsstaat "grundsätzlich auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen".

Bei den übrigen über 100 Dateien konnte das Gericht nicht erkennen, dass sie der Polizist "gezielt und bewusst vorrätig gehalten" habe. Allein der bloße Besitz sei "kein verwerfbares Fehlverhalten".

Insgesamt lasse sich eine verfassungsfeindliche Gesinnung des Beamten auf dieser Grundlage zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen. Gegen den Beschluss könne am Hessischen Verwaltungsgerichtshof Beschwerde eingelegt werden.

Kritik an Arbeit der Ermittler

Das Verwaltungsgericht rügte in seinem Urteil die Ermittlungen der Polizei in diesem Fall. So seien der Kontext der Chat-Inhalte des Beamten, dessen sonstiges Kommunikationsverhalten und eventuelle Auswirkungen auf seine Dienstausübung nicht ausreichend ermittelt.

Eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis hält das Gericht daher für "nicht hinreichend wahrscheinlich". Über diese Disziplinarklage entscheidet das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem gesonderten Verfahren.

Auch gegen andere Teilnehmer des rechtsextremen Polizei-Chats "Itiotentreff" sind dort noch Disziplinarklagen anhängig. Auch in diesen Fällen waren zuvor Suspendierungen ausgesprochen worden.

Innenminister kündigt Rechtsmittel an

Hessens Innenminister Roman Poseck kündigte indes an, Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen. "Die Maßstäbe des Verwaltungsgerichts Wiesbaden halte ich persönlich für nicht überzeugend", sagte der CDU-Politiker am Montag.

"Aus meiner Sicht wird die Latte für disziplinarrechtliche Maßnahmen durch das Gericht zu hoch angelegt." Dies gelte erst recht vor dem Hintergrund des Erstarkens radikaler Kräfte im Land. "Wer rechtsextreme Inhalte teilt und verbreitet, sollte in unserer Polizei keinen Platz haben." 

Weitere Informationen

Was bedeutet das Ende des Beamtenverhältnisses bei der Polizei?

"Mit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis endet das Dienstverhältnis", teilte das hessische Innenministerium auf hr-Nachfrage im November mit. Die Beamtin oder der Beamte verliere den Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgung sowie die Befugnis, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel zu führen und die Dienstkleidung zu tragen.

"Beamtinnen und Beamte, die aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden sind, dürfen nicht wieder zur Beamtin oder zum Beamten ernannt werden. Es entsteht zu keinem Zeitpunkt ein Angestelltenverhältnis."

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"NSU 2.0"-Ermittlungen führten zur Chatgruppe

Die Satiresendung ZDF Magazin Royale um Moderator Jan Böhmermann und die Transparenz-Plattform Frag den Staat hatten den "Itiotentreff"-Chat im September 2023 in aufbereiteter und teilweise zensierter Form veröffentlicht.

Die Chatgruppe von Beamten des 1. Frankfurter Polizeireviers war bei Ermittlungen zum "NSU 2.0"-Komplex aufgedeckt worden. Vor einigen Jahren waren rechtsextreme Drohschreiben mit dieser Unterschrift an zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens versendet worden - in Anspielung auf die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

Als Verfasser wurde schließlich ein Mann aus Berlin zu einer Haftstrafe verurteilt.

Redaktion: Christian Albrecht

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de