Lange Wartezeiten in Frankfurt Zwei Jahre bis zur Bürger-Solaranlage
Bis 2035 will Frankfurt klimaneutral sein und setzt unter anderem auf Photovoltaikanlagen auf öffentlichen Gebäuden. Doch bis die Anlagen tatsächlich Strom erzeugen, können Jahre vergehen - sehr zum Ärger der Bürgerinnen und Bürger, die darin investiert haben.
Als sich Rudolf Städele ein Elektroauto kaufte, wollte er seinen höheren Stromverbrauch kompensieren. Eine Solaranlage auf dem eigenen Hausdach kam für den Frankfurter nicht in Frage. Doch er hörte von einem Bauprojekt auf dem Dach der Käthe-Kollwitz-Schule im westlichen Stadtteil Zeilsheim, an dem sich Bürgerinnen und Bürger beteiligen konnten. Den Vertrag für seinen kleinen Anteil von drei Kilowatt-Peak unterschrieb er im Mai 2021, kurz darauf überwies er die geforderten 3.390 Euro.
Seitdem sind zwei Sommer vergangen. Doch Städele und die anderen Käufer warten immer noch darauf, dass die Anlage endlich den ersten Strom produziert. Wieso es so lange dauert, habe ihm niemand sagen können. Der anfänglichen Euphorie sei Hilflosigkeit gewichen, sagt er kopfschüttelnd. "Ich frage mich, ob ich einfach nur Pech hatte, oder ob das immer so läuft."
Wartezeiten von mehr als einem Jahr seien momentan keine Seltenheit, sagt Volker Klös vom Verein Sonneninitiative, der die sogenannte Bürgersolaranlage auf der Käthe-Kollwitz-Schule geplant hat. Seit fast 20 Jahren bietet der Verein Bürgerinnen und Bürgern an, sich mit kleinen Anteilen an Photovoltaikanlagen auf Schuldächern, Kita-Gebäuden oder Schwimmbädern zu beteiligen.
400 solcher Anlagen, überwiegend in Hessen, hat der Verein schon in Betrieb genommen. Dutzende weitere sind laut Klös in Planung. Doch zuletzt seien die Wartezeiten bei der Inbetriebnahme immer länger geworden, sagt der Vereins-Geschäftsführer. "Das ist ein bundesweites Problem."
Corona und Personalmangel sind nicht die einzigen Gründe
Fragt man Klös nach den Gründen, holt er tief Luft und zählt dann fünf auf, als hätte er sie auswendig gelernt. Erstens, schlechte Vorbereitung auf die gestiegene Nachfrage nach Erneuerbaren Energien. "Wissen Sie, seit zwei Jahren gibt es nur noch ein Thema: Autarkie. Die Verbraucher wollen ihren eigenen Speicher. Das geht durch die Decke und das kriegen wir strukturell nicht mehr gemanagt." Zumal die Netzbetreiber der Städte und Gemeinden lange Zeit kein Interesse daran gehabt hätten, Infrastruktur für Eigenversorger aufzubauen. "Jetzt plötzlich ist das evident."
Zweitens, zählt Klös weiter, habe die Corona-Pandemie ebenso für Verzögerungen gesorgt wie drittens, der allgegenwärtige Personalmangel. Viertens kämen die ebenfalls bekannten Lieferschwierigkeiten bei wichtigen Bauteilen wie Chips und Schalteinrichtungen etwa aus China hinzu. Aber fünftens habe die alte Bundesregierung "ein knallhartes Eigentor geschossen", sagt der Vereins-Geschäftsführer.
Denn die Große Koalition verordnete damals, dass die Betreiber von Photovoltaikanlagen ab einer Leistung von 135 Kilowatt ein Zertifikat brauchen, das ihnen bescheinigt, die technischen Mindestanforderungen einzuhalten. Die Erstellung dauerte nach Branchenberichten Monate, weil es nur wenige Ingenieurbüros gibt, die sie ausstellen dürfen. Viele Anlagen konnten deshalb erst verspätet angeschlossen werden. Inzwischen hat die Ampel-Koalition eine Nachreichfrist von 18 Monaten eingeräumt, damit der Stau abgearbeitet werden kann.
Das alles sind Probleme, die die meisten Städte und Gemeinden in Deutschland betreffen. In Frankfurt kommen laut Klös weitere Hindernisse hinzu. Für Schritte, die in anderen Kommunen bei einem Termin erledigt würden, brauche es in Frankfurt drei, schildert er. Die Abläufe bei den Netzbetreibern, etwa der Mainova-Tochter Netze Rhein Main, seien besonders kompliziert, die Systeme veraltet. Außerdem sei die Planungsabteilung mit den vielen parallel laufenden Projekten zum Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Stadt überlastet. Und: Alte Netzanschlüsse in den Schulgebäuden müssten häufig erneuert werden, bevor die neuen Solaranlagen angeschlossen werden könnten, was zusätzlich besonders aufwendig sei.
Fünf Bauprojekte in Frankfurt warten auf Anschluss
Das Bildungs-, Immobilien- und Baudezernat der Stadt Frankfurt teilte dazu mit, aus Sicherheitsgründen sei es bei Kita- und Schuldächern, auf denen fremde Dienstleister wie die Sonneninitiative Solaranlagen installieren wollen, besonders wichtig, nach dem neuesten Stand der Technik vorzugehen und technische Mängel zu beseitigen. Nach Angaben der Stadt wurden bisher rund 70 fremdfinanzierte Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 9.731 Kilowatt-Peak errichtet. Das entspreche dem Strombedarf von etwa 1.950 Einfamilienhäusern.
Derzeit ruhen jedoch gleich mehrere Bauprojekte des Vereins Sonneninitiative. Neben der Käthe-Kollwitz-Schule in Zeilsheim handelt es sich nach Vereinsangaben um Bürgersolaranlagen auf den Dächern der Kasinoschule in Höchst, der Meisterschule in Sindlingen, der Georg-August-Zinn-Schule in Griesheim und der Liebigschule in Praunheim. Bei allen fünf Projekten müsse die in den Schulen vorhandene Elektrik saniert werden, heißt es beim Baudezernat. Auf Seiten der Netzbetreiber gebe es außerdem immer wieder Verzögerungen, die das Amt nicht beeinflussen könne.
Der Netzbetreiber Syna, der für die Anschlüsse an der Käthe-Kollwitz-, der Meister- und der Kasinoschule verantwortlich ist, teilte mit, es müssten noch neue Schaltanlagen eingebaut werden. Dazu fehle bisher eine Genehmigung vom Schulamt. Liege diese vor, könnten die Elektriker mit den Arbeiten beginnen.
Die Liebigschule verfügt laut Sonneninitiative e.V. seit Januar 2021 über eine betriebsbereite Solaranlage, doch die Arbeiten verzögerten sich, weil eine neue Trafostation gesetzt werden musste. An der Georg-August-Zinn-Schule begannen die Bauarbeiten im Juli 2020. Doch erst im März 2022 sei ein Fehler in den Unterlagen entdeckt worden, nachdem ein vorheriger Termin für den Netzanschluss vom Netzbetreiber nicht eingehalten worden sei. Erst Anfang November sei dem Verein mitgeteilt worden, dass der Anschluss nun zeitnah erfolgen solle. Zuvor müsse noch ein alter Zähler abgemeldet werden.
Netzbetreiber: "Arbeiten mit Hochdruck"
Eine Sprecherin des städtischen Energieversorgers Mainova erklärt auf Anfrage: Dass es an der Georg-August-Zinn-Schule nicht weitergehe, liege an einem fehlenden Messkonzept, das die Sonneninitiative noch nachreichen müsse. Der Anlage auf der Liebigschule fehle zwar ein Wechselrichter, doch auch ohne das fehlende Gerät sei der Betrieb nun im September genehmigt worden, weil ohnehin eine technische Sanierung an der Umspannanlage anstehe. Grundsätzlich sei der Netzdienste Rhein-Main GmbH "sehr daran gelegen, Anschlüsse dieser Art schnellstmöglich zu realisieren".
Eine Syna-Sprecherin versprach ebenfalls, man arbeite "mit Hochdruck" daran, Rückstände gar nicht erst entstehen zu lassen und mögliche Verzögerungen zu minimieren. Dazu seien neue Stellen geschaffen worden. Allerdings seien im Netzgebiet in diesem Jahr bereits dreimal so viele Photovoltaikanlagen in Betrieb genommen worden wie 2019, Tendenz steigend.
Zubau-Ziel 2022 verfehlt
Auch der Magistrat der Stadt wollte den Zubau eigentlich beschleunigen. 2035 will Frankfurt klimaneutral sein, seit 2018 soll deshalb auf allen Neubauten und bei Dachsanierungen städtischer Gebäude eine möglichst große Photovoltaikanlage installiert werden. Im März 2018 beschloss die Stadtverordnetenversammlung auf Initiative von CDU, SPD und Grünen, diese Anlagen auch von Privatleuten wie Bürgersolarvereinen betreiben zu lassen. Das damals angepeilte Ziel, ein jährlicher Zubau von 1.500 Kilowatt-Peak, also Strom für mindestens 500 Haushalte, wurde 2020 und 2021 erreicht. 2022 aber klafft eine große Lücke.
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Und selbst bei den vom Bauamt für dieses Jahr aufgelisteten Anlagen handelt es sich ausschließlich um Projekte, die laut Sonneninitiative e.V. noch nicht in Betrieb sind. Darunter ist auch die Käthe-Kollwitz-Schule.
"Klimaentscheid Frankfurt" fordert mehr Tempo beim Solarausbau
Klimaschützer bemängeln, dass selbst die 1.500 Kilowatt im Jahr noch lange nicht reichen. Insgesamt sind auf Frankfurter Dächern laut der Initiative "Klimaentscheid Frankfurt" bisher Solaranlagen mit einer Leistung von 47.000 Kilowatt installiert. Etwa 20-mal so viel wäre aus ihrer Sicht möglich. Die Initiative will deshalb einen Bürgerentscheid für mehr Tempo beim Ausbau der Solarenergie durchsetzen. Mehr als 20.000 Unterschriften hat sie bereits gesammelt.
Und auch die Stadt selbst versprach zuletzt mehr Tempo. Im September beschlossen die Stadtverordneten eine "Solaroffensive" für Frankfurt, weil das "sehr große" Solarenergiepotenzial der Stadt bisher nur zu einem "sehr geringen" Anteil genutzt werde. Nun soll unter anderem ein kommunales Förderprogramm eingeführt werden, damit bis 2035 auch auf möglichst vielen privaten Gebäuden Solaranlagen entstehen.
Solaranlagen auch auf Parkplätzen
Die Landesregierung will erst einige Jahre später als Frankfurt, 2045, komplett auf Erneuerbare Energien umstellen. Mit der im November verabschiedete Novelle des Hessischen Energiegesetzes müssen auf Parkplätzen ab 50 Stellplätzen und landeseigenen Gebäuden künftig verpflichtend Photovoltaikanlagen angebracht werden. Ein Prozent der Landesfläche soll der solaren Energieerzeugung vorbehalten sein.
Um das zu stemmen, müssten die Netzbetreiber personell und strukturell nachbessern, fordert Volker Klös von der Sonneninitiative. Dazu bräuchten sie aus der Politik Entlastungen und Anreize, außerdem müssten die bürokratischen Verfahren für kleinere Anlagen vereinfacht werden. "Der Boom wird und muss weitergehen", sagt Klös. "Wir brauchen Geduld, bis das abgearbeitet ist."