Interview zum Welttag der Menopause "Die Wechseljahre sind deutlich besser als ihr Ruf"
Hitzewallungen, Haarausfall, Stimmungsschwankungen: Die Menopause hat nicht den besten Ruf. Zu Unrecht - sagt Sheila de Liz. Im Interview spricht die Besteller-Autorin und Gynäkologin aus Wiesbaden darüber, warum die Wechseljahre "fabelhaft" sind und auch Männer etwas angehen.
Auf Ihrem Tiktok-Kanal @doktorsex spricht Sheila de Liz über Darmstress während der Periode, Solosex und Eifersucht. Knapp eine Million Menschen folgen ihrem Kanal, den sie zusammen mit dem Urologen Volker Wittkamp betreibt.
Im "echten Leben" hat de Liz eine Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe in Wiesbaden und schreibt Bücher. Zum Beispiel "Woman on Fire: Alles über die fabelhaften Wechseljahre". Sie ist überzeugt: Die Wechseljahre sind cooler als wir glauben. Warum, das erzählt sie im Interview.
hessenschau.de: Heute ist Welt-Menopause-Tag. Dieser Tag will Aufmerksamkeit schaffen für ein Thema, das viele Menschen angeht, in erster Linie viele Frauen. Denn in Deutschland dürften um die neun Millionen Frauen im Alter zwischen 40 und 60 in den Wechseljahren sein. Warum geht die Menopause alle an – also auch Männer?
Sheila de Liz: Weil das natürlich eine grundsätzliche Veränderung ist, die 50 Prozent der Bevölkerung durchmachen. Das geht erst mal die Frauen an, aber die Männer sind immer mit betroffen. Frauen sind gerade in der Zeit, wenn sie in die Wechseljahre kommen, häufig die Säule ihrer Familie und die Säule der Gesellschaft. Das heißt, wenn es der Frau schlecht geht, geht es im Prinzip allen schlecht.
hessenschau.de: Ihr Buch heißt "Alles über die fabelhaften Wechseljahre". Dem "fabelhaft" würden die meisten Frauen wohl heftig widersprechen, oder nicht?
De Liz: Die Wechseljahre sind deutlich besser als ihr Ruf! Es geht bei den Wechseljahren nicht nur um das Leiden, sondern auch darum, dass Frauen zu sich selbst und ihre eigene Stimme finden. Das Absinken des Östrogens führt dazu, dass sie weniger darauf fokussiert sind, andere glücklich zu machen, und ihren eigenen Weg gehen.
hessenschau.de: Oft heißt es, in jeder Krise liege eine Chance. Aber ist es wirklich hilfreich, in den Wechseljahren zwanghaft etwas Positives zu suchen? Oder wäre es nicht besser, einfach mal Dampf abzulassen?
De Liz: Natürlich soll man sich beklagen. Es ist wichtig, die körperlichen Symptome zu verstehen. Also: Welche Beschwerden hat mein Körper wegen des Hormonmangels? Denn diese Hormone kann man relativ gefahrlos ersetzen. Und wenn es den Frauen besser geht, haben sie die Kraft alles zu tun, was sie wollen. Die Frauen sollen natürlich nicht unter Schlaflosigkeit leiden oder Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen haben. Diese Dinge kann man alle behandeln.
hessenschau.de: Hormone gelten als gängiges Mittel gegen Wechseljahresbeschwerden, haben aber einen schlechten Ruf, da sie im Verdacht stehen, Brustkrebs zu verursachen. Wie sehen Sie das?
De Liz: Dieser Verdacht bezog sich auf eine Studie, die in den 90er-Jahren gelaufen ist und deren Ergebnisse 2002 veröffentlicht wurden. Aber hier wurde eine Gruppe von Daten falsch interpretiert. Außerdem waren das Medikamente, die wir heutzutage nicht mehr verwenden.
Jetzt, 20 Jahre später, hat man die Krankenkassendaten von einer halben Million Frauen in den USA ausgewertet und gesehen, dass die Frauen, die weiter ihre Hormone genommen haben, deutlich gesünder sind. Außerdem haben sie weniger Krebs als die Frauen, die plötzlich die Hormone abgesetzt haben.
hessenschau.de: Der Welt-Menopause-Tag soll auch darauf aufmerksam machen, dass Frauen im Berufsleben möglicherweise beeinträchtigt sind. Manche Frauen könnten das jedoch ablehnen, weil es den Eindruck erweckt, sie seien nicht leistungsfähig. Was denken Sie darüber?
De Liz: Sich zu schämen oder sich zu verstecken, ist sicherlich der falsche Weg. Die meisten von uns haben Beschwerden irgendeiner Art und dann ist es doch viel besser, wenn man anerkennen kann: Mensch, es gibt Tage, da schläft man einfach nicht gut und ist vielleicht nicht so leistungsfähig. Da braucht man vielleicht einen Powernap.
Diese Art von Dialog muss im Berufsleben möglich sein. Das aber komplett zu verschweigen, ist, glaube ich, schlecht und falsche Scham. Das ist im Prinzip ähnlich wie mit der Periode: Wenn einem ein Tampon aus der Tasche fällt und man sich schämt. Aber diese Zeit sollte doch schon längst vorbei sein.
hessenschau.de: Haben Sie einen Rat für Männer und die Gesellschaft im Umgang mit den Wechseljahren?
De Liz: Habt ganz viel Rücksicht auf eure Frauen. Helft mit, soweit ihr könnt und versteht nicht alles falsch. Manche Dinge meint man nicht so. Unterstützt sie einfach, auch beim Weg zum Arzt. Helft im Haushalt – das ist immer gut.
Für die Medizinwelt würde ich mir wünschen, dass es eine allgemeine Ausbildung gibt für die Wechseljahre - und zwar nicht nur für Gynäkologen, sondern für alle Fachbereiche, denn die Wechseljahre betreffen fast alle Organsysteme. Es gibt in den Wechseljahren spezifische Beschwerden in der Augenheilkunde, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, in der Orthopädie. Viele bekommen einen Hörverlust oder diffuse Muskelschmerzen. Die Wechseljahre anzugehen ist quasi eine Gruppenaufgabe, den Frauen zu helfen in dieser Zeit.
Das Gespräch führte Oliver Glaap bei hr INFO.
Redaktion: Katharina Bruns