Friedenspreisträgerin Elman im Interview "Eine Waffe bringt manchmal Essen auf den Tisch"
Die kanadisch-somalische Menschenrechtsaktivistin Ilwad Elman ist mit dem hessischen Friedenspreis ausgezeichnet worden. Im hr-Interview erklärt sie, warum es jungen Menschen in Somalia schwerfällt, Waffen gegen Schulbildung zu tauschen - und wie sie das ändern möchte.
Ilwad Elman kam nicht nur nach Hessen, um sich feiern zu lassen. Im hessischen Landtag in Wiesbaden nahm die kanadisch-somalische Menschenrechtsaktivistin am Mittwoch dankbar den diesjährigen Hessischen Friedenspreis entgegen.
Am Tag zuvor aber hatte sich die 33-Jährige unter anderem mit Schülerinnen und Schülern der Ziehenschule in Frankfurt ausgetauscht, einer Europaschule.
Wir haben mit der Friedenspreisträgerin darüber gesprochen, woher sie in einer Welt voller Kriege die Motivation für ihre Arbeit nimmt - und was sie sich von der jüngeren Generation verspricht.
hessenschau.de: Frau Elman, wenn Sie wie bei Ihrem Besuch in Hessen junge Menschen treffen: Was ist Ihre Botschaft?
Ilwad Elman: Es ist Zeit, dass wir neu definieren, was es heißt, im 21. Jahrhundert eine Führungspersönlichkeit zu sein. Die Rolle junger Menschen ist dabei die gleiche, egal ob in Somalia oder in Deutschland. Es geht darum, dass sich Chancen bieten.
Als ich mit all den jungen Menschen hier sprach, war ich sehr inspiriert von ihren Fragen, ihren Recherchen und ihrem Wunsch, Teil des Wandels zu sein. Die Botschaft lautet: "Man ist nie zu jung, um eine Führungsrolle zu übernehmen. Also fangt einfach an!"
hessenschau.de: Welche Gemeinsamkeiten sehen sie zwischen jungen Menschen in Deutschland und in Somalia?
Elman: Sie wissen, was in der Gesellschaft vor sich geht. Sie sind besorgt, und sie wollen Teil des Wandels sein.
hessenschau.de: Und was treibt Sie selbst an, Tag für Tag für eine bessere, friedliche Welt zu kämpfen?
Elman: Die Möglichkeit, dass einige der von uns entwickelten Maßnahmen tatsächlich funktionieren, motiviert mich jeden Tag aufs Neue. Und ich werde jeden Tag ermutigt, wenn ich sehe, wie manches doch wirkt.
Man kann unter der Situation leiden. Aber es ist besser, etwas zu organisieren. Das habe ich von meinem verstorbenen Mentor Kofi Annan (ehemaliger UN-Generalsekretär, Anm.d.Red) gelernt.
Ich fühle mich jeden Tag ermutigt, wenn ich aufwache, etwas zu organisieren und ein Teil der Friedensförderung zu sein. Das ist besser, als nur auf den alten Pfaden zu bleiben und zu leiden.
hessenschau.de: Aber gerade in Somalia scheint der Krieg nie zu enden. Oder glauben Sie wirklich, Sie könnten Ihr Ziel erreichen?
Elman: Es wird ein Ende haben. Frieden ist möglich. Auch wenn es sehr idealistisch klingt, glaube ich sogar, dass der Frieden mehr als je zuvor in Reichweite ist. Es gibt in Somalia noch viele Konflikte und Herausforderungen.
Aber wenn Frauen und Jugendliche, Überlebende und Täter, Entscheidungsträger aus der Regierung, traditionelle Führer und Älteste zusammenkommen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, dann ist es möglich.
Dieses Ziel ist, einen sinnvollen, echten und authentischen Frieden zu schaffen. Das wird vielleicht nicht heute oder morgen geschehen. Aber es wird eines Tages möglich sein wird.
hessenschau.de: Dass Lernen besser ist als schießen, ist für junge Menschen bei uns eine Selbstverständlichkeit. In Somalia greifen viele zur Waffe.
Elman: Weil die Wahl in Somalia nicht so leicht ist. Eine Waffe öffnet manchmal Türen, bringt Essen auf den Tisch, hilft zu überleben und die Familie zu schützen. Die Waffe fallen zu lassen und einen Stift zu nehmen, klingt gut. Aber den Stift gibt es nicht kostenlos. Wir haben keine öffentlichen Schulen.
Deshalb versuchen wir, in Bildung zu investieren, Zugang zu Arbeitsplätzen zu schaffen, zu würdigen Lebensgrundlagen, zu positiven Vorbildern, zu Sport und Kultur. Wenn das da ist, wird sich ein junger Mensch in den meisten Fällen dafür entscheiden, die Waffe fallen zu lassen und den Stift in die Hand zu nehmen.
hessenschau.de: Sie haben schon den Right Livelihood Award erhalten, der als Alternativer Nobelpreis gilt. Was bedeutet Ihnen der Hessische Friedenspreis?
Elman: Das ist eine wunderbare Anerkennung dafür, dass wir daran arbeiten, Frieden in einem scheinbar unlösbaren Konflikt zu schaffen. Der Preis ist auch eine große Motivation für mich und für mein Team. Er zeigt, dass lokale Lösungen für die Lösung von Problemen wichtig sind.
Der Hessische Friedenspreis betont außerdem den neuen Ansatz unserer Arbeit in Somalia, der hoffentlich auch die Friedenskonsolidierung an anderen Orten der Welt unterstützt. Wir sehen überall neue Konflikte aufkommen. Durch diese Auszeichnung können andere Menschen vielleicht erkennen, was bei uns funktioniert hat.
Das Gespräch führte Benjamin Holler. Es ist aus dem Englischen übersetzt.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 08.03.2023, 19.30 Uhr
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