Jahrestag des Anschlags von Hanau Gegen das Vergessen

Fünf Jahre nach dem rassistischen Anschlag von Hanau halten Hinterbliebene die Erinnerung an die Opfer wach. Mit der Aufarbeitung der Tat sind viele unzufrieden. Auf den Rechtsruck im Land blicken sie mit Sorge.

Oberkörperportraits von zwei Frauen und einem Mann. Alle blicken ernst in die Kamera. Der Hintergund ist blau. Leicht scheinen die Fotohintergründe durch: einmal ein Raum mit vielen Fotos, darunter ein weiteres Portrait eines Mannes und eine Gedenkwand mit vielen Portraits und dem Wort "Gerechtigkeit".
Sie engagieren sich für das Gedenken an die Opfer des Anschlags: Serpil Temiz Unvar, Said Etris Hashemi und Newroz Duman (v.l.n.r.) Bild © hr, Collage: hessenschau.de

Täglich wird er an das erinnert, was vor fünf Jahren passiert ist: Narben am Hals, im Mund und an der Schulter zeigen es ganz deutlich. Seit bald fünf Jahren trägt Said Etris Hashemi deshalb die meiste Zeit Pullover mit Rollkragen. Er wollte seine Wunden verstecken und tut das größtenteils bis heute. "Ich wollte nicht bloß der Junge sein, der am 19. Februar überlebt hat", erklärt er.

Obwohl er sich in den ersten Wochen nach dem Anschlag aus der Öffentlichkeit fernhielt, verkörpert mittlerweile wohl niemand den rassistischen Anschlag von Hanau so sehr wie er. Unter den neun Menschen, die der Attentäter Tobias R. aus rassistischen Motiven erschoss, waren Said Etris Hashemis Bruder und mehrere Freunde. Hashemi selbst wurde mehrfach angeschossen, überlebte schwer verletzt. "Schwer zu realisieren, dass es schon fünf Jahre her ist", sagt der 28-Jährige fast schon ungläubig.

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Trauer, Schmerz und Wut

"Es hat sich die letzten fünf Jahre viel getan, aber gleichzeitig hat sich auch wenig getan", findet er. Trauer und Schmerz sind geblieben. Bei vielen hat sich aber auch Wut entwickelt. Hashemi und andere Hinterbliebene kämpfen für eine vollständige Aufklärung des Anschlags und vor allem für Konsequenzen daraus.

"Wir kämpfen dafür, dass diese Tode nicht sinnlos gewesen sind", sagt Hashemi. Sie wollten etwas verändern – heute fällt die Bilanz ernüchternd aus.

Hinterbliebende kritisieren fehlende Konsequenzen

Kurz nach dem Anschlag taten sich Hinterbliebene und Unterstützer in der "Initiative 19. Februar" zusammen. Gemeinsam haben sie seitdem immer wieder Akten rund um den Anschlag studiert und auf diverse Unstimmigkeiten hingewiesen. Auch deshalb beschäftigte sich ein Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag mit dem Anschlag.

Der kam zu dem Ergebnis, dass es Versäumnisse, Pannen und Fehler gegeben hat. Konsequenzen blieben allerdings aus. "Es ist frustrierend", ärgert sich Newroz Duman von der Initiative 19. Februar. "Dieses Gefühl von: Es gibt eine Wahrheit, aber Recht und Gerechtigkeit sind in diesem Land nicht dasselbe." Dieser stete Kampf sei ermüdend, wie viele der Hinterbliebenen erklären.

Angst vor dem Vergessen

Serpil Temiz Unvar hat beim Anschlag ihren Sohn Ferhat verloren und im Namen ihres Sohnes eine Bildungsinitiative gegründet, die über Rassismus aufklärt, sich unter anderem an Schulen engagiert. "Egal, wie müde ich bin – und ich bin manchmal unglaublich müde – ich kann nicht aufhören", erklärt sie.

Den Hinterbliebenen ist es zu verdanken, dass die Namen der Opfer immer wieder genannt, ihre Fotos immer wieder gezeigt werden. Die Sorge: Hören sie auf, immer wieder an den Anschlag und die Opfer zu erinnern, könnten sie in Vergessenheit geraten. "Diesen Luxus haben wir nicht", so Temiz Unvar.

Aufzuhören komme für sie deshalb nicht in Frage. Und so sprechen viele Hinterbliebene immer wieder auf Podien, bei Kundgebungen oder Demonstrationen – so auch in den vergangenen Tagen.

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Gedenken an den Anschlag

Am 19. Februar 2020 erschoss ein 43 Jahre alter Deutscher in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst.

Zum fünften Jahrestag des Anschlags findet am Mittwoch eine offizielle Gedenkveranstaltung des Landes Hessen und der Stadt Hanau statt. Erwartet wird dazu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Geplant sind auch Reden von Hinterbliebenen.

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Zwischen Sorge und Hoffnung

Dass es fünf Jahre nach dem rassistischen Anschlag wieder einen Rechtsruck im Land gibt, der "Dammbruch" der CDU – all das bereitet vielen Hinterbliebenen Sorgen. Gleichzeitig schöpfen sie aber Hoffnung, weil deutschlandweit Menschen dagegen auf die Straßen gehen.

"Dieser Jahrestag ist vermutlich wichtiger denn je", glaubt Said Etris Hashemi mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl. "Die Erinnerung sollte uns auch eine Mahnung sein, wohin Hass und Hetze führen können." Denn daran erinnert wird Said Etris Hashemi täglich.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de