Gedenkstunde zum fünften Jahrestag der Morde Bundespräsident: Anschlag in Hanau war Angriff auf Demokratie
Fünf Jahre nach dem rassistischen Anschlag von Hanau haben Politiker und Hinterbliebene der Opfer bei einer offiziellen Gedenkstunde gedacht. Doch eine Opferfamilie blieb bewusst fern – und eine Partei wurde ausgeschlossen.
Die Erinnerung an das Attentat sei eine "immerwährende Mahnung, jede Form von Gewalt und Hass mit aller Konsequenz zu bekämpfen", sagte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) am Mittwoch zur Eröffnung der Gedenkveranstaltung im Hanauer Congress Park.
Fünf Jahre nach dem Anschlag von Hanau erinnerte die Stadt gemeinsam mit dem Land an die am 19. Februar 2020 ermordeten neun Bürger aus Einwandererfamilien: Kaloyan Velkov, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Hamza Kurtović und Ferhat Unvar.
Ein 43 Jahre alter Deutscher hatte sie aus rassistischen Motiven an mehreren Tatorten erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst.
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Hass sei eine reale Gefahr, sagte Rhein: "Leider müssen wir heute, fünf Jahre später, sagen: Er ist es bis heute. Und er ist teilweise ein politisches Geschäftsmodell." Wir alle trügen die Verantwortung dafür, "dass Hass und Hetze unsere Gesellschaft nicht unwidersprochen spalten können".
"Anschlag auf unser Land"
An der Gedenkveranstaltung unter dem Motto "Gemeinsam gedenken - für Zusammenhalt und Zukunft" nahm auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) teil. "Deutschland, unser gemeinsames Land, nimmt heute Anteil an Ihrem Schmerz und Ihrer Trauer", sagte Steinmeier an die Hinterbliebenen gerichtet.
"Der Täter zielte damals nicht auf uns alle, aber seine Tat geht uns alle an." Die rechtsextremistisch motivierten Morde von Hanau seien "ein Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land" gewesen: "Sie waren ein Anschlag auf die offene Gesellschaft und unsere liberale Demokratie", sagte der Bundespräsident.
Nicht alle Opfer-Familien nahmen teil
Nicht alle Opfer-Familien nahmen an der offiziellen Gedenkfeier teil. Die Eltern des ermordeten Hamza Kurtović blieben der Veranstaltung fern. Es entstehe das falsche Bild von Politikern, die an der Seite der Angehörigen stehen, sagte Vater Armin Kurtović dem hr vor der Veranstaltung. Sein Sohn zählte zu den Opfern, die in der Arena-Bar in Hanau-Kesselstadt erschossen wurden.
Kurtović wirft unter anderem dem Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) vor, keine Verantwortung für einen mutmaßlich verschlossenen Notausgang in der Arena-Bar zu übernehmen. Der SPD-Politiker weist die Kritik von sich. Ministerpräsident Rhein hält Kurtović vor, in der Sache entgegen einer früheren Zusage keine unabhängige Untersuchung zu veranlassen.
Steinmeier mahnt zu Zusammenhalt
Steinmeier ging indirekt auf die anhaltenden Konflikte zwischen Opfer-Angehörigen, Stadt Hanau und Land Hessen ein. "Als Ihr Bundespräsident sage ich Ihnen heute: Es schmerzt mich zutiefst, dass der Staat ihre Angehörigen nicht hat schützen können."
Ebenso schmerze ihn, dass sich die Hinterbliebenen nach der Tat vom Staat alleingelassen gefühlt hätten. "Ich bitte dennoch alle Seiten: Bleiben Sie miteinander im Gespräch und gehen Sie aufeinander zu."
Teils harsche Kritik von Angehörigen
Den versöhnlichen und mahnenden Botschaften des Minister- und des Bundespräsidenten, stand die teils harsche Kritik von Opfer-Angehörigen gegenüber. "Dieses Ereignis ist ein Schandfleck in der Geschichte der Stadt Hanau und Deutschlands", erklärte Emis Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, "Deutschland und die Stadt Hanau schulden mir ein Leben."
Sie könne die Entschuldigungen von Vertretern der Stadt und der Landesregierung nicht annehmen. Die zahlreichen Behördenfehler vor der Tat hätten nie passieren dürfen. Ebenso sei es "eine Schande", dass fünf Jahre nach dem Anschlag immer noch kein Denkmal errichtet worden sei.
Bringschuld nicht erfüllt
Çetin Gültekin, Bruder des Anschlag-Opfers Gökhan Gültekin, erinnerte in seiner Rede daran, dass Steinmeier am ersten Jahrestag Aufklärung als "eine Bringschuld des Staates gegenüber den Angehörigen" bezeichnet habe: "Ich frage Sie und mich heute: Wo ist diese Bringschuld geblieben?"
Auch anderweitig müsse man sich fragen, was in den letzten fünf Jahren erreicht worden sei. "Denn 2020 wurde Hanau als Zäsur bezeichnet. Doch wo stehen wir heute? Es tobt ein rassistischer Wahlkampf. Er wird von der AfD angetrieben. Doch andere Parteien machen dabei mit."
AfD nicht eingeladen
Vertreter der AfD nahmen auf Wunsch der Opferfamilien nicht an der Veranstaltung teil. Ein Sprecher des Hanauer Oberbürgermeisters Kaminsky erklärte auf hr-Anfrage, der OB habe dem Ministerpräsidenten geschrieben, dass die Teilnahme von AfD-Politikern "auf entschiedene Ablehnung" bei den Opferfamilien stoßen würde.
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag, Robert Lambrou, warf der Staatskanzlei daraufhin schlechten Stil vor. Sie habe erst auf hartnäckiges Nachfragen mitgeteilt, dass es Einladungen gab und warum die AfD keine erhielt. Man habe offenbar gehofft, "dass wir gar nicht erst merken, dass wir nicht eingeladen sind".
"Erinnerung ist Verantwortung"
"Die Politik bringt Extremismus und Radikalismus hervor. Und das ist eine große Gefahr für uns alle und für Deutschland", erklärte Serpil Temiz Unvar, Mutter des ermordeten Ferhat Unvar. In Gedenken an ihren Sohn habe sie eine Bildungsinitiative gegründet, die erfolgreich mit Jugendlichen arbeite.
"Leider erhalte ich in letzter Zeit, insbesondere in den vergangenen Tagen mit den bevorstehenden Wahlen, extrem viele hasserfüllte Nachrichten", berichtete Unvar.
"Erinnerung ist nicht nur ein Glück. Erinnerung ist Verantwortung. Verantwortung, die wir alle tragen, weil Hanau kein Einzelfall war", erklärte Said Etris Hashemi, der in der Tatnacht seinen Bruder Said Nesar verlor und selbst schwer verletzt wurde.
"Die bittere Realität ist, wenn Populismus, rassistische Rhetorik und Feindbilder salonfähig werden, dann gibt es Menschen in diesem Land, die sich damit bestätigt fühlen. Und dann passiert das, was vor fünf Jahren in Hanau passiert ist", so Hashemi.
OB Kaminsky: Hanau handelt
Die Gedenkveranstaltung endete am Mittag mit eine Rede von Oberbürgermeister Kaminsky. "Hanau erinnert sich, aber Hanau zieht auch seine Schlüsse aus dem Geschehenen und handelt", erklärte der SPD-Politiker. Sichtbare Zeichen dafür seien das neu eingerichtete Amt für Sozialen Zusammenhalt und das "Haus für Demokratie und Vielfalt", dessen Bau in Kürze beginnen soll.
"Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen. Aber wir können uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass Hass und Intoleranz keinen Boden finden, auf dem sie gedeihen können", sagte Kaminsky.
Mahnwache an beiden Tatorten
Die offizielle Gedenkfeier wurde am Mittwoch von weiteren Veranstaltungen flankiert. Mehrere Hanauer Kirchen waren am Mittwoch für ein Gedenken geöffnet. An den Gräbern der auf dem Hanauer Hauptfriedhof bestatteten Anschlagsopfer wurden von einem Imam zwei muslimische Totengebete abgehalten.
Trauerkundgebungen fanden außerdem an den Gräbern weiterer Opfer auf Friedhöfen in Offenbach und Dietzenbach im Kreis Offenbach statt.
Am Mittwochabend will die Initiative 19. Februar, in der sich Angehörige und Freunde der Opfer sowie deren Unterstützer zusammengeschlossen haben, an den beiden Tatorten der Toten gedenken. Im Namen von Stadt, Land und Bund werden auch außerhalb Deutschlands und Hessens Blumen- und Kranzniederlegungen an den Grabstätten der Opfer organisiert: in Bulgarien, Rumänien und in der Türkei.