Gedenken an Pogromnacht in Frankfurt "Rettet wenigstens die Kinder"
Nach der Pogromnacht der Nationalsozialisten 1938 flüchteten mehrere tausend jüdische Kinder in sogenannten "Kindertransporten" aus Deutschland. Die Stadt Frankfurt erinnert in einer Gedenkstunde an ihre Schicksale.
Ruth Oppenheimer war zehn Jahre alt, als sie alleine von Frankfurt aus in Richtung London aufbrach: Über die Niederlande ging es zunächst mit dem Zug, dann mit dem Schiff nach Großbritannien. "Wir waren im Ganzen zweihundert bis zweihundertfünfzig Kinder, darunter waren auch noch kleine Kinder, ein Mädel von fünf und auch ein Junge von zweieinhalb Jahren", schreibt sie 1939 in einem Brief an ihre Eltern.
Nach der Pogromnacht am 9. November 1938, als ein Mob wütender, aggressiver Nazis durch deutsche Straßen zog und jüdische Geschäfte, Synagogen und Privathäuser anzündete, Scheiben einschlug und eine Spur der Verwüstung hinterließ, versuchten viele jüdische Eltern verzweifelt, zumindest ihre Kinder noch in Sicherheit zu bringen. Einigen gelang es, ihre Kinder in sogenannten "Kindertransporten" unterzubringen, mit denen sie aus Deutschland herausgebracht wurden.
Ihre Eltern würde Ruth Oppenheimer nie wiedersehen. Sie wurden von den Nationalsozialisten nach Frankreich deportiert und über verschiedene Lager schließlich nach Auschwitz gebracht und ermordet. So erzählt es Till Lieberz-Groß vom Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie". Die ehemalige Geschichtslehrerin und Schulleiterin setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Kindertransporte nicht in Vergessenheit geraten. Sie hat Biographien erforscht von Kindern, die von Frankfurt aus verschickt wurden und Briefe von ihnen gesammelt.
60.000 Kinder angemeldet, 20.000 gerettet
Wohlfahrtsverbände und Waisenhäuser organisierten damals solche Kindertransporte aus Deutschland heraus, erzählt Lieberz-Groß. "Von Dezember 1938 bis Ende August 1939 gab es ein kleines Zeitfenster, in dem diese Kindertransporte von den Nazis noch toleriert wurden."
Die Hälfte der Kinder wurde nach Großbritannien gebracht, die anderen unter anderem nach Frankreich, die Niederlande oder Belgien. Die Zahl der Kinder, die schon 1938 angemeldet wurden, lag bei rund 60.000, sagt Lieberz-Groß. Gerettet werden konnten letztlich aber "nur" rund 20.000, zum Großteil aus Deutschland und Österreich. "Demgegenüber steht eine Million Kinder, die von den Nazis ermordet wurden," sagt Till Lieberz-Groß.
"Meine Frau und ich werden tun, was wir können"
"Die Entscheidung, seine Kinder wegzuschicken, muss für die Eltern damals unfassbar schwer gewesen sein" sagt Historikerin Till Lieberz-Groß. Doch der Wunsch, dass sie überleben könnten, war offenbar größer als der Abschiedsschmerz.
Auch die acht Jahre alte Eva Goldschmidt und ihr zweieinhalb Jahre alter Bruder Michael kamen per Schiff nach Großbritannien. Sie wurden in der kleinen britischen Stadt Marple in der Nähe von Manchester auf zwei Gastfamilien verteilt. "Meine Frau und ich werden alles tun, um uns an ihrer statt um Eva zu kümmern," schrieb Gastvater Hugh Bedford den Eltern nach Kriegsbeginn 1939.
Eva und Michael Goldschmidt überlebten und auch ihre Eltern schafften es, noch rechtzeitig nach Großbritannien zu fliehen und so zu überleben. Die beiden stehen wie Ruth Oppenheimer exemplarisch für die 20.000 Kinder, die dank der Kindertransporte dem Vernichtungswahn der Nationalsozialisten entkommen konnten. Bei der Gedenkstunde in der Frankfurter Paulskirche wird an diesem Sonntag an ihre Schicksale erinnert.