Gentrifizierung in Szenevierteln Frankfurter kämpfen gegen Kiosk-Kündigung
Dem "Kiosk 85" in Frankfurt-Bockenheim ist nach mehr als 16 Jahren der Mietvertrag gekündigt worden. Er soll schließen. Viele Anwohner sind empört und solidarisieren sich. Es ist nicht das einzige Beispiel für Gentrifizierung in Teilen der Großstadt.
Iced Matcha Latte, veganes Bananenbrot, eine Instagram taugliche Fassade nach der anderen. Da passt der kleine vollgestellte "Kiosk 85" nicht rein. Das muss sich der Immoblien-Eigentümer von M. Fateh Arefis Kiosk und Postladen im Frankfurter Stadtteil Bockenheim wohl so oder so ähnlich gedacht haben, als er Arefi nach 16 Jahren den Mietvertrag gekündigt hat.
Vor zwei Jahren habe der Inhaber gewechselt und sofort die Miete um 30 Prozent angehoben, so Arefi. Das machten er und seine Frau trotz Corona noch bereitwillig mit. Die beiden würden ihre Arbeit lieben und hätten eine treue Kundschaft. Nun laufe der Mietvertrag trotzdem aus. Die Kündigung sei ein riesiger Schock gewesen. Der Kiosk sichere ihre Existenzgrundlage.
Kiosk als sozialer Ort
Für Thilo Schwarmann vom Stadtteilbüro Bockenheim ist der Kiosk aber noch mehr: "Da stranden auch Leute, die sich da was kaufen, und der Herr Arefi sagt dann nicht: 'Also Du musst jetzt 2,50 Euro bezahlen, wenn Du die nicht hast.' Sondern er sagt: 'Gib mir, was Du hast.' Also dieser soziale Raum würde eben auch verschwinden."
Stadtteil soll entscheiden, was im Stadtteil passiert
Für den Erhalt des Kiosk setzen sich nun auch viele Bockenheimer mit Unterstützung des Stadtteilbüros ein. Innerhalb von zwei Wochen wurden über 1.300 Unterschriften gesammelt und Flyer entworfen. Arefi und seine Frau waren überwältigt: "Dieser Ort ist für die Menschen, die mit uns zufrieden sind und uns unterstützen. Diese Stimmen sind uns wichtig, und darüber sollte auch der Vermieter nachdenken."
Auch das Stadtteilbüro unterstützt diesen Ansatz. Laut Schwarmann soll der Stadtteil darüber entscheiden, was im Stadtteil geschieht.
Stummer Gentrifizierungsprozess
Das sei nicht der erste Fall, dass inhabergeführte Geschäfte aus Investionsgründen schließen müssen. Meist verlaufe dieser Prozess stumm, aus Schamgründen. Viele Ladenbetreiber würden so lange schwierigen Vertragsbedingungen zustimmen bis es nicht mehr geht und dann selber gehen, so Schwarmann.
Auch im Frankfurter Nordend schließen viele inhabergeführte Geschäfte: zwei Buchläden, ein Blumenladen und das beliebte Café "Lido".
Café "Lido" schließt nach 21 Jahren
Claus Brunner, Mitbegründer des Cafés "Lido" muss nach 21 Jahren schließen. Der Altvertrag wurde gekündigt und ein neuer Vertrag aufgesetzt - mit 70 Prozent Mieterhöhung. Dies sei nicht tragbar. Er und seine Geschäftspartnerin Regina Lange Fischer hätten nicht damit gerechnet und dementsprechend auch keinen Plan B.
"Wir machen das als Full-time-Job, und wir haben ja auch noch Angestellte, die davon leben. Wenn das so kurzfristig kommt, da weiß man gar nicht mehr, wie es weitergeht."
Überwältigendes Engagement der Kunden
Brunner kann sich aber nicht vorstellen, das Viertel zu verlassen. Er arbeite schon seit 40 Jahren im Frankfurter Nordend, manche Kunden kenne er schon seit den 80ern. Und auch Brunners Kunden wehren sich gegen die Schließung, sammeln Unterschriften und hängen Plakate auf.
Für Brunner seien die Reaktionen überwältigend: "Wir bekommen so ein fantastisches Feedback. Ich und Regina werden ständig angesprochen, dass das ja so schade sei - und ja, wird sind ein bisschen platt."
In der Immobilie würden sie aber trotzdem nicht bleiben. Dieser Abschnitt sei für sie vorbei.
"Kiosk 85" muss am Standort bleiben
Kiosk-Betreiber Arefi hat seinen Standort noch nicht aufgegeben. Laut einem Sprecher des Vermieters war der Vorgang der Kündigung aber rechtens. "Mit dem Mieter besteht ein gewerbliches Mietverhältnis, das sich jeweils um ein Jahr verlängert, wenn es nicht mindestens drei Monate zuvor gekündigt wird. Von diesem Kündigungsrecht haben wir bereits vor zehn Monaten Gebrauch gemacht, um dem Kiosk-Betreiber ausreichend Zeit zu geben, eine alternative Fläche zu finden."
Das Viertel könnten sie nicht verlassen, sagt Arefi. "All unsere Kundschaft ist hier. Wir können nicht von null anfangen."
Sein Wunsch: "Wir hätten gerne, dass wir uns mit dem Vermieter an einen Tisch mit dem Stadtteilbüro und meiner Anwältin setzen und gemeinsam einen Kompromiss finden."
Forderung: Stadt soll eingreifen
Für Thilo Schwarmann vom Stadtteilbüro ist klar, dass der täglich voranschreitende Gentrifizierungsprozess nur durch gesetzliche Regelungen gestoppt werden könne. "Dieser politische Rahmen, der muss sich ganz stark ändern, und die Stadt muss alles, was sie machen kann, nutzen, um Dinge zu stoppen, die eigentlich nicht im Interesse einer Stadtteilentwicklung sein können."
Der beliebte Kiosk 85 in Bockenheim darf noch bis Ende November an seinem Standort bleiben. Der Vermieter hat ihm einen anderen Standort in einem anderen Stadtviertel angeboten. Das ist aber keine Lösung für Arefi. Wie es also weiter geht, weiß er nicht. Für ihn gibt es keinen Plan B.