Härtere Strafen gefordert Wenn Arztpraxen zum Ziel von Gewalt werden
Immer wieder werden Rettungskräfte und Klinikmitarbeiter verbal oder körperlich angegriffen. Selbst in Arztpraxen halten sich die Patienten immer weniger zurück.
Patienten, die Türen zuschlagen, auf den Boden oder sogar in Richtung einer Arzthelferin spucken - all das kennt Stephan Waßmuth aus seinem Praxisalltag in Allendorf (Waldeck-Frankenberg). Lange bevor Kassenärzte-Chef Andreas Gassen in dieser Woche die steigende Gewalt in Arztpraxen angeprangerte, hat auch Waßmuth den Frust seiner Kundschaft zu spüren bekommen.
Grund dafür sei "eine zu hohe Erwartungshaltung an eine Praxis", sagt Waßmuth. Häufig werde davon ausgegangen, dass alles bezahlt werde und sofort verfügbar sei. Doch gerade Behandlungen in Partnerpraxen oder bei Fachärzten könne man in kurzer Zeit kaum organisieren, berichtet der Arzt. Oft reiche das aus, dass der Patient oder dessen Begleitung ungehalten werde.
Praxisteam bekommt Ärger ab
Auch die Landesärztekammer Hessen beobachtet eine steigende Anspruchshaltung, sofort behandelt zu werden, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Verbal geäußerter Unmut richte sich vor allem gegen lange Wartezeiten oder die Weigerung, bestimmte Medikamente zu verschreiben. Auch äußerten gerade Angehörige von Kranken Kritik an einer mutmaßlich fehlerhaften Behandlung.
Die Erfahrung von Mediziner Waßmuth zeigt: Den Ärger bekommen meist seine Mitarbeiterinnen an der Anmeldung ab. Erfahrene Kolleginnen würden sich verbal zur Wehr setzen, so Waßmuth. Er habe aber zwei junge Auszubildende, für die es schwer sei, bei aufbrausenden Patienten deeskalierend einzugreifen.
Anonyme Meldestelle für Drohungen und Übergriffe
"Aggression im Praxisalltag - Lösungsstrategien im Praxisalltag" oder "Kommunikationstraining für medizinische Fachangestellte" - so lauten Seminarangebote auf der Webseite der Landesärztekammer Hessen. Studien belegten, dass aggressives Verhalten gegenüber den Praxisteams steige, heißt es dort.
Die Landesärztekammer richtete deshalb bereits 2019 die anonyme Meldestelle "Gewalt gegen die Ärzteschaft" ein - mit dem Ziel, einen Eindruck "über den tatsächlichen Umfang von Drohungen und Übergriffen zu erhalten", wie die Sprecherin erklärt. Ärztinnen und Ärzte oder Praxisangestellte können online einen Fragebogen ausfüllen und ankreuzen, ob sie von Beleidigungen, Angriffen mit Gegenständen oder Waffen oder sogar von Stalking betroffen sind.
Im letzten Jahr ergab eine hr-Umfrage an hessischen Kliniken, dass es besonders in Notaufnahmen immer häufiger zu Gewalt kommt. Aber auch gewöhnliche Praxen sind laut Ärztekammer zunehmend betroffen.
332 Fälle aggressiven Verhaltens
Bisher seien über den Online-Meldebogen 322 Fälle aggressiven Verhaltens gegenüber der Ärzteschaft und ihren Mitarbeitenden gemeldet worden. Ein Großteil entfalle dabei auf Beleidigungen, Beschimpfungen oder Bedrohungen, die sich insbesondere gegen das Praxisteam richte, so die Sprecherin. Das Portal gilt bundesweit, hessenspezifische Zahlen gibt es nicht.
Doch nicht nur verbale Gewalt sei anonym gemeldet worden, vereinzelt habe es auch sexuelle Belästigungen oder tätliche Bedrohungen gegeben.
“Gewisse Dynamik” durch begleitende Angehörige
Der Allendorfer Mediziner Waßmuth beobachtet vor allem Angehörige, die für Probleme sorgten. Es komme vor, dass Patienten von mehreren Angehörigen zur Untersuchung begleitet würden. In dieser Angehörigengruppe entwickele sich dann "eine gewisse Dynamik", beschreibt Waßmuth.
Die räumliche Trennung durch den Tresen an der Anmeldung sorge zwar für etwas Deeskalation. Wenn das nicht ausreiche, führe er seinen Patienten für ein Gespräch in einen Extra-Raum - ohne Begleitung. Das bringe Ruhe in die Situation, so der Arzt. Als letzte Möglichkeit rufe man die Polizei dazu.
Strafrechtsverschärfung auch für Praxisteams
Mit der anonymen Meldestelle verfolgt die Landesärztekammer auch das Ziel, Gewalt gegenüber Praxisteams sichtbar zu machen und so eine Ausweitung des §115 StGB auf das gesamte medizinische Personal zu erreichen. Bereits 2021 war der Paragraf auf Beschäftigte der Arztnotrufzentralen und der Notfallambulanzen ausgeweitet worden. Jetzt solle der nächste Schritt erfolgen, so die Sprecherin.
Man könne schärfere Strafen diskutieren, sagt auch Waßmuth. Er will zunächst aber einen relativ pragmatischen Schritt gehen: Nur noch ein Angehöriger soll pro Patient in die Praxis dürfen, denn “damit wäre ein Großteil der Situationen schon deutlich entschärft”.