hr-Umfrage in Hessen Wo 2022 mehr Fälle von Gewalt in Kitas gemeldet wurden - und wo weniger

In mehreren Bundesländern haben Fälle von Gewalt in Kitas zugenommen. Auch in Hessen melden einige Kreise und Städte für 2022 eine Zunahme, wie eine hr-Umfrage zeigt.

In einer Garderobe einer Kindertagesstätte hängen bunte Rucksäcke und Jacken.
In einigen Kreisen und Städten gibt es mehr gemeldete Fälle von pädagogischem Fehlverhalten in Kitas. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Wie werden Kita-Kinder vor übergriffigem Verhalten geschützt?

hessenschau vom 21.04.2023
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Anschreien, demütigen, zum Essen zwingen: Solche Misshandlungen sollten in Kindertagesstätten tabu sein - sie kommen allerdings immer wieder vor. Einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa zufolge gibt es in mehreren Bundesländern einen Anstieg bei Fällen von Gewalt oder pädagogischem Fehlverhalten in Kitas.

Eine hr-Umfrage unter Landkreisen und Städten zeigt, dass auch in einigen Kommunen in Hessen eine Zunahme solcher Fälle nachweisbar ist.

Das Ausmaß des Problems lässt sich allerdings nur schwer überblicken, da Fälle von Grenzverletzungen oder pädagogischem Fehlverhalten in Kitas nicht landesweit statistisch erfasst werden. Das hessische Sozialministerium verweist auf Anfrage auf die Zuständigkeit der kommunalen Jugendämter.

Anstieg in Main-Kinzig, Wetterau und Odenwald

So meldet etwa der Main-Kinzig-Kreis für das Jahr 2022 acht bestätigte Fälle von grenzverletzendem Verhalten von Beschäftigten in Kitas. Das ist der höchste Wert der vergangenen fünf Jahre.

"Es ging um Grobheiten im direkten Umgang und im Gesprächskontakt mit Kindern, beim Essen sowie um das Festhalten eines Kindes", erklärte ein Kreissprecher auf Anfrage. Zusätzlich habe es fünf Verdachtsfälle gegeben, die sich nicht bestätigten.

Vor allem seit den Corona-Jahren habe es einen Anstieg gegeben, so der Sprecher weiter. "Kinder hatten keine Möglichkeiten, soziale Kontakte aufzubauen und zu pflegen und soziale Kompetenzen zu erwerben, was mitunter zu herausforderndem Verhalten im sozialen Miteinander führt." Wegen personeller Engpässe reagierten Beschäftigte "in einzelnen Situationen nicht adäquat".

Arbeitsverhältnisse wegen Fehlverhaltens beendet

Der Wetteraukreis meldet für 2022 elf Fälle von Fehlverhalten - dabei seien in fünf Fällen Arbeitsverhältnisse beendet worden sowie zwei Fälle strafrechtlich verfolgt worden, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Es sei von einer Zunahme der Fälle auszugehen.

"Nach der Pandemie beobachten wir mehr auffällige Kinder, die Arbeitsbedingungen in Kitas sind aufgrund des Fachkräftemangels herausfordernder geworden und Teams sind für das Thema sensibilisiert", so die Sprecherin.

Auch im Odenwaldkreis gab es einen Anstieg: 2022 wurden fünf Fälle von grenzverletzendem Verhalten gemeldet, während in den vier Jahren davor jeweils nur ein Fall pro Jahr gezählt wurde.

Der Kreis Marburg-Biedenkopf sieht ebenfalls eine steigende Tendenz: 2022 habe es vier bestätigte Fälle gegeben - mehr als in den Vorjahren.

Kein Anstieg in Offenbach, Fulda und Schwalm-Eder

Andere Kreise und Städte beobachten keinen Anstieg bei Fällen von Gewalt in Kitas. "Es gibt hin und wieder Meldungen oder Beschwerden durch Eltern, denen wir nachgehen", heißt es aus dem Schwalm-Eder-Kreis. Fehlverhalten des Personals sei oft schwer nachzuweisen. Eine Steigerung zeichne sich nicht ab.

Auch die Stadt Offenbach berichtet von nur wenigen Meldungen: 2022 habe es zwei Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung ausgehend von Kita-Beschäftigten gegeben, die sich nicht bestätigt hätten. Im Vorjahr sei ein nicht bestätigter Verdachtsfall gezählt worden, und in den Jahren 2018 bis 2020 kein einziger.

Die Stadt Fulda meldet aus den vergangenen fünf Jahren einen Verdachtsfall. Dabei sei es um den Vorwurf sexualisierter Gewalt gegangen, der sich nicht bestätigt habe.

Viele Kreise erfassen Zahlen nicht

Zum Teil heißt es auf Anfrage, Zahlen zu pädagogischem Fehlverhalten oder Übergriffen seien nicht bekannt - so etwa in Darmstadt.

In anderen Kreisen und Städten werden die Zahlen nicht statistisch erfasst, beispielsweise im Kreis Darmstadt-Dieburg, im Lahn-Dill-Kreis oder im Landkreis Kassel.

Kinderschutzbund warnt vor emotionalen Verletzungen

Der Kinderschutzbund in Hessen mahnt angesichts der gemeldeten Vorfälle, vor allem seelische und emotionale Verletzungen von Kita-Kindern nicht aus dem Blick zu verlieren. In Studien gebe es viele Beispiele für solche Grenzübertritte, berichtet Verone Schöninger, Ehrenvorsitzende des hessischen Landesverbandes.

"Beispielsweise werden Kinder zum Essen gezwungen, obwohl sie das nicht wollen", so Schöninger. In anderen Fällen würden zum Beispiel Kinder mit Sprachschwierigkeiten von ihren Erziehungspersonen herabsetzend behandelt. "Das kann dazu führen, dass sich ein Kind noch schüchterner fühlt und sich noch weniger traut, etwas zu sagen, weil es sich in seiner Persönlichkeit verletzt fühlt."

Angst, Fehlverhalten anzusprechen

Seit dem Jahr 2000 ist für Kinder das Recht auf gewaltfreie Erziehung festgeschrieben, in Hessen stehen Kinderrechte sogar in der Verfassung. Dass sich Kita-Personal trotzdem mitunter übergriffig verhält, hat laut Schöninger auch damit zu tun, dass nicht in allen Einrichtungen genau hingesehen werde.

"Es liegt sicherlich auch daran, dass viele Beschäftigte sich nicht trauen, Fehlverhalten gegenüber Kollegen anzusprechen oder nicht bereit sind, andere anzuschwärzen", so Schöninger.

Deshalb brauche es gute Kinderschutzkonzepte und Verhaltenskodizes. "So wird das Vertrauen gestärkt, im Team über Probleme mit einzelnen Kindern oder mit sich selbst offen zu sprechen", erklärt die Ehrenvorsitzende des Kinderschutzbundes.

Aufklärung aus Behörden-Sicht teils schwierig

Aus Sicht von Aufsichtsbehörden ist es mitunter schwierig, Fälle von grenzüberschreitendem Verhalten aufzuklären. "Grundsätzlich werden die Aussagen der Kinder sehr ernst genommen", teilt der Sprecher des Main-Kinzig-Kreises mit.

Man führe bei Verdachtsfällen Gespräche mit allen Beteiligten. Schwierigkeiten gebe es immer dann, "wenn die Beobachtungen der Personensorgeberechtigten und die Beobachtungen der Kinder stark voneinander abweichen."

Gewaltschutzkonzepte sollen gegen Übergriffe helfen

Im Kampf gegen Übergriffe und pädagogisches Fehlverhalten verspricht sich auch Hessens Landesregierung Erfolge durch Schutzkonzepte in Kitas. In einem Bundesgesetz ist geregelt, dass jede Einrichtung ein solches Konzept vorlegen muss, um eine Betriebserlaubnis zu bekommen. Das Land Hessen hat den Kitas dafür eine Frist bis 2024 gesetzt.

Das Sozialministerium verweist außerdem auf den Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen (BEP). Darin gelte "die Stärkung der Kinder hin zu Autonomieerleben, Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Partizipation" als wichtiges Prinzip. Erzieherinnen und Erzieher würden seit vielen Jahren nach diesem Plan fortgebildet.

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Anstieg von Gewalt-Fällen in mehreren Bundesländern

In mehreren Bundesländern zeichnet sich ein Anstieg bei Fällen von Gewalt oder pädagogischem Fehlverhalten ab. Das zeigt eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa. Aus Berliner Kitas wurden demnach 2022 83 Fälle von grenzverletzendem Verhalten gegenüber Kindern gemeldet - die höchste Zahl der vergangenen vier Jahre. Dazu zählten auch Verdachtsfälle, teilte die Bildungsverwaltung mit.

Auch Niedersachsen verzeichnete einen Anstieg. 2022 gingen dem Kultusministerium zufolge 338 Meldungen von Verdacht auf ein Fehlverhalten von Beschäftigten ein, ein Jahr zuvor waren es noch 223. Auch in Bayern gab es einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks von Ende Dezember zufolge einen Anstieg.

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 21.04.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de, dpa