Gießener Leibniz-Preisträger Peter R. Schreiner Der Mann, bei dem Katzen durch Wände gehen

Der Gießener Chemiker Peter R. Schreiner ist mit dem Leibniz-Preis, dem wichtigsten deutschen Forschungspreis, ausgezeichnet worden. Er forscht unter anderem auf dem Gebiet der Quantenmechanik. Geknallt hat's bei ihm schon in der Schulzeit.

Portrait eines Mannes mit schwarzer Brille. Daneben eine Zeichnung, die zeigt, wie eine Katze durch eine Wand eines Kastens geht.
Peter R. Schreiner und Schrödingers Katze beim Tunneln. Bild © Adobe Stock, privat, hessenschau.de
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Wer gern in den Bergen Urlaub macht, der schätzt wahrscheinlich die Vorteile eines Tunnels. Niemand muss sich heutzutage mit dem Auto über hohe Pässe quälen – Tunnel führen bequem von einem Tal ins nächste und sparen Autofahrern Zeit und Benzin.

Einer, der sich wissenschaftlich mit Tunneln oder besser dem sogenannten Tunneleffekt beschäftigt, ist Peter R. Schreiner. Er ist Direktor des Instituts für Organische Chemie der Justus-Liebig-Universität Gießen und Leibniz-Preisträger des Jahres 2024. Allerdings liegt Schreiners Forschungsgebiet nicht in den Alpen oder in den Pyrenäen.

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Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis

Der Leibniz-Preis, der am Mittwoch in Berlin verliehen wurde, ist der wichtigste und höchstdotierte Forschungsförderpreis in Deutschland und gehört zu den weltweit renommiertesten Auszeichnungen ihrer Art. Neben dem Gießener Peter Schreiner wurden zwei weitere Hessen ausgezeichnet: der Frankfurter Moritz Helmstaedter, der vor allem die Funktionsweise des Gehirns erforscht, und der Marburger Tobias Erb, der sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, wie Pflanzen durch bestimmte Enzyme noch mehr Kohlenstoffdioxid binden, also aus der Luft holen können (mehr zu Helmstaedter und Erb).

Der Preis ist mit 2,5 Millionen Euro pro Preisträger dotiert und wird jährlich vergeben. Anders als beim Nobelpreis sind diese Mittel zweckgebunden: Das Preisgeld kann bis zu sieben Jahre lang nach den Vorstellungen der Preisträger ohne bürokratischen Aufwand für ihre Forschungsarbeit verwendet werden.

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Wege gesucht, um Berge zu durchdringen

Schreiner forscht auf einem Gebiet, das verschiedene Naturwissenschaften berührt: die physikalische organische Chemie. Hier sucht er – um im Tunnel-Bild von oben zu bleiben – unter anderem nach Möglichkeiten, Berge niedriger zu machen oder zu durchdringen.

Dabei geht es unter anderem um Quantenmechanik. Hier waren Schreiner und sein Team daran beteiligt, Berge zu durchdringen. In der Quantenmechanik ist vieles möglich, was der herkömmlichen Physik zu widersprechen scheint: Teilchen können sich unter Beobachtung anders verhalten als unbeobachtet.

Schrödingers Katze läuft durch die Wand

Eine Katze, die durch eine Mauer springt.
Schrödingers Katze, die durch die Wand statt über sie springt: Eine Analogie zur Reaktion des Moleküls Methylhydroxycarben, das mittels Tunneleffekt zum Acetaldehyd (unten rechts) wandert. Bild © David Ley/Feliy Ley (Universität Gießen)

Teilchen können außerdem verschiedene Zustände gleichzeitig haben. Das hat das berühmte Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger aus dem Jahr 1935 illustriert. In diesem wird – vereinfacht gesagt – eine Katze zusammen mit einer radioaktiven Substanz in einer Stahlbox eingesperrt. Die Katze kann so lange gleichzeitig lebendig oder tot sein, bis die Box geöffnet und ihr Zustand überprüft wird.

In der Quantenwelt können Teilchen aber noch mehr: Sie können eigentlich unüberwindbare Energiebarrieren durchdringen – Schrödingers Katze kann hier theoretisch also auch durch die Wand der Kiste laufen. Dieser sogenannte Tunneleffekt ist in der Chemie ein "ungeliebtes Kind", weiß Schreiner, "weil man schlecht versteht, wann er eintritt und wie man ihn kontrollieren kann".

Reaktionen auch bei minus 270 Grad

Sein Team habe vor rund 15 Jahren einige dieser Tunnelphänomene entdeckt und sich Fragen gestellt wie: "Wie können wir verstehen, wo sich diese Tunnel auftun? Und: Wie können wir diese Tunnel vielleicht selbst bauen?" Im Verlauf der Forschungen habe sich gezeigt, dass es viele chemische Reaktionen mit Tunneleffekt gebe.

Es gebe Wege, Tunnel aufzutun und Reaktionen von Teilchen zu gestalten und auszunutzen. Auch eigentlich undenkbare (bio-)chemische Reaktionen seien möglich – undenkbar, denn Tunnelreaktionen laufen auch unter Bedingungen ab, in denen nicht genug Energie zur Verfügung steht, etwa im Weltall bei minus 270 Grad. Diese Erkenntnisse hätten geholfen, viele chemische Reaktionen neu zu verstehen.

Suche nach metallfreien Katalysatoren

Zuvor – vor allem zu Beginn seiner Laufbahn – widmete sich Schreiner der Katalyse. Dabei werden chemische Reaktionen mithilfe eines Katalysators in Gang gesetzt, beschleunigt oder in eine bestimmte Richtung gelenkt. Bekannteste Beispiele: der Katalysator im Auto, der schädliche Gase in weniger schädliche Gase umwandelt. Oder der Katalysator, der Ammoniak synthetisiert, den Rohstoff für Düngemittel.

Viele dieser Katalysatoren basieren auf Metallen, die teils schwer abzubauen und am Ende schwer zu entsorgen oder zu recyceln sind. Peter Schreiners Steckenpferd war die Suche nach metallfreien, so genannten Organokatalysatoren, wie er erzählt.

"Schreiner-Katalysator" für Kunststoffe

Die Idee nachhaltiger Katalysatoren hätten Forscher schon in den 1930er Jahren aufgebracht, sie sei aber lange nicht in Schwung gekommen, sagt Schreiner. Erst Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre hätten sich unter anderem die Nobelpreisträger des Jahres 2021, Benjamin List und Dave MacMillan, diesem Forschungsfeld verschrieben.

Auch sein Team habe zeigen können, dass "wir auch ohne teure Metalle Reaktionen bewerkstelligen können", erklärt Schreiner. Mehr noch: Es können ganz neue Reaktionen angestoßen werden, und das mit weniger Einergieeinsatz – zum Beispiel bei der Herstellung von Wirkstoffen in der Medizin oder von Kunststoffen. Einer der dafür genutzten Katalysatoren trägt sogar Schreiners Namen: der "Schreiner-Katalysator", ein Abkömmling des Harnstoffs.

Feuer und Flamme nach der Schulzeit

Mann mit schwarzem Hemd und schwarzer Brille sitzt entspannt auf einem Stuhl und lächelt
Peter R. Schreiner ist einer von drei hessischen Forschern, die 2024 den Leibniz-Preis erhalten. Bild © Sonja Fouraté (hr)

Feuer und Flamme für die Chemie sei er seit seiner Schulzeit, erzählt der 58-Jährige. "Wenn da eine Feuererscheinung ist, wenn etwas verpufft oder die Farbe ändert, wenn etwas raucht, zischt oder knallt, das ist schon toll", schwärmt er. Einer seiner Lehrer habe gemerkt: "Da ist jemand, der braucht nur einen kleinen Schubs, dann kann er richtig Feuer fangen – und so war es dann auch."

Das Feuer trug ihn zunächst zur Universität Erlangen-Nürnberg, wo er 1994 promovierte. Zusätzlich machte er ein Jahr später einen PhD in Computerchemie an der University of Georgia. Danach habilitierte er an der Universität Göttingen. 1999 bis 2002 war er Associate Professor in Organischer Chemie, wieder an der University of Georgia.

Leibniz-Preis ist "Höhepunkt der Karriere"

Seit 2002 ist er Professor für Organische Chemie an der Universität Gießen. In Amerika habe er nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht bleiben wollen, sagt Schreiner, der in seiner Freizeit gern zur E-Gitarre greift. Es sei absehbar gewesen, dass sich das Land ändern werde – und nicht in eine gute Richtung.

Deutschland sei ein hervorragender Forschungsstandort – gerade, was die MINT-Fächer angehe. Das zeige unter anderem die Liste von Nobelpreisen für Forschende in Deutschland in den vergangenen Jahren. Dass er nun mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis geehrt wurde, ist für den schon vielfach ausgezeichneten Forscher Schreiner "natürlich der Höhepunkt einer wissenschaftlichen Karriere".

"Damit kann man nicht rechnen, umso schöner ist es, wenn es einen trifft", sagt er. Viele der bislang ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätze er sehr. Er sei stolz, sich nun mit ihnen in eine Reihe stellen zu dürfen.

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Sendung: hr-iNFO, 13.3.2024, 7.45 Uhr

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Quelle: hessenschau.de